Donnerstag, 25. April 2024

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Vor 25 Jahren
Als der Hamburger Senat die Hafenstraße verkaufte

Straßenkämpfe, brennende Barrikaden und immer wieder gescheiterte Vermittlungsversuche - über 14 Jahre zog sich der Streit in Hamburgs Stadteil St. Pauli um die besetzten Häuser der Hafenstraße. Am 19. Dezember 1995 lenkte die Stadt schließlich ein und verkaufte die Häuser an die ehemaligen Besetzer.

Von Martin Tschechne | 19.12.2020
    Blick in die Hamburger Hafenstraße mit bunt bemalen Häuserfassaden, aufgenommen am 20.6.1996.
    Die Hamburger Hafenstraße im Jahr 1996 - ein Jahr zuvor hatte sie der Senat an eine Genossenschaft verkauft (picture-alliance / dpa - Kay Nietfeld)
    Erst die Hausbesetzung dann der Polzei-Großeinsatz. In vielen Städten Ende der 1970er-, Anfang der 1980er-Jahre drangen junge Leute, Studenten und Autonome - eine notorisch empörte Presse prägte den Begriff Chaoten - in leerstehende Häuser ein und erklärten sie für besetzt, auch in Hamburg. Doch eine fortgesetzte Unruhe wie in Frankfurt oder Berlin wollte der Senat hier nicht dulden. Sobald irgendwo in Eppendorf oder Eimsbüttel ein Transparent von einer Fassade flatterte, war das Räumkommando schon da.
    Keine Chance für Hausbesetzer in Hamburg? "Doch!", erinnert sich Frank John, der dabei war, als sie ihre Strategien diskutierten. Einer schlug vor, sie sollten vielleicht etwas weniger laut vorgehen:
    "Und auf der Basis kam dann irgendwann der Typ an und meinte: Ich weiß, wo ein Haufen Wohnungen leer stehen, wo sich auch kein Mensch dafür interessiert, wer da wohnt. Die gehörten zwar der Saga, aber die Saga war auf entmieten, weil Gruner + Jahr sollte da hin wollte. Oder Tchibo, oder, oder, oder."

    1981 acht baufällige Häuser

    John lebt noch heute hier, in einem der umkämpftesten, nachhaltigsten und, wenn man so will, erfolgreichsten Projekte der Hausbesetzerszene in Deutschland. Von einem Masterplan für die Häuserzeile aus der Gründerzeit, von einer Perlenkette aus teuren Immobilien hoch über Elbe und Hafen war noch nichts bekannt. Was die jungen Leute Ende 1981 entdeckt hatten, waren einfach nur acht baufällige Häuser, in denen kaum noch jemand wohnte.
    Nur gut, dass einer daran gedacht hatte, sich einen Mietvertrag ausstellen zu lassen. Vom Studentenwerk zwar; die Häuser gehörten der städtischen Wohnungsgesellschaft Saga – aber für eine Weile half das Papier: bis zur Klärung keine Räumung.
    Vermummte Hausbesetzer und Sympathisanten und  weiß behelmte Polizistem  stehen sich am 26.05.1989 vor brennenden Bauwagen in der Hamburger Hafenstraße gegenüber
    Räumung einer Wagenburg im Jahr 1989 in der Hamburger Hafenstraße (picture alliance /dpa)

    Gunst der Stunde im Wahlkampf 1982

    Zur Frechheit der neuen Bewohner kam das Glück des günstigen Augenblicks. Als die Besetzung offiziell auffiel, im Frühjahr 82, bei einer dann doch zu laut geratenen Party, herrschte Wahlkampf. Die SPD fürchtete um ihre Mehrheit in der Bürgerschaft, eine Koalition mit den noch jungen Grünen, der GAL, hatte sie ausgeschlossen – die Politik hatte andere Sorgen als hundert, nun ja: Chaoten mit bunt gefärbten Haaren.
    "Das hieß für uns einfach, in diesem Zeitfenster haben die - und das ist, denke ich mal, so ein bisschen die Arroganz oder Gutsherrenart der SPD, die sie später bereut haben - haben die uns quasi gesagt: Ihr kriegt hier 200.000 Mark für eine Winterfestmachung, damit die Häuser irgendwie ... Dachdecken und so weiter. Das waren ja schon neun Häuser dann. Und lasst uns in Ruhe. Und ihr kriegt einen Generalnutzungsvertrag, der läuft bis zum 31.12.1985."
    Und genau von da an tobte der offene Häuserkampf:
    "Wir fordern: keine Räumung der Hafenstraße, kein Abriss der Häuser in der Hafenstraße und der Bernhard-Nocht-Straße. Wir fordern unbefristete Nutzungsverträge für alle Bewohnerinnen und Bewohner. Wir fordern die Unterstützung alternativer Wohnprojekte nach den Vorstellungen der Wohngruppen."

    Eine der großen Heldenerzählungen von Hamburg

    Heute gehört die Hafenstraße zu den großen Heldenerzählungen der Stadt. Barrikaden hatten sie aufgetürmt und Steine geworfen, die Polizei schlug mit Knüppeln zu. Mutige Schlichter waren aufgetreten, kluge Diplomaten, Seelsorger, die Bundesanwaltschaft – mit der Zeit waren die bunt bemalten Häuser eine Attraktion geworden, fester Anlaufpunkt für jede Hafenrundfahrt. Und bald auch ging es in den Debatten nicht mehr nur um Wohnung, sondern um Wohnkonzepte, nicht mehr um das eigene Bedürfnis nach Teilhabe, sondern um die Zukunftsfähigkeit eines Systems.

    Verkauf für zwei Millionen Mark an Genossenschaft

    Auch der Bürgermeister war nachdenklich geworden. 1987 korrigierte Klaus von Dohnanyi die Linie seiner Politik, indem er sich mit den Besetzern auf einen Pachtvertrag einigte. Was bis dahin gelaufen war, tat ihm leid:
    "Also, wir haben eine Lösung gefunden, die keine war. Dass dann die Bewohnerinnen und Bewohner Recht gebrochen haben und die Stadt tyrannisiert haben, das ist damit nicht zu entschuldigen. Aber ich glaube, dass die Ursachen doch von uns durch die falsche Weichenstellung gesetzt wurden, indem wir damals gesagt haben: Ihr bekommt etwas, macht etwas draus. Aber ihr dürft es nicht behalten."
    Am 19. Dezember 1995 ging die Stadt auch den letzten Schritt: Sie verkaufte den ganzen Komplex, nun elf Häuser, für zwei Millionen Mark an eine eigens gegründete Genossenschaft.