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Vor 350 Jahren
Druckerlaubnis für Stenos geologisches Grundlagenwerk

Unermüdlich forschte Nicolaus Steno im 17. Jahrhundert an Steinen und Kristallen, um die Geschichte der Erde zu entschlüsseln. Mit einer seiner Schriften legte er die Grundlagen der modernen Geologie. Doch das Werk war brisant, weil es die bisherige biblische Sicht auf die Erde infrage stellte.

Von Dagmar Röhrlich | 12.12.2018
    Ein Porträt des dänischen Forschers und späteren Priesters Nikolaus Steno
    Der dänische Anatom und Geologe Nicolaus Steno (1638-1686) wurde später Priester (picture-alliance / dpa / Mary Evans Picture Library)
    Florenz, Oktober 1666. Im "Anatomischen Theater" an der Accademia delle Belle Arti drängen sich die Zuschauer: Sie sind gekommen, um Nicolaus Steno zu sehen, den Star-Anatomen aus Kopenhagen. Er darf im Auftrag von Großherzog Ferdinand II. den Kopf eines riesigen Weißen Hais sezieren, dessen erstickender Verwesungsgeruch den Saal erfüllt. Diesen Gestank nimmt Nicolaus Steno jedoch kaum wahr. Konzentriert widmet er sich den rasiermesserscharfen Zähnen, die ihn besonders interessieren.
    Das Publikum ahnt nicht, dass es dem Beginn einer wissenschaftlichen Revolution beiwohnt: Denn diese Zähne, die Steno gerade untersucht, gleichen bis ins Detail den sogenannten Zungensteinen: Fossile Haizähne, die in Steinen gefunden wurden, die aber - so die damalige Lehrmeinung - nicht von Tieren stammten, sondern durch geheimnisvolle Kräfte wie Kristalle gewachsen sind. Steno gehört zu den wenigen, die das nicht glauben: Durch die Sektion ist er endgültig überzeugt, dass die steinernen Zungensteine einst als Zähne in einem Haimaul steckten. Er fasst einen Plan:
    "Ich muss methodisch den Ursprung der Körper untersuchen, die aus der Erde geholt wurden und Teilen von Tieren gleichen und auch die Erde selbst um sie herum."
    Steno will die Natur durch Experimente erkennen
    Steno, geboren 1638 in Kopenhagen, akzeptiert nichts, nur weil es in der Bibel oder den Texten griechischer Gelehrter steht. Wie Galileo Galilei will er die Natur durch unvoreingenommene Beobachtung und nachvollziehbare Experimente erkennen. Er krabbelt durch Steinbrüche, sucht in Spalten und Stollen nach Fossilien und Kristallen. Er ist überzeugt: Er kann die Geschichte der Erde und des Lebens anhand der Gesteine entschlüsseln.
    "Eine Muschel, die im Fels wächst, müsste das harte Gestein um sich herum bersten lassen."
    Sorgfältig untersucht Steno das Gestein um die Fossilien herum, findet weder Spalten noch Risse. Wie ein moderner Wissenschaftler entwickelt er nun Schritt für Schritt eine Theorie, die er immer wieder überprüft. Und im Frühjahr 1668 beginnt er zu schreiben: De solido intra solidum naturaliter contento dissertationis prodromus, die "Vorabveröffentlichung einer Abhandlung über Festes, das in der Natur in Festem eingeschlossen ist":
    "Eine Muschel am Meeresgrund stirbt, wird von Sediment begraben und versteinert darin. Das Meer zieht sich zurück, die Sedimente werden trockenes Land. Wind und Wetter lassen sie wieder zerfallen – und legen die Muschel wieder frei, die wir dann finden."
    Steine als Chronisten der Erde
    Im weiteren Text entwickelt Steno dann die Grundlagen der modernen Geologie:
    "Wenn Sedimente schichtweise übereinanderliegen, ist die unterste Schicht die älteste, die oberste die jüngste. Wenn Sedimente entstehen, liegen sie immer horizontal. Stehen sie schräg oder sind sie gefaltet, laufen diese Verformungen erst später ab, nachdem sie zu Stein geworden sind."
    Er erkennt, dass sich die Erde mit der Zeit verändert hat, dass sie nicht so geblieben ist, wie Gott sie einst erschaffen hat: Sie ist ein sich wandelnder, entwickelnder Planet, der in seinen Steinen die Chronik der Ereignisse bewahrt. Das sind ungeheuerliche Gedanken zu einer Zeit, als die Erde bibelkonformen "Berechnungen" zufolge nicht älter sein konnte als 6.000 Jahre. Steno weiß, dass die Heilige Römische Inquisition gegen Druckwerke vorgeht, die die Glaubensgrundlagen erschüttern. Und so ist er nervös, als er im Hochsommer 1668 das Manuskript zur Prüfung der Druckerlaubnis bei Giuseppe Tamagnini einreicht, dem Kanzler der florentinischen Inquisition. Um dem Vorwurf der Ketzerei vorzubeugen, schreibt er:
    "Damit niemand die Gefahr von Neuerungen befürchte, werde ich kurz die Übereinstimmung der Natur mit der Heiligen Schrift auseinandersetzen."
    Giuseppe Tamagnini lässt das Manuskript prüfen und erteilt am 12. Dezember die Druckerlaubnis. Die in der Vorabveröffentlichung angekündigte eigentliche Abhandlung sollte niemals erscheinen.
    Denn Nicolaus Steno war am 8. Dezember 1668 zum Katholizismus konvertiert und widmete sich mehr und mehr der Kirche, wurde schließlich Priester und Bischof und starb in Schwerin im Alter von 48 Jahren. Am 23. Oktober 1988 sprach Papst Johannes Paul II. Nicolaus Steno selig.