Mittwoch, 24. April 2024

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Vor 75 Jahren im Transhimalaya
Zwei europäische Bergsteiger erreichen Lhasa

Fast zwei Jahre waren die Bergsteiger Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter unterwegs nach Lhasa, der abgeschotteten, "verbotenen Stadt" im Transhimalaya. Am 15. Januar 1946 empfingen sie die Tibeter. Harrers Erlebnisse wurden mit "Sieben Jahre in Tibet" 1997 sogar auf die Kino-Leinwand gebracht.

Von Irene Meichsner | 15.01.2021
    Ein Schwarzweiß-Foto zeigt de österreichischen Naturforscher, Bergsteigers und Sportler Heinrich Harrer (r) neben Peter Aufschnaiter, nach einer zweijährigen abenteuerlichen Flucht erreichten beide 1946 in die tibetanische Hauptstadt Lhasa.
    Die österreichischen Bergsteiger Heinrich Harrer (rechts) und Peter Aufschnaiter auf einer undatierten Aufnahme (picture-alliance / dpa | dpa Thomas)
    "Die waren in Schaffell-Mänteln unterwegs, hatten keine Handschuhe, sondern haben sich über die Hände Wollsocken gezogen. Und an den Füßen hatten sie Filzstiefel, die sich nach und nach aufgelöst haben. Teilweise sind sie bis zum Knie in diese kalten Bäche eingebrochen. Abends, wenn sie Glück hatten, haben sie eine Jurte der Einheimischen gefunden. Wenn nicht, konnten sie das Zelt normal nicht aufstellen, weil der Wind zu stark geblasen hat. Das haben sie sich über die Füße gezogen und haben aneinander gekauert und so die Nacht verbracht."
    So Nicholas Mailänder, Autor einer neuen Biografie des österreichischen Bergsteigers Peter Aufschnaiter.
    Fast zwei Jahre waren Heinrich Harrer und Peter Aufschnaiter unterwegs auf ihrem Weg nach Lhasa, dem geheimnisvollen Zentrum des tibetischen Buddhismus im Transhimalaja. Die beiden Österreicher trotzten Hunger und Kälte, bekamen es mit Banditen zu tun und überschritten mehr als 50 Pässe höher als 5.000 Meter – stets darum bemüht, unerkannt zu bleiben.

    Eiger-Nordwand und Nanga Parbat

    Aufschnaiter und Harrer waren erfahrene Bergsteiger. Harrer hatte sich 1938 durch die Erstbesteigung der Eiger-Nordwand einen Namen gemacht. Und ein Jahr später an einer von Aufschnaiter geleiteten Erkundungsexpedition zum Nanga Parbat teilgenommen. Im September 1939 waren die Männer vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs überrascht und gefangen genommen worden. Im April 1944 war ihnen die Flucht aus einem britischen Internierungslager gelungen, und sie hatten beschlossen, sich abseits der normalen Handelsrouten nach Lhasa durchzuschlagen. Anders als bislang angenommen, war dabei nicht Harrer die treibende Kraft, sondern der eher in sich gekehrte Aufschnaiter, der sich während der Zeit der Internierung intensiv mit der tibetischen Kultur beschäftigt hatte, sagt Nicholas Mailänder.
    "In der härtesten Phase wollte Heinrich Harrer umdrehen. Er hat gesagt: Wir treffen hier auf keine Einheimischen mehr, wenn wir hier weitergehen, dann sterben wir. Und da hat Peter Aufschnaiter gesagt: Herr Harrer, die waren noch per Sie, Herr Harrer, wenn Sie umdrehen wollen, können Sie gern umdrehen, dann gehe ich alleine weiter. Und alleine zurück zu latschen, hatte Heinrich Harrer auch keine Lust, dann ist er eben mitgetrottet."
    Szene aus dem Kinofilm "Sieben Jahre in Tibet"mit Brad Pitt als österreichischem Bergsteiger Heinrich Harrer (l) hier Stirn an Stirn mit Jamyang Wangchuk als dem jungen Dalai Lama. Regisseur Jean-Jacques Annaud erzählt in seinem Film von den Erlebnissen Harrers in Tibet. 
    Brad Pitt als Heinrich Harrer in "Sieben Jahre in Tibet", Jean-Jacques Annauds Verfilmung von Harrers gleichnamigen Buch (picture-alliance / dpa | ipol)
    Am 15. Januar 1946, nach einem Fußmarsch von über 2.000 Kilometern, war das Ziel endlich erreicht: Lhasa, die "verbotene" Stadt, die sich von der Außenwelt fast vollständig abgeschottet hatte, gegenüber den beiden Fremden aber erstaunlich offen zeigte, wie Harrer berichtete Harrer Jahrzehnte später:
    "Das Eigenartige war eben - diese Tibeter, wohl durch ihre Religion, hatten schreckliches Mitleid mit uns. Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, dass da zwei Europäer durch die nördlichen Ebenen bei dieser Kälte, wo sie selber nie hinausgehen würden, nach Lhasa gekommen waren."

    Termin beim Dalai Lama

    Die Männer kamen bei einem tibetischen Adligen unter. Und fingen an, sich nützlich zu machen. Aufschnaiter, ein gelernter Diplomlandwirt, begann mit dem Bau eines Bewässerungskanals für eine Weidenplantage. Harrer arbeitete unter anderem als Gärtner. Eines Tages ließ ihn der Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der Tibeter, zu sich rufen. Es war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft zwischen Harrer und Tenzin Gyatso, dem heute 85-jährigen Dalai Lama, der damals noch ein kleiner Junge war, erinnerte Harrer:
    "Wir haben also zusammen dann gelernt, wir haben Geografie gemacht, ich habe‘ ihm ein bisschen Mathematik beigebracht, ich habe ihm sogar ein kleines Kino gebaut, und da haben wir Filme gezeigt, die ich von den Engländern aus Indien geliehen bekam."

    Schweigen über Nazi-Sympathien

    Doch die Tage in Lhasa waren gezählt. Wegen der drohenden Invasion Tibets durch chinesische Truppen mussten die beiden Abenteurer wieder fliehen. Während Aufschnaiter in der Region blieb, kehrte Harrer 1951 nach Europa zurück. Ein Jahr später erschien sein Bestseller "Sieben Jahre in Tibet". Das Buch wurde 1997 in den USA verfilmt, mit Brad Pitt in der Rolle des Heinrich Harrer, der zur Premiere allerdings nicht eingeladen wurde. Noch während der Dreharbeiten war bekannt geworden, dass Harrer schon vor dem sogenannten Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland in die SA, später auch in die SS und NSDAP eingetreten war. Auch Aufschnaiter hatte mit den Nazis sympathisiert. Und beide hatten darüber geschwiegen.