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Vor der Präsidentschaftswahl
Hyperinflation und Frust in Venezuela

Vier Fünftel der Menschen in Venezuela hungern, neun Kilo Gewicht hat nach Angaben von Ärzten jeder Venezolaner im vergangenen Jahr verloren. Das Land erlebt zudem eine Hyperinflation. Präsident Nicolas Maduro hat die Wahl vorgezogen, doch weite Teile der Opposition rufen zum Boykott auf.

Von Burkhard Birke | 16.05.2018
    Frauen laufen eine Straße in Caracas entlang, die von Wahlplakaten des Präsidenten Nicolas Maduro gesäumt ist
    Am 20. Mai sollen die Venezolaner ihren nächsten Präsidenten wählen - doch wichtige Kontrahenten und Parteien wurden zur Wahl nicht zugelassen (AFP/ Luis Robayo)
    Benzin verkaufen sei ein gutes Geschäft, sechs Bolivar kostet der Liter - Tankwart Jose in seiner roten Uniform kann sich ein breites Grinsen nicht verkneifen. Für 179 Bolivar füllen wir den Tank: fast 30 Liter für umgerechnet ein Viertel Eurocent zum offiziellen Kurs. Nein, das ist kein Witz. Benzin ist das einzig Billige in Venezuela in diesen Tag. Der Sprit wird quasi verschenkt: Ein Sandwich oder eine Packung Kekse kosten 1,3 Millionen Bolivar und damit fast die Hälfte des Mindestlohns. Besonders hart trifft es die Alten.
    "Die Rente reicht gerade Mal für zwei Tage", sagt José Manuel. "Wenn Du Medikamente, Antibiotika kaufen musst, ist die Rente weg, denn die billigsten Antibiotika kosten vier Millionen Bolivar, wenn Du überhaupt welche findest. Eine Packung mit zwölf Eiern kostet 1,2 Millionen - was Du an Rente kriegst, ist erbärmlich."
    Menschen durchwühlen den Müll nach Essbarem
    Vier Fünftel der Venezolaner hungern. Selbst in einstigen Mittelklasse-Wohngegenden durchwühlen Menschen den Müll nach Essbarem. Bis zu neun Kilo Gewicht habe der Venezolaner letztes Jahr im Schnitt verloren, behaupten Ärzte.
    "Der Währungsfonds rechnet für 2018 mit einer Inflation von 15.000 Prozent. Es gibt aber Ökonomen, die rechnen mit 26.000 bis 30.000 Prozent, einige sogar mit 80.000 Prozent. Die Zahl ist schwer zu prognostizieren, aber zum ersten Mal erlebt Venezuela eine Hyperinflation."
    Regierung sieht sich als Opfer eines Wirtschaftskrieges der USA
    Für den Sozialwissenschaftler Trino Marquez vom Thinktank Cedice sind die Probleme hausgemacht: Preis-, Produktions- und Devisenkontrolle, Misswirtschaft in den verstaatlichten Betrieben, allen voran beim Ölkonzern PDVSA, dessen Produktion sich mehr als halbiert hat in den letzten Jahren. Die Regierung indes sieht sich als Opfer eines Wirtschaftskrieges der USA und Unternehmer im Land.
    Eine Revolution der Arbeiterklasse: Präsident Maduro will diesen Krieg gewinnen, kündigte er im Wahlkampf an. Wie? Nachdem Kelloggs Venezuela verlassen hat, hat er gestern erklärt, die Fabrik einfach zu verstaatlichen.
    "Staat behält soziale Kontrolle über die Ärmsten"
    Die Ärmsten der Armen und die Regimetreuen rettet der Verkauf subventionierter Lebensmittel, die sogenannten CLAP-Tüten. Für Vicente Leon vom Meinungsforschungsinstitut Datanalisis steckt dahinter System, vor allem kurz vor dem Urnengang:
    "Der Staat behält durch die Verteilung subventionierter Grundbedarfsgüter die soziale Kontrolle über die ärmsten Bevölkerungsschichten. 70 bis 73 Prozent der Gesamtbevölkerung bekommen in diesem Monat solche Vergünstigungen."
    Ungewöhnlich viele. Präsident Nicolas Maduro, dessen Amtszeit Ende des Jahres erst ausläuft, hat die Wahl kurzerhand vorgezogen.
    Plant Maduro mehr als eine Verlängerung der Amtszeit?
    "Das Schicksal Venezuelas für die nächsten 30 Jahre entscheide sich am 20. Mai", sagte er. Plant Maduro mehr als eine Verlängerung der sechsjährigen Amtszeit? Wichtige Kontrahenten und Parteien wurden nicht zugelassen. Weite Teile der Opposition rufen zum Boykott auf. Ernst zu nehmen sind - wenn überhaupt - nur der Evangelikale Prediger Javier Bertucci und der frühere Sozialist und Gouverneur des Staates Lara, Henri Falcon.
    "Ich bitte Euch nur, mir diesen einen Tag zu schenken", wirbt Henri Falcon um Wahlbeteiligung und Wählerstimmen. Der 46-Jährige will mit der Einführung des Dollar die Hyperinflation stoppen. Dafür bräuchte er aber eine hohe Wahlbeteiligung.
    "Sie sagen einem: geh wählen, geh nicht – am 20. muss man aufstehen und das tun, was das Herz einem sagt", erklärt eine Frau. Eine andere sagt: "Ich werde wählen gehen, um diesen Albtraum zu beenden, es gibt nichts zu essen, nichts zu tun."