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"Vor-Ort-Lösungen für Vor-Ort-Probleme" entwickeln

"Wir wollen keine Multiplizierung der Probleme des Föderalismus", sagt Klaus Hebborn, aber "etwas mehr Dezentralisierung". Der Bildungs-Beigeordnete des Deutschen Städtetages sieht insbesondere beim Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung und in die Arbeitswelt Handlungsbedarf.

Klaus Hebborn im Gespräch mit Manfred Götzke | 27.08.2012
    Manfred Götzke: Ganz große Fans des Bildungsföderalismus in Deutschland sind Eltern, die mit ihren Kindern umziehen müssen. Die stellen dann fest, dass die Grundschule im Saarland fünf Jahre dauert, in Berlin sechs Jahre, in anderen Ländern wiederum vier, dass Lehrpläne in Bayern mit denen in Bremen einfach nicht vergleichbar sind und so weiter und so fort. Schultechnisch ist es vermutlich leichter, von Deutschland nach Dänemark überzusiedeln als von NRW nach Sachsen. Eltern, aber auch Lehrerverbände machen sich deshalb seit Jahren für mehr Einheitlichkeit, auch mehr Bund in der Bildung stark. Nicht unbedingt so der Deutsche Städtetag, der fordert jetzt mehr Einfluss der Städte und Kommunen in Sachen Bildungspolitik. Klaus Hebborn ist Beigeordneter für Bildung beim Deutschen Städtetag, guten Tag, Herr Hebborn!

    Klaus Hebborn: Guten Tag!

    Götzke: Herr Hebborn, wollen Sie statt Kleinstaaterei jetzt auch noch Kleinstädterei in der Bildungspolitik?

    Hebborn: Wir wollen keine Multiplizierung der Probleme des Föderalismus, das wäre ja vollkommen kontraproduktiv. Wir möchten nur stärkere Handlungsmöglichkeiten, etwas mehr Dezentralisierung in der Bildung, um die Probleme der Bildung, die sich ja vor allen Dingen vor Ort in den Städten und Gemeinden manifestieren, besser bekämpfen zu können mit den unterschiedlichen Mitteln und insbesondere durch Kooperation aller Beteiligten vor Ort.

    Götzke: Die Länder werden ja ihren Einfluss nicht aufgeben. Das hieße doch konkret, dass man neben dem Bund, den Ländern jetzt auch die Kommunen hätte, die mitmischen würden?

    Hebborn: Das ist richtig, wir reden aber in diesem Zusammenhang überhaupt zunächst mal nicht von rechtlichen Änderungen, also von Zuständigkeitsverlagerungen auf die Kommunen. Sondern wir reden von etwas mehr Gestaltungsfreiheit, von dezentralen Lösungen, etwa bei der Frage, wie Schulen vor Ort besser organisiert werden können, wie Übergänge insbesondere zwischen den verschiedenen Bildungseinrichtungen, beispielsweise zwischen Kindergärten und Schulen verbessert werden können und auf der anderen Seite von Schule auch beim Übergang von den Schulen in den Beruf. Das heißt, es geht vorrangig darum, mit Unterstützung der Länder eine stärkere Kooperation und Zusammenarbeit vor Ort zu fördern und die unterschiedlichen staatlichen Leistungen und auch Finanzierungsquellen vor Ort zusammenzuführen. Also, es geht mehr um das Thema Kooperation vor Ort als um die Frage, jetzt noch föderale Zuständigkeiten zu ändern oder den Kommunen rechtlich größere Kompetenzen zuzuerkennen.

    Götzke: Wenn Sie keine neuen Kompetenzen rechtlicher Art wollen, dann könnten Sie diesen Einfluss ja jetzt schon geltend machen als Städte und Kommunen?

    Hebborn: Das tun viele Städte auch bereits jetzt, aber sie stoßen an die Grenzen eines doch sehr stark verrechtlichten Schulbereiches insbesondere, wo die Länder meist bis ins Detail regeln, welche Aufgaben, welche Zuständigkeiten und welche Verfahren in den Schulen und anderen Bildungseinrichtungen vor Ort gelten sollen. Und hier fühlen sich die Kommunen vielfach nicht in der Lage, spezifisch auf örtliche Probleme einzugehen. Insofern geht es darum, diese Vorschriften etwas zu flexibilisieren, ohne damit gleich den Föderalismus auszuhebeln.

    Götzke: Vielleicht könnten Sie mal so ein Projekt nennen, bei dem die Städte besser agieren könnten als die Länder?

    Hebborn: Da geht es insbesondere um die Frage beispielsweise des Übergangs von der Schule in berufliche Ausbildung und auch in die Arbeitswelt. Hier gibt es eine Fülle von Zuständigen, angefangen von der Bundesagentur über die Länder bis hin zu auch den Kammern. Und hier zeigt sich sehr deutlich, dass durch Ansätze, die auf der lokalen Ebene gemeinsam an runden Tischen entwickelt werden, viel mehr zu erreichen ist im Sinne der Betroffenen, als wenn das auf Landesebene entschieden wird, also als wenn in den Landeshauptstädten entschieden wird, wie sozusagen in den Kommunen mit den verschiedenen Problemen umgegangen wird. Also, es geht vor allen Dingen um eine Verlagerung von Koordinierung auf die kommunale oder regionale Ebene. Wir reden ja nicht nur über große Städte, wir reden ja auch über Landkreise. Also, einfach das Potenzial der örtlich Verantwortlichen zu entwickeln und dabei sozusagen Vor-Ort-Lösungen für Vor-Ort-Probleme zu entwickeln.

    Götzke: Vielleicht können Sie noch mal konkreter werden, was die Flexibilisierung der Gesetze angeht? Wollen Sie die Bezirksverantwortung für die Schulen abschaffen?

    Hebborn: Nein, das ist ja in den unterschiedlichen Ländern durchaus auch unterschiedlich geregelt. In einigen Ländern sind vor allen Dingen die Landkreise Träger der großen Schulen, in anderen Bundesländern ist es so, dass insbesondere die Städte die Zuständigkeiten haben. Es gibt durchaus sehr unterschiedliche Modelle. Ich nenne ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen, wo die Schulträger nach dem zwischen den Landtagsparteien getroffenen Schulkonsens jetzt entscheiden können, wie sie etwa die Schulen bis zur Klasse zehn gestalten können, also, ob sie beispielsweise Realschulen und Hauptschulen miteinander kombinieren können, wenn die Schülerzahlen an den Hauptschulen entsprechend zurückgehen, ob sie etwa kleine Gesamtschulen gründen dürfen. Oder ein sehr weitergehender Versuch ist auch die Frage, ob etwa eine Grundschule und eine weiterführende Schule verbunden werden kann mit der Folge, dass die Kinder vom ersten bis zehnten Schuljahr zusammen sind. An solche flexiblen Kombinationsmöglichkeiten von Bildung, von Schule denken wir. Dabei ist völlig klar, dass das Land den gesetzlichen Rahmen, auch den Lehrplanrahmen, den kurrikularen Rahmen bestimmen muss. Denn wir wollen auf keine Fall, auch im Sinne Ihrer Eingangsmoderation, Mobilität verhindern, sondern wir brauchen trotz dezentraler Gestaltung von Bildung auf jeden Fall auch die Vergleichbarkeit, um die Mobilität nicht noch zu erschweren, sondern im Sinne gleicher Standards, wie sie ja auch die Kultusministerkonferenz anstrebt, Mobilität zu ermöglichen.

    Götzke: Die Städte fordern mehr Einfluss in der Bildung, in der Bildungspolitik. Darüber sprachen wir mit Klaus Hebborn vom Deutschen Städtetag. Vielen Dank!

    Hebborn: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.