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Vor 40 Jahren
CSU kündigt Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag

Als es CDU und CSU bei der Bundestagswahl 1976 nicht gelang, Bundeskanzler Helmut Schmidt und die Koalitionsparteien SPD und FDP zu besiegen, war für CSU-Chef Franz Josef Strauß klar: Ohne die CDU könnte die CSU erfolgreicher sein. Und so beschlossen er und seine Partei am 19. November, die Fraktionsgemeinschaft aufzuheben.

Von Wolfgang Stenke | 19.11.2016
    Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU Helmut Kohl (r) mit Franz Josef Strauss (CSU) beim Wahlkongress der CSU am 04.09.1976 in München. Am 03.10.1976 entschieden die Wähler knapp für eine Fortsetzung der Regierungskoalition aus SPD und FDP.
    Nach dem missglückten Bundestagswahlkampf kündigte die CSU am 19. November 1976 kurzzeitig das Fraktionsbündnis mit der CDU auf. (picture alliance / dpa / Istvan Bajzat)
    "Das Verfahren, das von der Landesgruppe der CSU bei ihrer Entscheidung angewandt wurde, ist mit der 30-jährigen Zusammenarbeit der Unionsparteien unvereinbar. Wir sehen darin eine Absage an unsere bisherigen Bemühungen, die Einheit der Unionsparteien zu sichern."
    Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl war hörbar verärgert über die Entscheidung der CSU-Führung, die Fraktionsgemeinschaft der beiden Schwesterparteien im Bundestag nicht weiter fortzusetzen. Die Trennungsentscheidung fiel am 19. November 1976 auf einer Klausurtagung der CSU-Landesgruppe im oberbayerischen Wildbad Kreuth.
    Friedrich Zimmermann, Chef der CSU-Landesgruppe:
    "Es bedeutet, dass CDU und CSU als zwei Fraktionen im Deutschen Bundestag in Zukunft als Opposition erheblich mehr Redezeit zur Verfügung stehen wird als das bisher der Fall war."
    Mit den Christdemokraten abgesprochen war dieses Vorgehen, für das auf der Klausurtagung 30 von 50 anwesenden CSU-Abgeordneten votierten, keineswegs. Kohl und CDU-Generalsekretär Biedenkopf erfuhren davon erst aus den Nachrichten.
    Der Vorstoß ist aus der tiefsitzenden Verbitterung der Bayern über das Ergebnis der Bundestagswahl vom Oktober 1976 zu erklären: Gemeinsam hatten CDU und CSU 48,6 Prozent der Stimmen bekommen, doch Helmut Schmidt, dem die Wähler der Koalitionsparteien SPD und FDP die absolute Mehrheit von 50,5 Prozent bescherten, blieb Kanzler. In seinen Memoiren schrieb Friedrich Zimmermann:
    "Wir waren die stärkste politische Kraft der Republik und konnten wieder nicht regieren. Vielen war die Artikulationskraft der CDU nicht groß genug, nicht entschieden genug."
    Aggressiver Lagerwahlkampf
    In einem aggressiven Lagerwahlkampf waren CDU und CSU im Herbst 1976 gegen die von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher angeführte SPD-FDP-Koalition angetreten. Franz Josef Strauß:
    "Wenn wir diese Parole 'Freiheit oder Sozialismus' aussprechen, dann gehen Sie bitte davon aus, dass wir damit in eine grundsätzliche geistesgeschichtliche Auseinandersetzung von geschichtlicher Tragweite eingetreten sind.
    Und wir werden diese geistesgeschichtliche Auseinandersetzung fortsetzen, so lange, bis der der letzte Bürger begriffen hat, worum es geht." (Beifall)
    Bei der 1976er-Bundestagswahl ging es de facto keineswegs um die von Strauß beschworene Alternative "Freiheit oder Sozialismus". Vielmehr standen Konjunktur- und Haushaltsprobleme auf der Tagesordnung.
    Trotz aller Polarisierung verloren CDU und CSU den Wahlkampf. Die Schuld daran gab Strauß dem Führungspersonal der christdemokratischen Schwesterpartei. Bei einem vertraulichen Treffen mit Mitgliedern der Jungen Union in der Zentrale der Restaurantkette "Wienerwald" teilte Strauß kräftig aus.
    Auszug aus dem heimlichen Mitschnitt der "Wienerwald-Rede", die wenige Tage später im "Spiegel" zu lesen war:
    "Die politischen Pygmäen der CDU, die nur um ihre Wahlkreise kämpfen, diese Zwerge im Westentaschenformat, diese Reclam-Ausgaben von Politikern, warum die sich empören über eine Haltung der Landesgruppe, wenn der Gegner, den wir meinen, tief betroffen reagiert!"
    Proteste auch in den Reihen der CSU
    Insbesondere den CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl, der unfähig sei zur Kanzlerschaft, rechnete Strauß zu den "politischen Pygmäen". Auch in der CSU fand solche Polemik nicht überall Anklang, vom Kreuther Trennungsbeschluss ganz zu schweigen. Die Bezirksverbände in Franken und Schwaben protestierten, desgleichen eine Konferenz aller CSU-Kreisvorsitzenden. Denn in heftiger Gegenreaktion stellte die CDU-Spitze für den Fall des Ausgreifens der Christlich-Sozialen auf das gesamte Bundesgebiet die Gründung eines CDU-Landesverbandes in Bayern in Aussicht: eine Bedrohung der uneingeschränkten Herrschaft der CSU.
    Das reichte letzten Endes zur Abkühlung der bayerischen Heißsporne. Mitte Dezember 1976 einigten Christdemokraten und Christlich-Soziale sich wieder auf die Fortführung ihrer Fraktionsgemeinschaft im Bundestag. Ihr Vorsitzender wurde: Helmut Kohl. Keine sechs Jahre später war er der sechste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland.