Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Vor 65 Jahren
Weltrekord im Tiefseetauchen

Zwei Männer in einer Stahlkugel. Ganz langsam sinken sie zum Meeresboden. Nach 3.150 Metern erreichen Auguste Piccard und sein Sohn weichen Schlamm. Der Aufstieg gelingt ähnlich wie bei einem Heißluftballon. Doch das Abenteuer wird nicht die größte Herausforderung der beiden bleiben.

Von Dagmar Röhrlich | 30.09.2018
    Der Schweizer Wissenschaftler Auguste Piccard (1884-1962) und sein Sohn Jacques
    Der Schweizer Wissenschaftler Auguste Piccard (1884-1962) und sein Sohn Jacques (Picture-Alliance/KEYSTONE)
    30. September 1953, kurz nach 8 Uhr morgens. Vor Ponza, einer kleinen Insel im Tyrrhenischen Meer. Das Schaukeln hört auf. Die "Trieste" ist jetzt zu tief, als dass die Wellen ihr noch etwas anhaben können. Sie sinkt ruhig, gleichmäßig. Das Licht schwindet. Auguste und Jacques Piccard sind auf dem Weg zum Meeresgrund. Das Gurgeln des Wassers, das die Schnorchelrohre gefüllt hat, ist verstummt. Die Stille mutet beinahe gespenstisch an. Nach 400 Metern umgibt Finsternis das Tiefsee-U-Boot. Das Meer, durch das die beiden sinken, scheint leer zu sein. Nur wenn sie die Scheinwerfer ausschalten, entdecken sie etwas Leuchtplankton.
    Auguste Piccard: "Die Menschheit will die ganze Welt erforschen, und die Tiefsee ist eins der letzten Gebiete, das man noch nicht erforscht hat. Also hab ich gesucht ein Instrument zu bauen, das dem Forscher erlaubt abzusteigen in die größten Tiefen des Meeres, um dort ganz speziell die Tiere zu beobachten, die Fauna."
    Wie ein Freiballon, der ins Meer sinkt
    Auguste Piccard, geboren 1884 in Basel, war Physiker, Ingenieur, Erfinder. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er endlich seinen Jugendtraum verwirklichen können: den Bau eines Bathyskaphen, wie er das Gefährt nannte, eines "Tiefenschiffs":
    "Das Ganze ist wie ein Freiballon, man geht rein, man wird belastet und geht herunter wie in einem Fahrstuhl, ganz sanft, ohne irgendeine Erschütterung. Und dann kommt man unten an, da kann man ein bisschen anschauen, was man will, und dann, wenn man genug gesehen hat, dann drückt man auf einen Knopf und dann wird Ballast ausgelassen, man steigt herauf."
    Seit 1905 war die Idee in Auguste Piccard gereift. Damals hatte er im Bericht der deutschen Valdivia-Expedition gelesen, dass die Tiere in den Netzen meist zerquetscht wurden und mit geplatzten Zellen an Bord kamen. Man sollte sie, so folgerte der Schweizer, direkt am Meeresboden beobachten - eben mit einer Art Tiefsee-Freiballon. Einer geschmiedeten Stahlkugel, die dem enormen Druck des Wassers standhalten und die Menschen darin schützen konnte.
    "Die Gondel ist zwei Meter im Durchmesser und neun Zentimeter stark. Die ist zweimal schwerer als das verdrängte Wasser, also müssen wir einen Schwimmkörper haben, um sie zu heben."

    Der Schwimmkörper ist das Äquivalent zum gasgefüllten Ballon - nur, dass darin Benzin für den Auftrieb sorgt. Fast ein halbes Jahrhundert nach der ersten Idee ist die "Trieste" fertig. Mit ihrem Einstiegsturm, dem zigarrenförmigen Schwimmkörper und der massiven Stahlkugel, erinnert sie an eine Kreuzung aus Druckkammer und Zeppelin - mit einem Bullauge als Fenster.
    Weiches Aufsetzen auf dem Meeresboden
    Die Kapsel ist eng, mit Instrumenten vollgestopft. Gespannt beobachten Auguste und Jacques Piccard das Manometer. Es zeigt, wie die "Trieste" Meter um Meter absinkt. 2.100 Meter. Ab jetzt sind sie im "Neuwasser", wie Piccard sagt: So tief war kein Mensch je zuvor. Jedenfalls nicht lebendig. Nach etwa einer Stunde sind sie 2.600 Meter tief. Die "Trieste" sinkt weiter. 3.000 Meter unter dem Meeresspiegel. Zeit, die Fahrt zu bremsen und Ballast abzulassen - genauer: Eisenschrott, den Elektromagnete in zwei Silos festhalten. Die Entscheidung fällt zu spät. Die "Trieste" neigt sich, setzt auf - ganz sanft, weil der weiche Schlamm des Meeresbodens sie abfängt. Gefährlich ist das nicht:
    "Man muss ziemlich viel Ballastvorrat haben, damit man kann mit großer Kraft aufkommen. Als wir bei 3000 Meter waren, hatten wir noch so schätzungsweise vielleicht acht Tonnen Ballast bereit - und mit acht Tonnen Ballast, da reißt man sich auch los, auch wenn der Schlamm ein bisschen klebt."
    Durch die rückwärtige Luke sehen die beiden den Grund. Einen Augenblick lang betrachten sie die weite, weiße Ebene. Dann fällt die Entscheidung zum Auftauchen. Um 10.35 Uhr, nach zwei Stunden und 45 Minuten, sind Vater und Sohn Piccard wieder oben. Sie haben einen Weltrekord aufgestellt.
    Doch das größte Abenteuer steht noch bevor. Mit einer verbesserten "Trieste" wird Jacques Piccard am 23. Januar 1960 in den Marianengraben abtauchen - zum Challengertief, 10.916 Meter unter dem Meeresspiegel, dem wohl tiefsten Punkt der Erde im Westpazifik. Sein Vater ist nicht mehr dabei. Mit fast 77 Jahren fühlt er sich zu alt. Er überlässt die Ehre seinem Sohn - und dem US-amerikanischen Marineoffizier Don Walsh. Erst über 50 Jahre später wird es dem Filmemacher James Cameron gelingen, als dritter Mensch den Grund des Challengertiefs zu erreichen.