Donnerstag, 28. März 2024

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Vor den Wahlen in Sachsen
"Über allem liegt der Populismus"

Wenige Wochen vor den Landtagswahlen in Sachsen legt die AfD in Umfragen zu. Für Dirk Neubauer, SPD-Bürgermeister von Augustusburg, ist das Problem, dass seine Partei gute Projekte nicht vermitteln könne. "Die Leute sind nicht bereit, sich mit Fakten auseinanderzusetzen", sagte Neubauer im Dlf.

Dirk Neubauer im Gespräch mit Sarah Zerback | 09.08.2019
Neubauers SPD liegt in den Umfragewerten derzeit nur bei etwa acht Prozent. Auf die Frage, was seine Partei falsch mache, sagte Neubauer, dass viel zu wenig differenziert würde zwischen bundespolitischen Themen und Ländersachen. Die Sachsen-SPD habe dafür gesorgt, dass beispielsweise Stellenkürzungen bei der Polizei gestoppt und Kitas gestärkt wurden. Diese Fakten seien aber schwer zu vermitteln, "weil über allem der Populismus liegt", sagte Neubauer.
Zu wenig auf die Menschen konzentriert
Es seien bei den sogenannten Volksparteien allerdings auch viele Fehler gemacht worden. "Wir haben wahnsinng viel Geld in Asphalt und Infrastruktur gesteckt. Wir hätten uns mehr auf die Gesellschaft und die Menschen konzentrieren müssen", so Neubauer.
Dass die AfD im Wahlkampf von der "Wende 2.0" spricht, empfindet Neubauer als plump. Er finde es bedenklich, dass die AfD die Wende, diese "historische Einmaligkeit" für Wahlkampzwecke entere und Ängsten und Sorgen bediene. Vielmehr seien die letzten 30 Jahre im Osten eine harte Zeit gewesen, in der viele Verletzungen geschehen seien, über die aber viel zu wenig gesprochen worden wäre.

Das Interview mit Dirk Neubauer in voller Länge.
Sarah Zerback: Kurz vor den wichtigen Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen blicken wieder mal alle Richtung Osten – auch mit der Bannfrage, woran es wohl liegen mag, dass gesellschaftliche Verwerfungen dort vielleicht noch ein bisschen deutlicher zutage treten als anderswo, Populisten profitieren und Werber für Bürgerbeteiligung zu fehlen scheinen. Am Telefon ist jetzt Dirk Neubauer. Er ist seit 2013 Bürgermeister von Augustusburg, einer 4.500-Einwohner-Stadt in Mittelsachsen, als Parteiloser gewählt damals, inzwischen in der SPD einziger Sozialdemokrat dort im Stadtrat. Guten Morgen, Herr Neubauer!
Dirk Neubauer: Guten Morgen aus der Welterbe-Region Erzgebirge – brandneu sozusagen.
Aufsteller und ein Stand der AfD stehen auf einer Kundgebung zum 1. Mai auf dem Chemnitzer Marktplatz
AfD stärker als CDU Sachsen wählt anders
Die AfD habe sich in Sachsen etabliert, erklärt Dlf-Korrespondent Bastian Brandau. Die Menschen wählten aus Überzeugung AfD, das rassistische Menschenbild werde von vielen Wählern mitgetragen. Das setzt vor allem die CDU unter Druck.
Zerback: Guten Morgen dahin aus Köln. Die AfD – ich hab’s gerade erwähnt –, die wirbt ja aktuell mit der sogenannten Wende 2.0, in Brandenburg, auch bei Ihnen in Sachsen. Viele Hoffnungen der Ostdeutschen in diese erste Wende, wie Sie sagen, hätten sich nicht erfüllt, so heißt es aus der AfD zumindest. Warum zieht das im Wahlkampf in Sachsen so?
Neubauer: Nun ja, ich denke, dass die letzten 30 Jahre hier im Osten eine ziemlich harte Zeit waren. Es ist tatsächlich so, dass da viele Verletzungen geschehen sind, über die viel zu wenig gesprochen wurde bisher. Es sind ja wirklich in den 90er-Jahren sehr, sehr viele Dinge hier sehr anders geworden, es sind auch viele Erwartungen enttäuscht worden. Und ja, wir haben dann irgendwann statt zu reden das irgendwie durch ein Kümmern ersetzt und hätten ermöglichen müssen und wahnsinnig viel Geld in Asphalt und Infrastruktur investiert, in der Hoffnung, dass irgendwie was dann automatisch geht. Und ja, wir hätten vielleicht ein bisschen mehr uns auf die Gesellschaft und ihre Menschen konzentrieren müssen.
Sehr plumpes Bedienen von Wut und Sorgen
Zerback: Trotzdem noch mal die Frage: Was glauben Sie, was soll denn da eigentlich vollendet werden?
Neubauer: Na ja, ich finde es schon einigermaßen bedenklich, dass man so eine historische Einmaligkeit jetzt entert populistisch. Es sind ja mehrere solcher Slogans im Umlauf. Ich finde, das ist völlig unangemessen, zumal das im Wesentlichen ja hier nur Ängste bedient. Man benennt Sorgen, aber wenig Lösungen. Ich hab gestern erst wieder gelesen, wir halten unsere Versprechen – ich frag mich dann immer, welche Versprechen denn bitte. Also es werden wirklich tatsächlich sehr plump eine Wut und auch Sorgen bedient, aber wenig Lösung angeboten. Es ist halt tatsächlich, wie Sie es schon sagen, es ist reinweg Populismus, mehr ist es nicht tatsächlich.
Zerback: Aber es scheint ja zu ziehen, das legen zumindest die Umfragen nahe, wo sich ja CDU und AfD bei Ihnen im Bundesland immer so um den ersten Platz streiten. Ihre Partei, die SPD, liegt aktuell bei acht Prozent in Sachsen. Was machen Sie denn da falsch?
Neubauer: Wir haben natürlich ein bisschen das Problem, die CDU trifft ((betrifft)) das, glaube ich, auch, dass sehr viel Berlin gemeint ist an und für sich, ich glaube, dass die Menschen wenig differenzieren zwischen Bund und Land. Nun haben wir das zweite Problem, dass man als Juniorpartner in einer Regierung natürlich auch immer derjenige ist, der für die schlechten Sachen steht und die guten Sachen werden anders verkauft. Das hat sich jetzt ein bisschen geändert, seitdem Michael Kretschmer ist, aber Martin Dulig und unsere Abgeordneten haben die letzten Jahre wirklich einen guten Job gemacht. Wir haben Personalabbau bei der Polizei gestoppt, also die ganzen wichtigen Themen, Kita ist gestärkt worden, ich könnte das jetzt fortsetzen. Es ist sehr viel passiert, das Problem ist, dass es wirklich schwer ist inzwischen, Fakten zu vermitteln, weil über allem so dieser Populismus liegt. Ich merke das in den Gesprächen auch, die Leute sind momentan überhaupt nicht mehr offen, sich wirklich mit Fakten auseinanderzusetzen, das ist ein bisschen das Problem.
Zerback: Als Bürgermeister einer Kleinstadt, was können Sie denn da gegen Populismus und auch Rechtsextremismus ausrichten, wie machen Sie das?
Neubauer: Na ja, ich denke, dass es sehr wichtig ist, mit allen Leuten zu reden, und da muss ich auch leider sagen, dass auch unsere Partei, also eigentlich alle, das sehr lange sehr falsch gemacht haben, also dieser ausgestreckte Zeigefinger, auch der Blick aus dem Westen, der in der Berichterstattung oftmals sehr pauschal ist. Man muss sich schon die Mühe geben zu differenzieren, und nicht jeder, der mit irgendwas nicht einverstanden ist, ist ein Nazi. Natürlich haben wir ein rechtes Problem, das kann auch niemand wegdiskutieren, das ist da, keine Frage, aber man muss sich dann schon die Mühe geben, mit den Leuten einzeln zu reden und sich anzusehen, warum sie denn eigentlich mit Dingen unzufrieden sind. Nun haben wir zwei große Felder – die einen sind natürlich die Älteren, die durch die Wende wirklich Schmerz erfahren haben, ganz persönlich, es sind ja wahnsinnige Umbrüche. Ich glaube, das ist im Westen immer noch nicht so wirklich angekommen, dass hier Leute nicht nur einfach mal den Job gewechselt haben, sondern wirklich unglaubliche Dinge passiert sind, dass sie ihre Biografien teilweise abhaken mussten, dass die Wertschätzung für das Geleistete fehlt, dass man sich also quasi immer auf der Verliererstraße sieht. Und wir haben natürlich auch zweitens solche Begriffe wie Heimat und Stolz wenig besetzt, die waren immer irgendwie was Negatives, was ich überhaupt nicht verstehen kann, und damit diese Begriffe auch dem Populismus überlassen. Ich finde nach wie vor, Heimat ist nichts Schlimmes und Stolzsein auf das, was wir hier in den 30 Jahren geleistet haben, wäre jetzt auch nicht direkt verboten. Ich glaube, das wäre sehr wichtig, dass man einfach auch den Leuten sagt, hei, jetzt nehmt doch mal den Kopf hoch und seid mal ein bisschen zuversichtlicher und seid doch mal stolz drauf, was ihr hier geleistet habt.
Ausstattung der Kommunen ist wirklich hart an der Grenze
Zerback: Lassen Sie mich – da waren viele Punkte drin – noch mal einhaken, dass die AfD eben gerade im Osten in den kleinen Städten so abräumen kann, weil es denen so schlecht geht. Das ist ja eine These, Sie haben das jetzt auch so angesprochen. Aber gerade Augustusburg, würden Sie das so als Ort der Unzufriedenen beschreiben? So schlecht geht’s Ihnen da gar nicht, ne?
Neubauer: Nein, so schlecht geht’s uns nicht, aber die Leute haben natürlich irgendwie die letzten Jahre gelernt, die Ausstattung der Kommunen ist wirklich hart an der Grenze, man muss es so sagen. Ich sag mal, 95 Prozent unserer Haushaltsmittel, die wir haben, sind fest verplant, und da hat sich natürlich verstetigt, dass Leute, wenn sie herkommen und sagen, ich hab ne Idee und immer hören müssen, das können wir nicht umsetzen, weil wir das Geld nicht haben, weil wir die Möglichkeiten nicht haben, dann natürlich auch sich ein Kontrollverlust einstellt und irgendwann die Leute auch sagen, ich kann ja gar keinen Einfluss mehr nehmen. Und das ist etwas, was der Demokratie, die wir hier ja erst lernen – man muss ja immer auch sich vergegenwärtigen, wir sind immer noch hier eine Gesellschaft in Ausbildung –, ist das natürlich das falsche Signal. Und deshalb glaube ich tatsächlich, wir müssen sehr, sehr viele ganz anders machen.
Zerback: Da schließt sich natürlich die Frage an, was denn und warum es eben so schwer ist, da den Wählerinnen und Wählern zu zeigen, dass Sie für sie da sind, also eben gerade mit Politik an der Basis, die da bei Menschen ankommt.
Neubauer: Wir Bürgermeister haben es da noch relativ einfach, weil wir sind ja wirklich jeden Tag vor Ort, und ich denke, dass viele meiner Kollegen – da spreche ich jetzt reinen Herzens wirklich für den überwiegenden Teil – das auch tun und wirklich bemüht sind, das, was die Leute bewegt, irgendwie aufzunehmen. Wir müssen aber tatsächlich dieses Kümmern wirklich reduzieren auf die Leute, um die wir uns kümmern müssen, und müssen es ersetzen durch Ermöglichung. Und Ermöglichung hat was damit zu tun, dass eine Stadt Möglichkeiten hat, das heißt also, dass wir Macht teilen müssen, dass der Landtag das Vertrauen – also so eine Misstrauensgeschichte haben wir ja hier … Wir stellen ja das ganze Geld, was zur Verfügung steht, immer unter den Fördermittelvorbehalt. Das ist ja nichts anderes als Misstrauen, das ist ja nichts anderes, als zu sagen, wir glauben euch nicht, dass ihr mit dem Geld vernünftig umgeht. Und das muss aufhören. Wir müssen die Kommunen wirklich so ausstatten, dass sie tatsächlich hier vor Ort mit den gewählten Gremien, die wir haben, wirklich auch Entscheidungen treffen, selber priorisieren, selber machen, damit die Leute auch merken, es geht hier wieder um mich und meine Stadt und ich kann Einfluss nehmen. Dann kommen die Leute auch wieder und machen mit. Wir haben hier solche Projekte, wir haben eine Plattform, meinaugustusburg.de, wo wir jedes Jahr 50.000 Euro zur Verfügung stellen für Bürgerideen, wo Bürger sagen, ich hab ne Idee, das mach ich selber, das brauch ich von euch. Das funktioniert sehr gut, und das ist eigentlich der Beweis für die These, wir müssen Dinge möglich machen, wir müssen den Leuten auch vertrauen. Das Land muss den Kommunen vertrauen, die Kommunen wieder den Menschen, ansonsten können wir nicht erwarten, dass die Menschen uns trauen. Das ist ganz einfach so.
In den direkten Gesprächen läuft es anders
Zerback: Vertrauen nehme ich jetzt mit als Stichwort und auch das Miteinanderreden, das haben Sie auch mehrfach angesprochen, eben auch mit politisch anders Denkenden. Da würde mich interessieren, wie das ganz praktisch aussieht, wenn Sie dieses Gefühl von "wir gegen die", was Sie da beschreiben, wenn das da ist, wie kommen Sie dann mit zum Beispiel AfD-Anhängern trotzdem ins Gespräch auf eine gute Art, wie funktioniert das?
Neubauer: Ja, da haben wir es hier natürlich relativ einfach: Man kennt sich, die Gespräche ergeben sich schlicht und ergreifend. Und ich stelle auch immer wieder fest, dass natürlich diese ganzen elektronischen Kanäle, die wir haben, also Facebook, Twitter und so weiter, dass ich da manchmal Leute habe, wo Diskussionen, die ich elektronisch führe, auf der Straße ganz anders funktionieren. Das ist tatsächlich, also diese Geschichte anonym, ohne jetzt irgendwie im direkten Gespräch was argumentieren zu müssen, da haut man auch schnell mal irgendeine These raus, in den direkten Gesprächen merke ich, dass es anders läuft. Man muss einfach den Leuten zuhören und muss auch verstehen, welche Probleme dahinterstehen. Und wenn wir hier in einem Land leben, wo Leute immer noch maßgeblich länger arbeiten für weniger Geld als anderswo, dann ist das nicht irgendeine Kleinigkeit, dann ist das eine Sache, die 30 Jahre nach der Wende einfach mal geklärt werden muss.
Zerback: Herr Neubauer, eine Frage hätte ich noch, und zwar wollte ich da ganz gern noch mal ganz kurz mit Ihnen das große Fass aufmachen: Sie reden jetzt über Miteinanderreden, bezieht sich das auch auf Politiker, jetzt in dem Fall auch der AfD? Die Frage stellt sich ja gerade auch auf landespolitischer Ebene. Also Koalition eingehen mit der AfD, ja oder nein?
Neubauer: Ganz klar nein. Ich bin Demokrat, ich muss was dazu sagen. Die AfD ist gewählt, das akzeptiere ich, aber solange die AfD einen rechten Flügel bei sich beherbergt mit Menschen wie Björn Höcke, ist es für mich überhaupt keine Option. Ich weiß auch nicht, warum wir darüber überhaupt diskutieren.
Zerback: Na, weil Sie davon reden, miteinander im Gespräch zu bleiben.
Neubauer: Ja, mit den Menschen reden ist ja okay, und daraus auch die Schlüsse ziehen und vernünftig miteinander umzugehen, das ist das eine. Aber auf politischer Ebene sozusagen jetzt davon zu träumen, was ja offensichtlich auch eine Option ist, das Ganze durch Einbinden irgendwie zu lösen, das wird nicht funktionieren, da bin ich relativ sicher. Das unterschätzt auch die Stellung, die die AfD inzwischen hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.