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Vor 50 Jahren: Wechsel an der SED-Spitze
Als Erich Honecker Walter Ulbricht stürzte

Mit 17 Jahren war der 1912 geborene Erich Honecker schon in die KPD eingetreten, von den Nazis wurde er inhaftiert. Nach Kriegsende machte er dann in der DDR Karriere. Am 3. Mai 1971 drängte er seinen Förderer, SED-Chef Walter Ulbricht, aus dem Amt und wurde mächtigster Mann der Deutschen Demokratischen Republik.

Von Otto Langels | 03.05.2021
    Ein Schwarzweiß-Foto zeigt zwei ältere, bebrillte Herren im Anzug und weißem Hemd nebeneinander stehend Hier schritten sie noch einmal Seit an Seit. Zwei Tage bevor dieses Bild am 5. Mai 971 entstand, hatte Walter Ulbricht (links) maßgeblich auf Betreiben Erich Honeckers, diesem den SED-Chefsessel übergeben müssen. Central comitee As to a Report of ADM The News Agency of East Berlin Ulbricht asked during a Session The CC Central Committee of The SED to dispense HIM from His Function As First Secretary because of Age Limit ON June 30th he will Be 78 Years Old The CC Elected Erich As successor Secretary of The CC and member of The Ulbricht will Hold His Function As Chairman of The Privy Council Photo Shows Walter Ulbricht and Erich Honecker r PUBLICATIONxINxGERxONLY ZUMAk09
    Hier schritten sie noch einmal Seit an Seit. Zwei Tage bevor dieses Bild am 5. Mai 1971 entstand, hatte Walter Ulbricht (links), maßgeblich auf Betreiben Erich Honeckers, diesem den SED-Chefsessel übergeben müssen (imago stock&people)
    "Das Zentralkomitee wählte einstimmig Genossen Erich Honecker zum Ersten Sekretär des Zentralkomitees der SED."
    Am 3. Mai 1971 verkündeten die DDR-Medien, dass mit Erich Honecker ein neuer Mann die Parteiführung der SED und damit faktisch das wichtigste Amt in der Deutschen Demokratischen Republik übernommen hatte.
    Walter Ulbricht in Berlin beim 6. Parteitag der SED am 21.1.1963, damals erster Sekretär des ZK.
    Vorgeschichte der DDR - Die Ankunft der Gruppe Ulbricht im Nachkriegs-Berlin
    Am Tag von Hitlers Suizid betrat der spätere DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht nach Jahren des Moskauer Exils wieder Berliner Boden. Abordnungen wie die "Gruppe Ulbricht" sollten das öffentliche Leben wieder in Gang setzen.
    Honecker, 1912 im Saarland als Sohn eines Bergmanns geboren, trat schon mit 17 Jahren in die Kommunistische Partei ein und wurde bald hauptamtlicher Funktionär. Unter den Nationalsozialisten verbrachte er zehn Jahre im Gefängnis. Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 wurde er Mitglied des Zentralkomitees der SED und rückte ein Jahrzehnt später in das Politbüro auf, den innersten Führungszirkel der Staatsmacht.
    Wie Erich Honecker seinen politischen Ziehvater Walter Ulbricht stürzte
    Erst verhalf Walter Ulbricht dem jungen Erich Honecker zu seiner politischen Karriere. Später wurde er von Honecker in der DDR öffentlich bloßgestellt und als Erster Sekretär der SED gestürzt.
    Ende der 1960er-Jahre gingen Honecker und andere Genossen zunehmend auf Distanz zum Parteichef Walter Ulbricht. Darunter Herbert Häber, damals führender Mitarbeiter des Zentralkomitees:
    "Das lassen wir nicht mehr zu, dass wir einen Ersten Sekretär haben, der so in wesentlichen Bereichen in Konfrontation mit der sowjetischen Politik sich bewegt."

    Wie Honecker den Sturz seines Ziehvaters Ulbricht betrieb

    Die innerparteilichen Gegner warfen Ulbricht zu großes Selbstbewusstsein gegenüber dem "großen Bruder" in Moskau und Versäumnisse in der Wirtschaftspolitik vor. Aber neben dem politischen Richtungsstreit war es auch ein persönlicher Machtkampf. Erich Honecker untergrub die Autorität Ulbrichts, vergewisserte sich der Rückendeckung aus Moskau und betrieb den Sturz seines politischen Ziehvaters. Am 3. Mai 1971 tritt das Zentralkomitee zusammen und zwingt Ulbricht zum Rücktritt:
    "Zu Punkt 1 der Tagesordnung gab Genosse Walter Ulbricht eine Erklärung ab. Er bat das Zentralkomitee, ihn aus Altersgründen von der Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralkomitees der SED zu entbinden, um diese Funktion in jüngere Hände zu geben."

    Honecker - Jungstar mit sechzig

    Jüngere Hände? Erich Honecker ist fast sechzig Jahre alt, als er die Nachfolge Walter Ulbrichts antritt. Das Zentralkomitee ist ein Club älterer Männer.
    Händedruck von Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl.
    Vor 75 Jahren in Ost-Berlin: Gründung der SED - Ein Händedruck als Symbol des Endes des "Bruderkampfs"
    Hoffnungen auf eine echte Einheit von Kommunisten und Sozialdemokraten zerstäubten sich schnell, nachdem am 22. April 1946 unter sowjetischem Druck in Berlin die "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" proklamiert worden war.
    In der Wirtschafts- und Sozialpolitik will Honecker sich von seinem Vorgänger abheben, er verspricht neue Wohnungen, subventionierte Lebensmittel, billige Mieten, höhere Mindestlöhne und die Förderung berufstätiger Mütter und junger Familien.
    Doch das Verhältnis zwischen der DDR-Bevölkerung und dem steif auftretenden Honecker, geprägt durch ein jahrzehntelanges Leben als Parteifunktionär, bleibt distanziert. Der Mensch trat hinter dem Amt zurück, so der Honecker-Biograf Martin Sabrow:
    "Dieses Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung, für deren Befreiung man antritt, ohne aber auf seine tatsächlichen Meinungsbekundungen entscheidenden Wert zu legen, das ist ein Erfahrungsschatz, den diese Kommunisten, die vor 1920 geboren sind, in die neue Zeit mitnehmen."

    Der Beifall, der dem Generalsekretär entgegenschlägt, wenn die Massen am 1. Mai oder 7. Oktober an der Ehrentribüne vorbeiziehen, ist verordnet und keine wirkliche Begeisterung. Die Wirtschaftspolitik bringt nicht die gewünschten Erfolge, oppositionelle Stimmen werden rigoros unterdrückt, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst.
    Bundeskanzler Helmut Schmidt (von links), DDR-Staatsoberhaupt Erich Honecker, US-Präsident Gerald Ford (USA) und Österreichs Kanzler Bruno Kreisky auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1975 in Helsinki
    DDR-Staatschef Honecker neben dem bundesdeutschen Kanzler Helmut Schmidt 1975 auf der SSZE-Konferenz in Helsinki. Zu Hause immer weniger wohlgelitten, orientierte sich der SED-Chef stärker auf die internationale Bühne (picture-alliance / akg-images)

    Der SED-Chef verkennt die Zeichen der Zeit

    Zugleich sucht Erich Honecker die Anerkennung auf internationaler Ebene. Höhepunkt ist der Staatsbesuch 1987 in Bonn, wo Honecker einmal mehr jeder Wiedervereinigung einer Absage erteilt:
    "Ausgangspunkt können nur die Realitäten sein, die Existenz von zwei voneinander unabhängigen, souveränen deutschen Staaten mit unterschiedlicher sozialer Ordnung und Bündniszugehörigkeit."
    Doch der SED-Chef verkennt die Zeichen der Zeit. Während die Sowjetunion unter Michail Gorbatschow längst einen Reformprozess eingeleitet hat und DDR-Bürgerinnen und -Bürger in Massen das Land verlassen, wiederholt Honecker zum 40. Jahrestag der Staatsgründung am 7. Oktober 1989 altbekannte Phrasen:
    "Unsere Freunde in aller Welt seien versichert, dass der Sozialismus auf deutschem Boden auf unerschütterlichen Grundlagen steht."

    Honecker wird gegangen, Egon Krenz kommt

    Zehn Tage später tritt der Generalsekretär des ZK der SED zurück - nicht freiwillig. So wie er 18 Jahre zuvor Walter Ulbricht aus dem Amt gedrängt hatte, muss er jetzt seinem Nachfolger Egon Krenz weichen. Honecker bemüht sich, es als Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen zu verkaufen:
    "Infolge meiner Erkrankung und nach überstandener Operation erlaubt mir mein Gesundheitszustand nicht mehr den Einsatz an Kraft und Energie, den die Geschicke der Partei und des Volkes heute und künftg verlangen."
    Diskussion - Neues Erzählen von der DDR 30 Jahre nach der Wiedervereinigung gehen Autorinnen und Filmemacher neue Wege, um von der DDR zu erzählen – jenseits der Klischees von Täter, Mitläufer und Opfer. Können ein neuer Blick und eine spezifisch ostdeutsche Perspektive auf die Geschichte dabei helfen, die tiefgreifenden Unterschiede zwischen Ost und West zu überwinden?
    Wie es die Parteidisziplin von einem treuen Kommunisten erwartet, stimmt Erich Honecker am Ende seiner eigenen Ablösung zu.