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Vor 70 Jahren
Die Gründung der Suchdienst-Verbindungsstelle des DRK

Wäre sie 1947 nicht gegründet worden, wäre das Schicksal Vermisster nach dem Zweiten Weltkrieg ungeklärt geblieben: die Suchdienst-Verbindungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes. Dank ihr haben bis heute Millionen Menschen zueinander gefunden. Zu Gründungsbeginn gestaltete sich die Suche jedoch schwierig.

Von Andrea Westhoff | 30.07.2017
    Eine Frau sitzt am 26.08.2016 an einem PC-Monitor in Dresden (Sachsen) und betrachtet den Flyer "Restoring Family Links" des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Suchdienst. Trotz sinkender Flüchtlingszahlen in Deutschland erwartet der Suchdienst des DRK in diesem Jahr bei der internationalen Suche nach Angehörigen eine Rekordzahl an Anfragen.
    Heute wenden sich vor allem Geflüchtete an den Suchdienst des DRK, um nach Vermissten zu fragen. (ddpa / Arno Burgi)
    "Nach Schätzungen alliierter und deutscher Sachverständiger suchen einander in Deutschland zehn Millionen Menschen. Der Soldat Fritz Unruh – geboren am 17.8.1907, sucht seine Frau Martha Unruh aus Schoschen, Kreis Heiligenbeil."
    Deutschland im Frühjahr 1945 – ein Land in Auflösung und Verzweiflung: überall Flüchtlinge, Evakuierte, Heimkehrer, gewaltsam getrennte Familien, verloren gegangene Kinder.
    "Heinz wurde mit seinen Geschwistern von russischen Soldaten in Müncheberg aufgefunden und in ein Heim gebracht."
    Soziologe und Mathematiker gründen den Suchdienst
    Zwei in Flensburg stationierte Wehrmachtsoffiziere, der später berühmt gewordene Soziologe Helmut Schelsky sowie der Mathematiker Kurt Wagner, erleben das Chaos aus nächster Nähe. Mit Unterstützung der örtlichen Rotkreuzstelle gründen sie einen Suchdienst unter dem Namen DRK Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentrale Suchkartei. Schelsky verspricht:
    "Wir sorgen dafür, wenn es den, den ihr sucht, überhaupt noch irgendwo gibt, werden wir euch das bald sagen."
    Unermüdliche Suche
    Tag und Nacht bearbeiten freiwillige Helfer – Helferinnen vor allem – die vielen unterschiedlichen Suchlisten und nehmen Vermisstenmeldungen auf. Ihr wesentliches Suchinstrument ist das "Karteibegegnungsverfahren", das schon im Ersten Weltkrieg vom Internationalen Roten Kreuz entwickelt worden war, erklärt Dorota Dziwoki, die Leiterin der Suchdienst-Leitstelle des DRK in Berlin:
    "Jeder Suchende hatte eine Suchkarte ausgefüllt für den Gesuchten und für sich eine sogenannte Stammkarte. Und diese beiden Karteikarten sind in die zentrale Namenskartei des DRK-Suchdienstes alphabetisch einsortiert worden, und wenn sich der Gesuchte dann gemeldet hat, hat dieser ebenfalls eine Suchkarte und eine Stammkarte für sich ausgefüllt, und wir konnten den verloren gegangenen Kontakt wiederherstellen."
    Erschütternde Aufrufe
    Allerdings gibt es anfangs noch keinen zentralen Suchdienst. Das wollen die vier alliierten Siegermächte nicht. Das Deutsche Rote Kreuz als nationale Institution wird 1945 sogar verboten. Stattdessen gibt es eine "Zonenzentrale Hamburg" nur für den britischen Sektor und einen Suchdienst in München für die amerikanische Zone. In Ost-Berlin richten die Sowjets im August 1946 den "Suchdienst für vermisste Deutsche in der sowjetischen Okkupationszone Deutschland" ein.
    Aber man bemüht sich doch um Zusammenarbeit. Denn die täglichen Suchmeldungen im Radio oder in den Wochenschauen der Kinos erschüttern:
    "Wolfgang, fünf Jahre alt, gefunden im Wald bei Neubrandenburg, Mecklenburg mit seinem vierjährigen Bruder Günther. Man fand ihn mit geöffneten Pulsadern."
    Am 30. Juli 1947 wird schließlich die "Suchdienst-Verbindungsstelle" in Berlin-Dahlem eingerichtet:
    "Sie hatte vor allem die Funktion, Suchanfragen zwischen den Suchdiensten oder den Zonenzentralen in Hamburg, München, Berlin und Ostberlin regelmäßig auszutauschen, damit wir Treffer bei der Suche erzielen konnten."
    Besonders wichtig für Heimkehrer aus Osteuropa
    Besonders wichtig ist diese Verbindungsstelle für Heimkehrer aus Osteuropa, deren Angehörige sich vielleicht in den Westzonen aufhalten.
    "Also wenn der Aufenthalt nicht geklärt werden konnte innerhalb von zwei, drei Tagen, war der Heimkehrer gezwungen, in der sowjetischen Besatzungszone Wohnsitz zu nehmen, und deshalb nutzte man Flugzeuge, auch Militärflugzeuge, um so schnell wie möglich die Suchanfragen auszutauschen, und die Suchdienstmitarbeiter haben damals auch nachts gearbeitet, um so effektiv wie möglich die Angehörigen ausfindig machen zu können in dem kurzen Zeitraum."
    Millionen Vermisstenschicksale geklärt
    So können schon in den ersten Nachkriegsjahren tatsächlich Millionen Vermisstenschicksale geklärt und Angehörige zusammengebracht werden. Und noch besser funktioniert der Suchdienst, als sich das Deutsche Rote Kreuz 1950 wieder als nationale Einrichtung konstituieren darf und alle Anfragen in einer Zentralen Namenkartei zusammengefasst sind.
    Die DRK-Suchdienst-Verbindungsstelle wird schließlich 1975 aufgelöst. Aber die schwierige Vermisstensuche besonders im Osten Europas geht weiter. Und mehrere hunderttausend Fälle können nach Ende des Kalten Krieges und der Wiedervereinigung 1989 noch gelöst werden, als auch die Kartei des DRK-Suchdienstes der DDR an die Zentralstelle in München übergeben wird. Hier lagern heute 50 Millionen Karteikarten, die nach und nach in eine Computerdatenbank aufgenommen werden.