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Vor 30 Jahren
DDR-Bürgerrechtler auf dem Weg zur Demokratie

Im Sommer 1989 wurde das Aufbegehren engagierter Bürger in der DDR unüberhörbar. Sie begannen, sich öffentlich zu organisieren, schlossen sich zu Bürgerbewegungen zusammen. Wie zum Beispiel zu "Demokratie Jetzt", die die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe mitgründete.

Von Sylvia Conradt | 12.09.2019
    Mitglieder der DDR-Bürgerrechtsbewegung Demokratie Jetzt sitzen auf dem Podium beim Landesdelegiertentreffen in Berlin am 21. Januar 1990
    Delegiertentreffen der DDR-Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt" im Jahr 1990 (picture-alliance / akg-images)
    Schon seit Ende der 1970er-Jahre war die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe in der DDR in konspirativen Zirkeln aktiv. Kurz vor dem Mauerfall bekamen die geheimen Gruppen starken Aufschwung. "Im Sommer 89 fand ja die große Ausreisewelle statt, und die Regierung sah sich außerstande, irgendwie anders als nur zynisch mit dem Satz zu reagieren: Wer unser sozialistisches Vaterland verlässt, dem weinen wir keine Träne nach", erinnert sich Poppe.
    Poppe hatte unter anderem zusammen mit Bärbel Bohley die Gruppe "Frauen für den Frieden" ins Leben gerufen und war auch in dem oppositionellen Arbeitskreis "Initiativkreis Absage an Praxis und Prinzip der Abgrenzung" organisiert, der seinen Ursprung in der evangelischen Kirche der DDR hatte. Die große Flüchtlingswelle trug laut Poppe mit dazu bei, dass die Oppositionellen Ende der 80er-Jahre in die Öffentlichkeit gingen:

    "Das war die Zeit, als viele Initiativen entstanden, die Vorschläge machen wollten für Reformen, für einen gesamtgesellschaftlichen Dialog, die sich gegen diese Abschottung, Informationsabschottung in der DDR wandten, gegen das Grenzregime, gegen alles das, was die Deutschen, Westdeutschen und Ostdeutschen, voneinander trennte. Im Sommer haben einige aufgerufen, eine Sammlungsbewegung zu gründen, also wir waren ja nur zehn, 15 Leute, und dann haben wir einen Aufruf formuliert, der nannte sich 'Aufruf zur Einmischung in eigener Sache'."
    Aufbruch kurz vor dem Mauerfall
    Dieser Aufruf führte zur Gründung der Bürgerbewegung Demokratie Jetzt am 12. September 1989, namentlich unterzeichnet von zwölf Bürgerrechtlern, darunter der Filmregisseur Konrad Weiß, der Theologe Wolfgang Ullmann, der Physiker und Synodale Hans-Jürgen Fischbeck.
    Ulrike Poppe: "Wir gingen davon aus, dass wir uns in einer politischen Krise des Staatssozialismus befinden, nicht zuletzt auch durch die Aufdeckung der Wahlfälschung offenbar geworden im Frühjahr 1989. Wir wollten einen Pluralismus, die Rechtstaatlichkeit durchsetzen, Ökonomie und Ökologie in Einklang bringen, und dass unser Wohlstand nicht auf Kosten anderer Länder entstehen soll, und natürlich freie Wahlen."

    Dass sich ein gewaltiger Umbruch in der DDR vollziehen würde, machte am 4. November 1989 die größte freiwillige, nicht staatlich organisierte Kundgebung auf dem Berliner Alexanderplatz deutlich. Fünf Tage später fiel die Mauer. Und die basisdemokratischen Bürgerbewegungen, die den Umbruch eingeläutet hatten?
    "Wir waren mehrheitlich der Meinung, dass wir als Bürgerbewegung uns nicht zu früh in parteipolitischen Machtkämpfen entzweien sollten", sagt Ulrike Poppe. "Was dann allerdings, als der Wahlkampf begann, am Runden Tisch schon sichtbar wurde, dass es durchaus dann schon zu Konkurrenz kam, auch unter den Bürgerbewegungen."
    Porträtfoto von Ulrike Poppe, DDR-Bürgerrechtlerin (1994)
    Ulrike Poppe auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1994. Zwei Monate vor dem Mauerfall gründete sie die Bewegung Demokratie Jetzt mit. (picture alliance/ZB/Klaus Franke)
    "Auch eine Demokratie kann sehr schwerfällig sein"
    Aus den ersten und zugleich letzten freien und geheimen Volkskammerwahlen im März 1990 gingen die Bürgerbewegungen Neues Forum, Demokratie Jetzt und Initiative Frieden und Menschenrechte, die sich zum Bündnis 90 zusammengeschlossen hatten, mit knapp drei Prozent als eindeutige Verlierer hervor. Im September 1991 gründeten sie die Partei Bündnis 90, die sich 1993 mit den Grünen zusammenschloss.
    Denn die Ziele der Bewegung gingen über eine Demokratisierung der DDR weit hinaus. Und einige davon sind auch heute noch aktuell, sagt Poppe: "Demokratie Jetzt hatte ja eine ganze Reihe von ökologischen Forderungen, wie energiepolitische Forderungen und Klimapolitik. Und natürlich, auch eine Demokratie kann sehr schwerfällig sein, das sieht man jetzt hier an dem Thema Klimawandel. Also, es sind eine Menge Forderungen, wo man sagen kann, wir haben sie noch nicht ganz erfüllt."
    Auch reformpolitische Forderungen warten bis heute auf ihre Umsetzung: Danach sollten sich auch die Deutschen der Bundespublik für die Umgestaltung ihres Landes einsetzen. Schließlich sollten beide deutschen Staaten gemeinsam eine neue deutsche Einheit schaffen. Dennoch sieht Poppe die Bewegung rückblickend als Erfolg: "Die grundsätzliche Reformfähigkeit, die einer Demokratie innewohnt im Gegensatz zum Staatssozialismus, ist das Eigentliche, was wir erreichen wollten, und ich glaube, das haben wir auch erreicht."