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Vor 75 Jahren in Hessen
Als der "Marburg Central Collecting Point" aufgelöst wurde

Im mittelhessischen Marburg bildete die US-Armee nach dem Zweiten Weltkrieg eine erste Sammelstelle für Kunstwerke, die ihre "Monuments Men" in Sicherheit gebracht hatten. Doch bereits am 17. August 1946 wurde der "Marburg Central Collecting Point" wieder aufgelöst.

Von Carmela Thiele | 17.08.2021
    Kunstschutzoffiziere der US-Army, die sogenannten "Monuments Men", zwischen 1943 und 46 bei der Bergung eine Gemäldes
    Kunstschutzoffiziere der US-Army, die sogenannten "Monuments Men" bei der Bergung eine Gemäldes (IMAGO / AGB Photo)
    "Jede Ecke eines vielleicht neun Meter breiten, durch 14 Einbuchtungen gegliederten Gewölbegangs, war vollgestellt mit Regalen, gefüllt mit Skulpturen und Gemälden. Im Licht unserer Lampen kamen 400 Kunstwerke zum Vorschein. Wir entdeckten Bilder von Rembrandt, Rubens, van Dyck, Delacroix, Renoir, Cézanne, Gauguin und Vincent van Gogh, sowie stapelweise verschlossene Transportkisten von Museen aus Bonn, Köln, Wuppertal, Essen und Münster. Andere Behältnisse enthielten Kirchenschätze aus Essen, Köln und Metz."

    Zum Schutz vor Bombardierungen eingelagert

    Erinnert sich Walker Kirtland Hancock an seinen ersten großen Fund. Er war einer der "Monuments Men", die im Dienst der amerikanischen Regierung der Zerstörung bedeutender Baudenkmäler zuvorkommen und Raubkunst ausfindig machen sollten. Im Hainer Stollen bei Siegen fand der amerikanische Kulturschutzoffizier stapelweise hochrangige Kunst und Jahrhunderte altes Kulturgut, das zum Schutz vor Bombardierungen aus deutschen Museen eingelagert worden war. Der US-Captain hatte als junger Mann in Rom Bildhauerei studiert und schätzte die europäische Kultur. Er und seine Kollegen sahen es als ihre Pflicht an, alles zu retten, was dem feuchten Klima unter Tage ausgesetzt war, so der Historiker Marco Rasch:
    "Die ursprüngliche Idee und Konzeption dieser Einheit war eben, diese geraubten Werke zusammenzutragen, dass da vor allem deutsche Objekte aus zahlreichen Museen, aus Archiven und Bibliotheken zusammengetragen wurden, das hat die Amerikaner überrascht und auch anfänglich erst einmal überfordert. Und sie waren deshalb auch darauf angewiesen, dringend angewiesen, auf deutsche Unterstützung, und das führt dann zu diesem Zusammenspiel in Marburg zwischen den wenigen Kunstschützern der Amerikaner und deutschen Institutionen."
    Das Foto zeigt eine von Giuseppe Guarneri im Jahr 1706 gebaute Geige
    Entschädigung für NS-Raubgut - Historische Ohrfeige
    Zum ersten Mal seit ihrer Gründung hat die so genannte "Limbach-Kommission" eine Besitzerin von mutmaßlichem NS-Raubgut aufgefordert, ihre Entscheidung zu befolgen. Bei dem Fall geht es um eine wertvolle Guarneri-Geige.
    Von Siegen aus war Hancock nach Marburg weitergefahren, wo er schützenswerte Baudenkmäler inspizierte. Kurz nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 kam es in Marburg zur Gründung des ersten Central Collecting Point, CCP, den Hancock anfangs leitete. In der Universitätsstadt fand er das notwenige Personal. Die Aufgabe war immens. Insgesamt 4.200 Kunstwerke, 14.100 Bücher und 17.500 Regalmeter Akten wurden im Central Point Marburg begutachtet. Von der Militärregierung erging bald eine Order an die knapp zehn kleineren und drei großen US-Sammelstellen in Wiesbaden, München und Marburg, sich auf ihren ursprünglichen Auftrag zu konzentrieren:
    "Die Restitution von Raubkunst an jene Nationen, denen die Kunstwerke gesetzlich gehören, hat aus militärischer Notwendigkeit eine hohe Priorität. Collecting Points wie in Marburg sind vom Hauptquartier für diesen Zweck gegründet worden. Vom militärischen Personal und den zivilen Abteilungen wird ab sofort erwartet, mit mehr Effizienz in diesem Sinne ihrer Funktion nachzugehen."

    Kunst als völkerverbindende Macht

    Im September 1945 gab der Collecting Point Marburg unter anderem den Kathedralschatz von Metz an Frankreich zurück, 15 Gemälde an Polen und drei Reliefs an die Pariser Familie Rothschild. Obwohl eine strenge Überwachung der in die Arbeit des Collecting Points einbezogenen Deutschen verfügt worden war, kam es auch zu Annäherungen. Kunsthistoriker hielten im Collecting Point Seminare vor Originalen ab und im November 1945 konnte eine Ausstellung mit 30 Meisterwerken europäischer Kunst eröffnet werden. Die Marburger Presse schrieb:
    "Die Ausstellung ist nicht nur ein künstlerisches Ereignis, das wie alle Kunst mehr als anderes geeignet ist, den Blick über die Nöte des Tages zu erheben, sie ist auch ein politisches Ereignis. Sie bringt von neuem den Beweis, dass die Kunst auch eine völkerverbindende und versöhnende Macht hat."
    Brunnenanlage vor dem Kurhaus Wiesbaden
    Das Wiesbadener Manifest - Wie US-Offiziere deutsche Kunstsammlungen schützten
    Am 7. November 1945 protestierten US-Offiziere mit dem Wiesbadener Manifest gegen den Abtransport von über 200 bedeutenden Kunstwerken aus deutschen Museen in die Vereinigten Staaten. Dieses Manifest war ein Dokument hoher und kulturpolitischer Verantwortung.
    Doch kam es auch zu Irritationen. Die US-Regierung verfügte unter einem Vorwand den Abtransport von rund 200 Kunstwerken aus deutschen Museen in die USA. Walker Kirtland Hancock unterschrieb daraufhin eine Protestnote, das Wiesbadener Manifest, und reichte seinen Rücktritt ein. Sein Nachfolger Francis Bilodeau, ein Museumsfachmann, arbeitete eng mit den deutschen Kollegen zusammen. Nach der Schließung des ersten Central Collecting Point in Marburg am 17. August 1946 überführte Bilodeau die restlichen Bestände nach Wiesbaden, wo - neben dem CCP in München - einer der größten Art Collecting Points seine Arbeit aufgenommen hatte.