Montag, 29. April 2024

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Vor Schweizer Volksabstimmung
Staatsrechtlerin: Antiterrorgesetz würde Polizei unkontrollierte Macht einräumen

Staatsrechtlerin Sanija Ameti kritisiert das geplante Schweizer Antiterrorgesetz: Vor allem sei die Terrorismusdefinition zu lasch und die polizeiliche Machtkonzentration nicht beschränkt, sagte sie im Dlf. So könne die Polizei Maßnahmen anordnen und ausführen.

Sanija Ameti im Gespräch mit Frederik Rother | 11.06.2021
Unterlagen zur Schweizer Volksabstimmung liegen auf einem Tisch
Am 13. Juni wird in der Schweiz per Volksabstimmung über das umstrittene Polizeimaßnahmengesetz PMT abgestimmt (IMAGO / Andreas Haas)
Polizeiliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) heißt ein neues Gesetz, das das schweizer Parlament im Herbst 2020 beschlossen hat. Damit sollen Schweizerinnen und Schweizer besser vor Terrorangriffen geschützt werden. Es sieht vor, dass die Behörden auch präventiv gegen Personen vorgehen können, von denen eine konkrete terroristische Gefahr ausgeht. Die Verdächtigen – auch Minderjährige – könnten besser überwacht werden, verfügt werden könnten auch Meldeauflagen, Reiseverbote oder sogar Hausarrest.
Kritiker sagen, dass die neuen Maßnahmen willkürlich wären und Grundrechte verletzten, etwa die europäische Menschenrechtskonvention. Auch die breit gefasste Definition des Begriffs "terroristischer Gefährder", auf die die Präventiv-Maßnahmen dann angewendet würden, ruft Widerstand hervor.
Am Sonntag (13. Juni 2021) können die Schweizerinnen und Schweizer über das geplante Anti-Terror-Gesetz abstimmen. Laut letzten Meinungsumfragen spricht sich eine Mehrheit für das Gesetz aus. Dass es überhaupt zur Abstimmung kommt, ist auch der Erfolg von Sanija Ameti. Sie ist Staatsrechtlerin, in der grünliberalen Partei aktiv, und setzt sich seit Monaten öffentlichkeitswirksam gegen das Vorhaben ein.

Frederik Rother: Was sind Ihre Motive im Kampf gegen das PMT-Gesetz?
Sanija Ameti: Was mich daran stört, ist, dass man in diesem Gesetz wesentliche rechtsstaatliche Kontrollmechanismen nicht eingebaut hat. Das eine wäre die sehr lasche Terrorismusdefinition, und das andere ist, dass man die polizeiliche Machtkonzentration nicht beschränkt hat. Das heißt, die Polizei darf diese präventiven Maßnahmen gleichzeitig anordnen wie auch ausführen und korrekt wäre gewesen, wenn das eine richterliche Instanz anordnen würde und die Polizei, so wie man das gewohnt ist, diese lediglich ausführt.

Präventive Maßnahmen gibt es schon im Schweizer Strafrecht

Rother: In der Schweiz gab es zum Beispiel 2020 eine Messerattacke mit mutmaßlich terroristischem Hintergrund, es gab das islamistische Attentat in Wien, der Attentäter hatte Verbindungen in die Schweiz, und die Liste lässt sich auch noch verlängern. Warum, glauben sie, sollte man nicht neue rechtliche Möglichkeiten schaffen und eben präventive Maßnahmen erlauben?
Ameti: Das Witzige ist ja, diese präventiven Maßnahmen, die haben wir schon in unserem Strafrecht. Ich nehme das konkrete Beispiel des Wiener Attentäters. Der hatte zwei Kollegen in der Schweiz, einer davon noch minderjährig, und diese zwei Kollegen, die hat man präventiv ausgeschaltet, nämlich mittels sogenannter Ersatzmaßnahmen nach Strafprozessordnung. Und diese Ersatzmaßnahmen waren Kontaktverbot, Meldepflicht und Sicherheitshaft, alles präventiv. Und das gleiche will das PMT-Gesetz auch einführen. Es sind dieselben Maßnahmen, aber, jetzt kommt's, ohne Strafprozess rechtliche Garantien.
Rother: Was heißt das, strafprozessrechtliche Garantien?
Ameti: Das wesentliche wäre die Unschuldsvermutung und das ein Zwangsgericht diese Maßnahmen anordnen muss.

Der Computer entscheidet mit, wer Gefährder ist

Rother: Wie werden denn die Gefährder identifiziert?
Ameti: Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Einerseits identifiziert diese der Nachrichtendienst und meldet dann die Gefährder Fedpol, der Bundespolizeibehörde. Auf welche Informationen sich der Nachrichtendienst stützt, ist geheim. Das heißt, ein Gericht kann das dann nicht überprüfen. Und die andere Möglichkeit ist, dass die Kantone solche Gefährder identifizieren und Fedpol melden. Und die Kantone, die setzen zur Berechnung des Gefährlichkeitsgrades sogenannte Prognostikprogramme ein. Sie dienen zunächst nur als Stütze zur Berechnung, aber sie entscheiden dennoch auch mit, ob eine Person gefährlich ist oder nicht. Diese Prognostikprogramme, die sind Algorithmen-basiert und wir wissen aus Erfahrung, dass solche Algorithmen in zwei von drei Fällen eine Person falsch gefährlich einstufen, das sogenannte "false positive".
Rother: Auf welche Erfahrungen beziehen sie sich, was meinen Sie?
Ameti: Es gab eine großangelegte Studie letzten Dezember in der Schweiz, die herausgefunden hat, dass jeder schweizerische Kanton solche Programme bereits einsetzt und das eben in zwei von drei Fällen diese Programme quasi jemanden falsch zum Gefährder abgestempelt haben.
Rother: Die Schweiz ist ein Rechtsstaat, es gibt Gerichte, die Maßnahmen sind überprüfbar. Das reicht doch eigentlich, um zu gucken, ob alles mit rechten Dingen zugeht?
Ameti: Natürlich haben wir ein Bundesverwaltungsgericht, das diese Maßnahmen überprüfen kann. Die Beschwerde an dieses Bundesverwaltungsgericht hat aber keine aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, wenn jemand von dieser Maßnahme betroffen ist, sagen wir mal, diese Person wurde mit einem Ausreiseverbot belegt und darf während eines Jahres nicht ausreisen, dann darf sie solange nicht ausreisen, bis das Gericht entschieden hat. Und bis das Gericht entschieden hat, sind zwölf Monate sehr wahrscheinlich schon vorbei. Und ein richtiger Rechtsstaat würde dafür sorgen, dass die gerichtliche Überprüfung schon bei der Anordnung dieser Maßnahme stattfindet und nicht erst, nachdem der Schaden verursacht wurde.

"Polizeiliche Macht wurde missbraucht"

Rother: PMT-Maßnahmen, also die Maßnahmen des Gesetzes, die können nur gegen terroristische Gefährder angeordnet werden, und es braucht konkrete, aktuelle Anhaltspunkte. Dennoch sagen Sie auch in anderen Interviews immer wieder, dass sie glauben, dass das Gesetz auch gegen andere Personenkreise angewendet wird wie Aktivisten, Journalisten, Umweltschützer et cetera. Was veranlasst sie zu dieser Vermutung, dass es so kommen wird?
Ameti: Mich veranlasst die Neudefinition der terroristischen Aktivität dazu. Nach dieser Definition, das ist ein Zitat aus dem Gesetz, kann jemand als terroristischer Gefährder eingestuft werden, wenn die Person den Staat beeinflussen will, in dem er oder sie eine Straftat begeht oder androht, oder Angst und Schrecken verbreitet. Und dieses "oder", das wurde ersetzt – früher stand da "sowie". Das heißt, "Angst und Schrecken verbreiten" war an die Straftat gekoppelt, jetzt ist sie losgelöst von dieser Straftat.
Und diese Ausweitung der Definition macht es möglich, dass man eben auch Aktivisten, politische Oppositionelle und so weiter unter diesen Begriff nimmt. Und was dieses Misstrauen noch gefestigt hat, dass vor zwei Wochen die Bundesrätin, die hinter dem PMT steht, höchstpersönlich eine großangelegte Polizeiaktion gegen Klimaaktivisten angeordnet hat. Das war ein Fall, wo diese Klimaaktivisten einen offenen Brief geschrieben haben, in dem sie zum Boykott des Militärdienstes aufgerufen haben. Und ein Jahr später wurden dann von Polizeibehörden deren Häuser gestürmt, und es wurde ihnen vorsorglich teilweise auch DNA-Proben abgenommen. Das Gericht hat dann entschieden, dass so etwas nicht rechtsstaatlich ist, aber dennoch wurde die polizeiliche Macht in diesem Fall missbraucht, und es hätte eigentlich gar nicht dazu kommen müssen. Es gibt schon berechtigten Anlass, zu befürchten, dass eben diese Definition ausufernd angewandt wird.

"Zusehen, dass das Gesetz an der kurzen Leine gehalten wird"

Rother: Die Bundesrätin von der Sie sprechen, das ist Karin Keller-Sutter, Justizministerin der Schweiz. Es gibt Umfragen, dass eine Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer am Sonntag (13. Juni 2021) für dieses Gesetzesprojekt stimmt, werden sie das Ergebnis akzeptieren?
Ameti: Wir sind eine Demokratie, das Volk ist der Souverän, daran werden wir uns halten. Dennoch werden wir uns dafür einsetzen, dass dieses Gesetz, das der Polizei einen sehr großen Ermessensspielraum und enorme, unkontrollierte Macht gibt, nicht missbräuchlich angewandt wird. Wir werden Kontrollmechanismen fordern, wir werden fordern, dass die Definition nachträglich eingegrenzt wird und wir weiterhin zusehen, dass dieses Gesetz an der kurzen Leine gehalten wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.