War somit die Abstimmung eine Farce?
Die Inthronisierung des Kandidaten wurde zu einer wahren Jubelshow vor 80.000 Gästen, die Nicolas Sarkozy als Startschuss für seine Kampagne nutzte, indem er, der als Polarisierer gilt, die Hand an alle zur Versöhnung und zum Wohle Frankreichs ausstreckte:
" Meine Freunde, die mich bis hierher begleitet haben, möchte ich bitten, mich loszulassen, um auf diejenigen zuzugehen, die nie meine Freunde waren, die nie zu unserem politischen Lager gehörten, auf unsere politische Familie, die uns selbst gelegentlich bekämpft hat. Wenn es um Frankreich geht: dann gibt es keine politischen Lager mehr! Ich bitte euch zu verstehen, dass ich nicht mehr nur der Kandidat der Regierungspartei UMP bin, den ihr gewählt habt, sondern dass ich die Pflicht habe, mich allen Franzosen zuzuwenden, weil ich sie überzeugen muss, dass alles möglich wird: Für Frankreich!
Meine werten Freunde, ich habe nur noch zwei Sätze, die aber aus dem Tiefsten meines Herzens kommen: Es lebe die Republik, es lebe Frankreich, unser Land, unsere Nation, unser Vaterland."
Sarkozy gab sich vor allem als Patriot, bekannte sich zu den Werten der Republik, einer, die tadellos sein sollte, in der sich Arbeit und Leistung wieder lohnen müssten. Der noch amtierende Innenminister war aber vor allem bemüht, das Image des neoliberalen Konservativen abzuschütteln, das ihm die Linke gern anhängt.
" Ich bin kein Konservativer. Ich will keinen Stillstand in Frankreich, ich will Innovation, Kreativität, den Kampf gegen die Ungerechtigkeit! Diese Ideen wollte ich in der Rechten und im republikanischen Zentrum einführen, just als die Linke sie vernachlässigte."
Sarkozy: Der mitfühlende Konservative, um die amerikanische Terminologie des 'compassionate conservative' aufzugreifen? Er würde sich gegen diesen Begriff wehren, obwohl er seine Politik wohl am ehesten umschreibt. Sarkozy selbst spricht lieber von 'rupture tranquille', vom ruhigen, vom allmählichen Bruch im Gegensatz zur gerechten Ordnung, die seine Kontrahentin, die Sozialistin Ségolène Royal zum Schlagwort ihrer Wahlkampagne auserkoren hat.
Es war Francois Mitterand, der 1981 mit dem Schlagwort 'force tranquille', der ruhigen Kraft, den Elysée Palast für die Linke eroberte. Was versteht Nicolas Sarkozy
unter 'rupture tranquille'?
" Wir müssen mit dem Verhalten, den Methoden brechen, mit der Art, wie wir über Ideen diskutieren. Wenn wir nicht die Konsequenz ziehen, dass wir unsere Art Politik zu gestalten grundlegend ändern, dann haben wir nichts aus der aktuellen Situation unseres Landes gelernt!"
Diese Worte treffen den Nerv der Zeit in Frankreich: Das Volk scheint der Eliten aus den Grandes Ecoles, den Kaderschmiede-Universitäten, überdrüssig, die die Macht stets unter sich verteilen, Ämter häufen, und - wie gerade vom Präsidenten Chirac für seine wichtigsten Mitarbeiter angedacht - sich zum Ende der politischen Mandatszeit schnell noch mit schönen Posten versorgen.
Aus gutem Grund hat Nicolas Sarkozy seinen einstigen Lieblingsslogan von der 'rupture' in letzter Zeit weniger und bei der Kandidatenkür so gut wie gar nicht in den Mund genommen. Muss er sich doch vorhalten lassen, selbst als Innen- und früherer Haushaltsminister das Spiel mitgemacht zu haben! Weshalb hat die Nummer zwei in der Regierung nicht ausreichenden Einfluss, um mit der Tradition, der Politik alten Stils zu brechen?
Der Populist Sarkozy hat zudem Konkurrenz bekommen: Denn Ségolène Royal, die charmante und attraktive Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, die einer partizipativen Demokratie das Wort redet, verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes viel eher den Wandel, den Bruch: Könnte sie doch die erste Frau in Frankreich werden, die das höchste Amt im Staat bekleidet. In den Umfragen liegen die Sozialistin und der Innenminister etwa gleich auf.
Dennoch schwebt wie ein Damoklesschwert eine mögliche Kandidatur des Präsidenten Jacques Chirac höchstpersönlich über den Ambitionen des ersten Polizisten Frankreichs, wie der hart durchgreifende Innenminister Sarkozy gern genannt wird. Auf die direkte Frage, ob er denn ein drittes Mal kandidiere, was die französische Verfassung noch zulässt, meinte der Präsident beim Neujahrsempfang für die Presse:
" Das ist in der Tat einen Gedanken wert, und ich werde auch nachdenken. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich die Franzosen und Französinnen meine Entscheidung wissen lassen. Die richtet sich allein nach einem Kriterium: dem nationalen Interesse."
Chirac lässt seinen in Ungnade gefallenen politischen Ziehsohn bewusst zappeln. Der Präsident ist nachtragend. Er hat es Nicolas Sarkozy nie so recht verziehen, dass er sich 1995 im Wahlkampf für den damaligen Premierminister Edouard Balladur als konservativen Kandidaten ausgesprochen hatte. Rache ist süß, zumal Chirac klar ist, dass Sarkozy's Schlagwort vom Bruch mit der Politik klassischen Stils gegen ihn, gegen das System Chirac gerichtet ist! Niemand glaubt freilich ernsthaft an eine Kandidatur Chiracs, auch wenn seine einflussreiche Gattin Bernadette unlängst per Interview verkünden ließ: die Messe sei noch nicht gelesen.
Vier Fünftel aller Franzosen wünschen sich jedenfalls den Abgang des Mannes, der als grenzenloser Opportunist gilt und jahrzehntelang die Politik Frankreichs bestimmt hat: Sei es als Minister, Premierminister, Bürgermeister von Paris oder zuletzt als Präsident. Viele Franzosen haben auch nicht vergessen, dass sie 2002 beim zweiten Wahlgang quasi keine wirkliche Wahl hatten: Denn sie konnten nur zwischen Jacques Chirac und dem rechtsradikalen Jean Marie Le Pen von der Nationalen Front, Front National, entscheiden.
Ist nun Chirac bereit, alles zu riskieren, nur um Sarkozy auf die Verliererstraße zu schicken? Etwa indem er seinen Intimus, Premierminister Dominique de Villepin, als Kandidaten ins Rennen schickt?
Erstaunlich ist, dass nahezu zwei Fünftel der Franzosen dem Präsidenten und dem von ihm favorisierten Premierminister Dominique de Villepin genau das zutrauen! Lediglich eine Minderheit glaubt, dass de Villepin und Chirac ernsthaft einen Sieg des quirligen Anwalts bei der Präsidentschaftswahl wünschen.
Viele Optionen bleiben Chirac freilich nicht mehr.
Immerhin hat der Parteivorsitzende und Präsidentschaftsanwärter Sarkozy seit dem Wochenende eine Sorge weniger: Seit Michèle Alliot Marie, die Chirac ergebene Verteidigungsministerin, den Gedanken an eine eigene Kandidatur endgültig verworfen hat. Die Nummer drei der Regierung hatte offenbar die Nase voll, bei den von der UMP inszenierten Pseudodebatten diejenige zu sein, die für die Chiracisten in den Ring steigt und sich gegen den populären und rhetorisch brillanten Innenminister eine blutige Nase holt!
De Villepin chancenlos, Chirac unpopulär, Alliot Marie als Verbündete: Ist damit die Gefahr aus den eigenen Reihen für Sarkozy gebannt? Der frühere Premierminister Jean Pierre Raffarin, der bei einer Wahl Sarkozys zum Präsidenten Parteichef werden könnte, gibt sich zuversichtlich, dass das konservative Lager am Ende geschlossen dastehen wird.
" Im Laufe dieses Trimesters wird der Präsident bekanntgeben, was seiner Meinung nach im nationalen Interesse liegt. Das wird die Zeit des Präsidenten sein. Gleich wie die Situation zu diesem Zeitpunkt sein mag, glaube ich, dass es eine gemeinsame Strategie zwischen dem Präsidenten der Republik und dem Vorsitzenden der Partei geben wird, die der Präsident mitgegründet und fünf Jahre lang unterstützt hat."
Theoretisch könnte Chirac seine Entscheidung bis zum 16. März hinauszögern: An diesem Tag müssen die Unterschriften der so genannten Paten der Präsidentschaftskandidaten vorliegen. Jeder Kandidat muss die Unterstützung von mindestens 500 gewählten Volksvertretern auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene aus 30 verschiedenen Departements nachweisen, um tatsächlich antreten zu können. Am 20. März wird dann die offizielle Liste aller Kandidaten bekanntgegeben! In Erwartung von Chiracs Entscheidung bleibt Sarkozy im Grunde nur die Flucht nach vorn. Rassemblement: Die Partei einen, auch die Chiracisten möglichst rasch in sein Lager zu ziehen, lautet seine Hauptaufgabe. Um seine Energien zu bündeln, wird er das Innenministerium aufgeben.
Wann? Aus der Antwort macht Sarkozy ebenso ein Geheimnis wie der Präsident aus seiner Entscheidung über eine dritte Amtszeit. Als erster Polizist Frankreichs will Sarkozy noch das neue Gesetz zur Kriminalitätsbekämpfung durch's Parlament bringen. Vorgesehen ist darin eine härtere Gangart insbesondere mit jugendlichen Straftätern. Sarkozy will seinem Ruf als Mann, der handelt, der durchgreift, gerecht werden. Mit Stolz zog er denn auch Bilanz als Innenminister just am Nachmittag des Tages, an dem Präsident Chirac die Presse zum Neujahrsempfang geladen hatte.
" Zum vierten Mal in Folge ist im vergangenen Jahr die Kriminalität in Frankreich rückläufig. Im Zeitraum von 1997 bis 2002 war die Zahl der Delikte nach den gleichen statistischen Erhebungsmethoden um 17,8 Prozent gestiegen. Seither verzeichnen wir einen Rückgang um 9,4 Prozent.
Noch beeindruckender freilich ist, dass diese Verbesserung der Sicherheitslage überall in Frankreich zu verzeichnen ist!"
Die Botschaft ist klar: Unter den fünf Jahren sozialistischer Regierung Jospin von 1997 bis 2002 nahm die Kriminalität zu: Der Innenminister Sarkozy indes greift durch, und die Zahl der Delikte nimmt ab.
Überall in den europäischen Industrienationen sei die Kriminalität dank modernster Überwachungs- und Ermittlungsmethoden rückläufig, merken Kritiker an, die zudem auf die gestiegene Zahl körperlicher Gewaltakte verweisen. Vorgeworfen wird Sarkozy überdies, durch die Abschaffung der Polizeistationen in den Wohnvierteln und durch seine undiplomatische Sprache die Spannungen in der Banlieue, in den problematischen Vororten der großen Städte vergrößert zu haben. Zum Jahreswechsel brannten dieses Jahr nur 400 Autos: ein paar weniger als im Krisenjahr davor, als die Banlieue im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen aufging und der Ausnahmezustand ausgerufen worden war.
Dennoch: Die harte, entschlossene Art des Innenministers kommt in der breiten, eher bürgerlichen Bevölkerung an. Der scheint Sarkozy sogar aus dem Herzen zu sprechen, wenn er - wie seinerzeit - die randalierenden Jugendlichen aus den Vororten als Gesindel bezeichnet, das er mit dem Sandstrahler reinigen wollte.
" Diejenigen, die mit echter Munition in Kopfhöhe auf die Sicherheitskräfte geschossen haben, diejenigen, die den Bus angesteckt haben, in dem der Behinderte saß, dessen Töchter ich getroffen habe, diejenigen, die einen Bus mit Steinen beworfen und ein 18 Monate altes Kind so ins Krankenhaus gebracht haben, bezeichne ich als Spitzbuben und Gesindel. Dazu stehe ich und daran halte ich fest."
Mittlerweile gibt sich auch le premier flic de la France, der erste Polizist Frankreichs, etwas moderater, er hat um den Jahrestag der Krawalle sogar Jugendliche aus den Banlieue empfangen.
Auf viele Stimmen wird er bei dieser Wählergruppe nicht zählen können. Sarkozy ist dort zur Hassfigur geworden.
Rapper Joestarr hat dem Innenminister gar ein Lied gewidmet: "Sarkozy will uns mit dem Dampfstrahler reinigen.....". Nicolas Sarkozy, der Sohn eines ungarischen Immigranten und einer griechischen Jüdin, spaltet wie kaum eine andere politische Figur Frankreich! Die Linke verteufelt ihn gern als neoliberalen Pro-Amerikaner. Der frühere sozialistische Premierminister Laurent Fabius:
" Herr Sarkozy ist kein überzeugter Europäer wie wir, der die Interessen Frankreichs verteidigt. Er ist vor allem ein Pro-Amerikaner. Wir brauchen an der Spitze des Staates niemanden, der sich vornimmt, der Pudel des amerikanischen Präsidenten zu sein."
In der Tat strebt Sarkozy ein engeres Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika an, was er bei einem Besuch im Weißen Haus kürzlich auch deutlich machte. Diese Annäherung ist Chirac suspekt, dessen Opposition zum Irakkrieg im Land sehr anerkannt wird und als eine der wenigen positiven Elemente seiner Präsidentschaft angesehen wird.
Wofür steht aber der Kandidat der UMP? Wie die sozialistische Kandidatin Segolène Royal, die mit ihm fast gleichauf an der Spitze der Meinungsumfragen liegt, hält sich Sarkozy mit Details eher zurück. Im Verlauf des Wahlkampfes - also ab sofort - wird sich der Kandidat offenbaren: Drei Mal pro Woche zu drei verschiedenen Themen an drei verschiedenen Orten im Land. Einige Konturen lassen sich freilich schon zeichnen:
" Ich will, dass der Staat gezwungen wird, jedem mindestens die Hälfte von dem zu lassen, was er verdient hat. Alles ist besser als ausgerechnet den Arbeitnehmer zu besteuern, der Wohlstand schafft. Ich besteuere lieber den Umweltverschmutzer als den Arbeiter, die Importe, die nicht die internationalen Regeln beachten lieber als die Arbeit, und ich denke eher über Kosumsteuern nach als die Arbeit zu besteuern. Denn durch Arbeit schafft man Arbeit! Arbeit hilft uns unseren Haushalt auszugleichen, und durch Arbeit wird Frankreich wieder zu einer Republik der Brüderlichkeit! Das ist unser Wirtschaftsprogramm!"
Arbeit soll sich wieder lohnen: Deshalb plädiert Sarkozy für die Abschaffung von Steuern und Sozialabgaben auf Überstunden, will den Arbeitsmarkt flexibilisieren, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst abbauen, dafür höhere, leistungsbezogene Löhne zahlen und die Staatsschulden abbauen. Die Staatsverschuldung insgesamt soll binnen fünf Jahren wieder unter die Maastrichtgrenze von 60 Prozent des Bruttosozialproduktes rutschen, der Anstieg des Ausgabenvolumens des Staates auf 1,5 Prozent begrenzt und Vollbeschäftigung angestrebt werden.
Seinem Law and Order Image will Sarkozy durch härtere Strafen für Wiederholungstäter und Jugendliche, mehr Rechenschaftslegung durch die Richter und energischem Kampf gegen illegale Einwanderung gerecht werden. Allein im letzten Jahr wurden mit 24.000 140 Prozent mehr Personen abgeschoben als im Vorjahr!
Den Obdachlosen, deren Not dank der Initiative der Organisation Kinder von Don Quixote über die Feiertage die französische Öffentlichkeit beschäftigte, verspricht er: Alle haben in zwei Jahren nach seiner Wahl zum Präsidenten ein Dach überm Kopf. Die Türkei hat im EU-Europa für ihn keinen Platz. Für sie strebt der konservative Kandidat eine privilegierte Partnerschaft und generell eine Pause beim Erweiterungsprozess an. Den EU Verfassungsvertrag will Sarkozy in Auszügen und veränderter Form durchs Parlament ratifizieren lassen. Vor allem aber wettert er, die Europäsche Zentralbank sei schuld an der wirtschaftlichen Misere: Er würde wieder gern mehr Einfluss auf die Geldpolitik nehmen.
In der Europapolitik zeichnet sich da durchaus ein Gegensatz zur Position der Sozialisten ab, die die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht in Frage stellen und unter anderem bereit wären, die Türkei aufzunehmen, vorausgesetzt, sie erfüllt die Bedingungen, und die Franzosen stimmen per Referendum zu. Zudem wollen die Sozialisten den deutsch-französischen Motor wieder in Schwung bringen. Europa soll einen reduzierten Verfassungsvertrag zur Reform der Institutionen mit zusätzlicher sozialer Komponente bekommen. Fraktionschef Jean Marc Ayrault:
" Sarkozys Modell in der Politik ist Chirac. Viele, viele Versprechungen, aber ohne politische Vision für Europa. "
Dennoch wird die Europafrage nicht im Vordergrund des Wahlkampfes stehen.
Kaufkraft, soziale Ausgrenzung, Klimawandel, Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Politik: Das sind die wahlentscheidenden Themen für die zur Stunde rund 40 Kandidaten.
Längst nicht alle von diesen werden am 22. April auch auf den Wahlzetteln zu finden sein. Selbst der Rechtsradikale Jean Marie Le Pen von der Nationalen Front, der laut Umfragen auf bis zu 17 Prozent kommen könnte, ist nicht sicher, die von der Verfassung vorgeschriebenen 500 Unterschriften von politischen Paten zu bekommen.
Sicher im Rennen sind zur Stunde nur: Kommunistenchefin Marie-George Buffet sowie Arlette Laguiller von der Lutte Ouvriére am linken Spektrum; Francois Bayrou von der Partei UDF als Mann des Zentrums; natürlich die Sozialistin Ségolène Royal und seit gestern Nicolas Sarkozy. Letztere beiden dürften das Rennen wohl unter sich ausmachen. Die Franzosen bekommen zwar nicht ihre Traumkandidaten, dafür aber ihr Wunschduell.
Die Inthronisierung des Kandidaten wurde zu einer wahren Jubelshow vor 80.000 Gästen, die Nicolas Sarkozy als Startschuss für seine Kampagne nutzte, indem er, der als Polarisierer gilt, die Hand an alle zur Versöhnung und zum Wohle Frankreichs ausstreckte:
" Meine Freunde, die mich bis hierher begleitet haben, möchte ich bitten, mich loszulassen, um auf diejenigen zuzugehen, die nie meine Freunde waren, die nie zu unserem politischen Lager gehörten, auf unsere politische Familie, die uns selbst gelegentlich bekämpft hat. Wenn es um Frankreich geht: dann gibt es keine politischen Lager mehr! Ich bitte euch zu verstehen, dass ich nicht mehr nur der Kandidat der Regierungspartei UMP bin, den ihr gewählt habt, sondern dass ich die Pflicht habe, mich allen Franzosen zuzuwenden, weil ich sie überzeugen muss, dass alles möglich wird: Für Frankreich!
Meine werten Freunde, ich habe nur noch zwei Sätze, die aber aus dem Tiefsten meines Herzens kommen: Es lebe die Republik, es lebe Frankreich, unser Land, unsere Nation, unser Vaterland."
Sarkozy gab sich vor allem als Patriot, bekannte sich zu den Werten der Republik, einer, die tadellos sein sollte, in der sich Arbeit und Leistung wieder lohnen müssten. Der noch amtierende Innenminister war aber vor allem bemüht, das Image des neoliberalen Konservativen abzuschütteln, das ihm die Linke gern anhängt.
" Ich bin kein Konservativer. Ich will keinen Stillstand in Frankreich, ich will Innovation, Kreativität, den Kampf gegen die Ungerechtigkeit! Diese Ideen wollte ich in der Rechten und im republikanischen Zentrum einführen, just als die Linke sie vernachlässigte."
Sarkozy: Der mitfühlende Konservative, um die amerikanische Terminologie des 'compassionate conservative' aufzugreifen? Er würde sich gegen diesen Begriff wehren, obwohl er seine Politik wohl am ehesten umschreibt. Sarkozy selbst spricht lieber von 'rupture tranquille', vom ruhigen, vom allmählichen Bruch im Gegensatz zur gerechten Ordnung, die seine Kontrahentin, die Sozialistin Ségolène Royal zum Schlagwort ihrer Wahlkampagne auserkoren hat.
Es war Francois Mitterand, der 1981 mit dem Schlagwort 'force tranquille', der ruhigen Kraft, den Elysée Palast für die Linke eroberte. Was versteht Nicolas Sarkozy
unter 'rupture tranquille'?
" Wir müssen mit dem Verhalten, den Methoden brechen, mit der Art, wie wir über Ideen diskutieren. Wenn wir nicht die Konsequenz ziehen, dass wir unsere Art Politik zu gestalten grundlegend ändern, dann haben wir nichts aus der aktuellen Situation unseres Landes gelernt!"
Diese Worte treffen den Nerv der Zeit in Frankreich: Das Volk scheint der Eliten aus den Grandes Ecoles, den Kaderschmiede-Universitäten, überdrüssig, die die Macht stets unter sich verteilen, Ämter häufen, und - wie gerade vom Präsidenten Chirac für seine wichtigsten Mitarbeiter angedacht - sich zum Ende der politischen Mandatszeit schnell noch mit schönen Posten versorgen.
Aus gutem Grund hat Nicolas Sarkozy seinen einstigen Lieblingsslogan von der 'rupture' in letzter Zeit weniger und bei der Kandidatenkür so gut wie gar nicht in den Mund genommen. Muss er sich doch vorhalten lassen, selbst als Innen- und früherer Haushaltsminister das Spiel mitgemacht zu haben! Weshalb hat die Nummer zwei in der Regierung nicht ausreichenden Einfluss, um mit der Tradition, der Politik alten Stils zu brechen?
Der Populist Sarkozy hat zudem Konkurrenz bekommen: Denn Ségolène Royal, die charmante und attraktive Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, die einer partizipativen Demokratie das Wort redet, verkörpert im wahrsten Sinne des Wortes viel eher den Wandel, den Bruch: Könnte sie doch die erste Frau in Frankreich werden, die das höchste Amt im Staat bekleidet. In den Umfragen liegen die Sozialistin und der Innenminister etwa gleich auf.
Dennoch schwebt wie ein Damoklesschwert eine mögliche Kandidatur des Präsidenten Jacques Chirac höchstpersönlich über den Ambitionen des ersten Polizisten Frankreichs, wie der hart durchgreifende Innenminister Sarkozy gern genannt wird. Auf die direkte Frage, ob er denn ein drittes Mal kandidiere, was die französische Verfassung noch zulässt, meinte der Präsident beim Neujahrsempfang für die Presse:
" Das ist in der Tat einen Gedanken wert, und ich werde auch nachdenken. Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, werde ich die Franzosen und Französinnen meine Entscheidung wissen lassen. Die richtet sich allein nach einem Kriterium: dem nationalen Interesse."
Chirac lässt seinen in Ungnade gefallenen politischen Ziehsohn bewusst zappeln. Der Präsident ist nachtragend. Er hat es Nicolas Sarkozy nie so recht verziehen, dass er sich 1995 im Wahlkampf für den damaligen Premierminister Edouard Balladur als konservativen Kandidaten ausgesprochen hatte. Rache ist süß, zumal Chirac klar ist, dass Sarkozy's Schlagwort vom Bruch mit der Politik klassischen Stils gegen ihn, gegen das System Chirac gerichtet ist! Niemand glaubt freilich ernsthaft an eine Kandidatur Chiracs, auch wenn seine einflussreiche Gattin Bernadette unlängst per Interview verkünden ließ: die Messe sei noch nicht gelesen.
Vier Fünftel aller Franzosen wünschen sich jedenfalls den Abgang des Mannes, der als grenzenloser Opportunist gilt und jahrzehntelang die Politik Frankreichs bestimmt hat: Sei es als Minister, Premierminister, Bürgermeister von Paris oder zuletzt als Präsident. Viele Franzosen haben auch nicht vergessen, dass sie 2002 beim zweiten Wahlgang quasi keine wirkliche Wahl hatten: Denn sie konnten nur zwischen Jacques Chirac und dem rechtsradikalen Jean Marie Le Pen von der Nationalen Front, Front National, entscheiden.
Ist nun Chirac bereit, alles zu riskieren, nur um Sarkozy auf die Verliererstraße zu schicken? Etwa indem er seinen Intimus, Premierminister Dominique de Villepin, als Kandidaten ins Rennen schickt?
Erstaunlich ist, dass nahezu zwei Fünftel der Franzosen dem Präsidenten und dem von ihm favorisierten Premierminister Dominique de Villepin genau das zutrauen! Lediglich eine Minderheit glaubt, dass de Villepin und Chirac ernsthaft einen Sieg des quirligen Anwalts bei der Präsidentschaftswahl wünschen.
Viele Optionen bleiben Chirac freilich nicht mehr.
Immerhin hat der Parteivorsitzende und Präsidentschaftsanwärter Sarkozy seit dem Wochenende eine Sorge weniger: Seit Michèle Alliot Marie, die Chirac ergebene Verteidigungsministerin, den Gedanken an eine eigene Kandidatur endgültig verworfen hat. Die Nummer drei der Regierung hatte offenbar die Nase voll, bei den von der UMP inszenierten Pseudodebatten diejenige zu sein, die für die Chiracisten in den Ring steigt und sich gegen den populären und rhetorisch brillanten Innenminister eine blutige Nase holt!
De Villepin chancenlos, Chirac unpopulär, Alliot Marie als Verbündete: Ist damit die Gefahr aus den eigenen Reihen für Sarkozy gebannt? Der frühere Premierminister Jean Pierre Raffarin, der bei einer Wahl Sarkozys zum Präsidenten Parteichef werden könnte, gibt sich zuversichtlich, dass das konservative Lager am Ende geschlossen dastehen wird.
" Im Laufe dieses Trimesters wird der Präsident bekanntgeben, was seiner Meinung nach im nationalen Interesse liegt. Das wird die Zeit des Präsidenten sein. Gleich wie die Situation zu diesem Zeitpunkt sein mag, glaube ich, dass es eine gemeinsame Strategie zwischen dem Präsidenten der Republik und dem Vorsitzenden der Partei geben wird, die der Präsident mitgegründet und fünf Jahre lang unterstützt hat."
Theoretisch könnte Chirac seine Entscheidung bis zum 16. März hinauszögern: An diesem Tag müssen die Unterschriften der so genannten Paten der Präsidentschaftskandidaten vorliegen. Jeder Kandidat muss die Unterstützung von mindestens 500 gewählten Volksvertretern auf kommunaler, regionaler oder nationaler Ebene aus 30 verschiedenen Departements nachweisen, um tatsächlich antreten zu können. Am 20. März wird dann die offizielle Liste aller Kandidaten bekanntgegeben! In Erwartung von Chiracs Entscheidung bleibt Sarkozy im Grunde nur die Flucht nach vorn. Rassemblement: Die Partei einen, auch die Chiracisten möglichst rasch in sein Lager zu ziehen, lautet seine Hauptaufgabe. Um seine Energien zu bündeln, wird er das Innenministerium aufgeben.
Wann? Aus der Antwort macht Sarkozy ebenso ein Geheimnis wie der Präsident aus seiner Entscheidung über eine dritte Amtszeit. Als erster Polizist Frankreichs will Sarkozy noch das neue Gesetz zur Kriminalitätsbekämpfung durch's Parlament bringen. Vorgesehen ist darin eine härtere Gangart insbesondere mit jugendlichen Straftätern. Sarkozy will seinem Ruf als Mann, der handelt, der durchgreift, gerecht werden. Mit Stolz zog er denn auch Bilanz als Innenminister just am Nachmittag des Tages, an dem Präsident Chirac die Presse zum Neujahrsempfang geladen hatte.
" Zum vierten Mal in Folge ist im vergangenen Jahr die Kriminalität in Frankreich rückläufig. Im Zeitraum von 1997 bis 2002 war die Zahl der Delikte nach den gleichen statistischen Erhebungsmethoden um 17,8 Prozent gestiegen. Seither verzeichnen wir einen Rückgang um 9,4 Prozent.
Noch beeindruckender freilich ist, dass diese Verbesserung der Sicherheitslage überall in Frankreich zu verzeichnen ist!"
Die Botschaft ist klar: Unter den fünf Jahren sozialistischer Regierung Jospin von 1997 bis 2002 nahm die Kriminalität zu: Der Innenminister Sarkozy indes greift durch, und die Zahl der Delikte nimmt ab.
Überall in den europäischen Industrienationen sei die Kriminalität dank modernster Überwachungs- und Ermittlungsmethoden rückläufig, merken Kritiker an, die zudem auf die gestiegene Zahl körperlicher Gewaltakte verweisen. Vorgeworfen wird Sarkozy überdies, durch die Abschaffung der Polizeistationen in den Wohnvierteln und durch seine undiplomatische Sprache die Spannungen in der Banlieue, in den problematischen Vororten der großen Städte vergrößert zu haben. Zum Jahreswechsel brannten dieses Jahr nur 400 Autos: ein paar weniger als im Krisenjahr davor, als die Banlieue im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen aufging und der Ausnahmezustand ausgerufen worden war.
Dennoch: Die harte, entschlossene Art des Innenministers kommt in der breiten, eher bürgerlichen Bevölkerung an. Der scheint Sarkozy sogar aus dem Herzen zu sprechen, wenn er - wie seinerzeit - die randalierenden Jugendlichen aus den Vororten als Gesindel bezeichnet, das er mit dem Sandstrahler reinigen wollte.
" Diejenigen, die mit echter Munition in Kopfhöhe auf die Sicherheitskräfte geschossen haben, diejenigen, die den Bus angesteckt haben, in dem der Behinderte saß, dessen Töchter ich getroffen habe, diejenigen, die einen Bus mit Steinen beworfen und ein 18 Monate altes Kind so ins Krankenhaus gebracht haben, bezeichne ich als Spitzbuben und Gesindel. Dazu stehe ich und daran halte ich fest."
Mittlerweile gibt sich auch le premier flic de la France, der erste Polizist Frankreichs, etwas moderater, er hat um den Jahrestag der Krawalle sogar Jugendliche aus den Banlieue empfangen.
Auf viele Stimmen wird er bei dieser Wählergruppe nicht zählen können. Sarkozy ist dort zur Hassfigur geworden.
Rapper Joestarr hat dem Innenminister gar ein Lied gewidmet: "Sarkozy will uns mit dem Dampfstrahler reinigen.....". Nicolas Sarkozy, der Sohn eines ungarischen Immigranten und einer griechischen Jüdin, spaltet wie kaum eine andere politische Figur Frankreich! Die Linke verteufelt ihn gern als neoliberalen Pro-Amerikaner. Der frühere sozialistische Premierminister Laurent Fabius:
" Herr Sarkozy ist kein überzeugter Europäer wie wir, der die Interessen Frankreichs verteidigt. Er ist vor allem ein Pro-Amerikaner. Wir brauchen an der Spitze des Staates niemanden, der sich vornimmt, der Pudel des amerikanischen Präsidenten zu sein."
In der Tat strebt Sarkozy ein engeres Verhältnis zu den Vereinigten Staaten von Amerika an, was er bei einem Besuch im Weißen Haus kürzlich auch deutlich machte. Diese Annäherung ist Chirac suspekt, dessen Opposition zum Irakkrieg im Land sehr anerkannt wird und als eine der wenigen positiven Elemente seiner Präsidentschaft angesehen wird.
Wofür steht aber der Kandidat der UMP? Wie die sozialistische Kandidatin Segolène Royal, die mit ihm fast gleichauf an der Spitze der Meinungsumfragen liegt, hält sich Sarkozy mit Details eher zurück. Im Verlauf des Wahlkampfes - also ab sofort - wird sich der Kandidat offenbaren: Drei Mal pro Woche zu drei verschiedenen Themen an drei verschiedenen Orten im Land. Einige Konturen lassen sich freilich schon zeichnen:
" Ich will, dass der Staat gezwungen wird, jedem mindestens die Hälfte von dem zu lassen, was er verdient hat. Alles ist besser als ausgerechnet den Arbeitnehmer zu besteuern, der Wohlstand schafft. Ich besteuere lieber den Umweltverschmutzer als den Arbeiter, die Importe, die nicht die internationalen Regeln beachten lieber als die Arbeit, und ich denke eher über Kosumsteuern nach als die Arbeit zu besteuern. Denn durch Arbeit schafft man Arbeit! Arbeit hilft uns unseren Haushalt auszugleichen, und durch Arbeit wird Frankreich wieder zu einer Republik der Brüderlichkeit! Das ist unser Wirtschaftsprogramm!"
Arbeit soll sich wieder lohnen: Deshalb plädiert Sarkozy für die Abschaffung von Steuern und Sozialabgaben auf Überstunden, will den Arbeitsmarkt flexibilisieren, die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst abbauen, dafür höhere, leistungsbezogene Löhne zahlen und die Staatsschulden abbauen. Die Staatsverschuldung insgesamt soll binnen fünf Jahren wieder unter die Maastrichtgrenze von 60 Prozent des Bruttosozialproduktes rutschen, der Anstieg des Ausgabenvolumens des Staates auf 1,5 Prozent begrenzt und Vollbeschäftigung angestrebt werden.
Seinem Law and Order Image will Sarkozy durch härtere Strafen für Wiederholungstäter und Jugendliche, mehr Rechenschaftslegung durch die Richter und energischem Kampf gegen illegale Einwanderung gerecht werden. Allein im letzten Jahr wurden mit 24.000 140 Prozent mehr Personen abgeschoben als im Vorjahr!
Den Obdachlosen, deren Not dank der Initiative der Organisation Kinder von Don Quixote über die Feiertage die französische Öffentlichkeit beschäftigte, verspricht er: Alle haben in zwei Jahren nach seiner Wahl zum Präsidenten ein Dach überm Kopf. Die Türkei hat im EU-Europa für ihn keinen Platz. Für sie strebt der konservative Kandidat eine privilegierte Partnerschaft und generell eine Pause beim Erweiterungsprozess an. Den EU Verfassungsvertrag will Sarkozy in Auszügen und veränderter Form durchs Parlament ratifizieren lassen. Vor allem aber wettert er, die Europäsche Zentralbank sei schuld an der wirtschaftlichen Misere: Er würde wieder gern mehr Einfluss auf die Geldpolitik nehmen.
In der Europapolitik zeichnet sich da durchaus ein Gegensatz zur Position der Sozialisten ab, die die Unabhängigkeit der Zentralbank nicht in Frage stellen und unter anderem bereit wären, die Türkei aufzunehmen, vorausgesetzt, sie erfüllt die Bedingungen, und die Franzosen stimmen per Referendum zu. Zudem wollen die Sozialisten den deutsch-französischen Motor wieder in Schwung bringen. Europa soll einen reduzierten Verfassungsvertrag zur Reform der Institutionen mit zusätzlicher sozialer Komponente bekommen. Fraktionschef Jean Marc Ayrault:
" Sarkozys Modell in der Politik ist Chirac. Viele, viele Versprechungen, aber ohne politische Vision für Europa. "
Dennoch wird die Europafrage nicht im Vordergrund des Wahlkampfes stehen.
Kaufkraft, soziale Ausgrenzung, Klimawandel, Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Politik: Das sind die wahlentscheidenden Themen für die zur Stunde rund 40 Kandidaten.
Längst nicht alle von diesen werden am 22. April auch auf den Wahlzetteln zu finden sein. Selbst der Rechtsradikale Jean Marie Le Pen von der Nationalen Front, der laut Umfragen auf bis zu 17 Prozent kommen könnte, ist nicht sicher, die von der Verfassung vorgeschriebenen 500 Unterschriften von politischen Paten zu bekommen.
Sicher im Rennen sind zur Stunde nur: Kommunistenchefin Marie-George Buffet sowie Arlette Laguiller von der Lutte Ouvriére am linken Spektrum; Francois Bayrou von der Partei UDF als Mann des Zentrums; natürlich die Sozialistin Ségolène Royal und seit gestern Nicolas Sarkozy. Letztere beiden dürften das Rennen wohl unter sich ausmachen. Die Franzosen bekommen zwar nicht ihre Traumkandidaten, dafür aber ihr Wunschduell.