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Vorbilder von gestern und heute
Welche Helden braucht unsere Gesellschaft?

Holger Zaborowski ist Professor an der theologisch-philosophischen Hochschule Vallendar. Gemeinsam mit Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft hat er sich über "Helden und Legenden" Gedanken gemacht und gerade ein Buch zu diesem Thema veröffentlicht. Sein Fazit: Heldenhaftigkeit hat immer mit Menschlichkeit zu tun.

Von Alfried Schmitz | 02.07.2015
    Flüchtlinge in einem überfüllten Boot.
    Für die Theologin, Malerin und Bildhauerin Marie-Luise Reis sind die Bootsflüchtlinge Helden. (picture alliance/dpa/Str)
    "Wir wollten nicht sofort sagen, dass Helden Figuren der Vergangenheit sind. Wir wollten nicht einfach Bilanz ziehen und sagen, Helden und Legenden, das war's und zurückschauen, sondern wir wollten auch die Frage stellen, wer sind denn die Helden heute, wer können Helden der Zukunft sein."
    Aus verschiedensten Perspektiven sollten sich die Autorinnen und Autoren den Helden aus Vergangenheit und Gegenwart nähern. Über ihre ganz persönlichen Helden schreiben und berichten. Jens Zimmermann, Professor für Anglistik und Philosophie, zurzeit im kanadischen Vancouver tätig, präsentiert Dietrich Bonhoeffer.
    Für Zimmermann ist der von den Nationalsozialisten ermordete evangelische Theologe, als Widerständler und Märtyrer, ein Symbol für konsequent durchgehaltenen Glauben.
    Für die Theologin, Malerin und Bildhauerin Marie-Luise Reis, sind die Bootsflüchtlinge Helden.
    In einem Gedicht schreibt sie:
    Auf einem Boot
    Durchquerte mancher Held
    Schon das Mittelmeer
    Und machte Geschichte
    Davon Dichtung wortmächtig erzählt...
    Wer heute heldenhaft
    Europas Küste entgegenschifft
    Wird in keinem Epos
    Einen Namen haben
    Ist Zahl
    Eine
    In der Summe
    Versunken
    "Sicherlich gibt es eine subjektive Dimension, wenn wir über Helden reden. Das Verständnis von Helden, von Heldinnen hängt immer von gesellschaftlichen Erwartungen, religiösen Prägungen, weltanschaulichen und philosophischen Voreinstellungen ab. Wir können sehen, wie in verschiedenen Epochen in den Gesellschaften und Kulturen immer unterschiedlich verstanden wurde, wer ein Held, wer eine Heldin ist."
    Heldenhaftigkeit hat immer mit Menschlichkeit zu tun
    Dennoch gibt es laut Professor Zaborowski durchaus objektive Kriterien, die einen Helden auszeichnen. So zum Beispiel...
    "dass ein Held nicht jener sein kann, der Unmenschliches tut, der Menschen tötet oder der Menschen in die Luft sprengt. Wir sollten im Grunde auch daran festhalten, dass die Heldenhaftigkeit etwas mit einer genuinen Menschlichkeit zu tun hat. Also damit, dass man für andere Menschen etwas tut, dass man wirklich das Beste im Menschen zeigt und somit zum Vorbild für andere Menschen wird."
    Der Begriff des Helden und des Heldentums wurde in der Vergangenheit und auch gegenwärtig oft missbraucht, um falsche Ideale zu propagieren, um politische oder gesellschaftliche Agitation zu betreiben. Weder so genannte Kriegshelden, wie der Jagd-Flieger, Baron von Richthofen, oder islamistische Fanatiker, die bei ihren Attentaten möglichst viele Menschen mit in den Tod reißen, könnten von irgendeiner Seite als Helden verehrt werden. Das ist die Meinung des Philosophen und Theologen Holger Zaborowski.
    Wahrhaft heldenhaft handeln Menschen, die etwas Positives für die Gemeinschaft tun und Zivilcourage zeigen.
    "Denken Sie an Sophie Scholl. Das ist eine Heldin, weil sie ihrem Gewissen gefolgt ist, weil sie nicht eingeknickt ist, weil sie sich nicht von einem unmenschlichen Regime in die Enge hat treiben lassen. Und wir kennen viele andere Heldinnen und Helden des Alltags, die gerade deshalb für uns wichtig werden, weil sie ihrem Gewissen gefolgt sind, weil sie ihre Einsicht und das, was zu tun ist, was getan werden muss, gefolgt sind. Und in einer Zeit, in der man sehr leicht der Masse folgt oder gewissen Vorgaben und Gewohnheiten, sind solche Heldinnen und Helden sehr wichtig, weil sie auch immer wieder zeigen, dass es von Bedeutung sein kann und in manchen Situationen notwendig ist, dem Gewissen zu folgen."
    "Gewissen" ist ein viel zitierter Begriff in der Heldenforschung. Das Gewissen ist eine Urteilsinstanz, die das menschliche Handeln durch eine gewisse Vorstellung von Ethik und Moral steuert und uns veranlasst, bestimmte Handlungen auszuführen oder sie zu unterlassen. Das Gewissen wird zwar durch allgemeingültige gesellschaftliche Normen geprägt. Es hängt aber auch stark von der individuellen sittlichen Einstellungen jedes Menschen ab. Handelt das Individuum nach bestem Wissen und Gewissen, resultiert daraus ein gutes Gefühl. Handelt man gegen sein Gewissen, entsteht oft das, was man als kognitive Dissonanz, als fehlende Bewusstseinsharmonie bezeichnet. Auch der Begriff der Tugend wird von Wissenschaftlern oft mit heldenhaftem Handeln in Verbindung gebracht.
    "Da unterscheidet man zwischen den weltlichen Tugenden, wie etwa Gerechtigkeit, Tapferkeit, Besonnenheit und Weisheit, wo hingegen die Heiligen sich ebenfalls in diesen weltlichen Tugenden auszeichnen können, aber in besonderer Weise in den theologischen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe sich auszeichnen. "
    Heilige, unter ihnen natürlich besonders diejenigen, die für ihren Glauben als Märtyrer gestorben sind, werden vor allem in der katholischen Kirche als Helden des Christentums verehrt.
    Bei seiner wissenschaftlichen Betrachtung des Heldenbegriffs in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, rückt der Theologe und Philosoph Holger Zaborowski die Deutung des Menschseins besonders in den Vordergrund und widerspricht damit Friedrich Nietzsches Konzept des Übermenschen.
    "Der Held ist dann nicht der außerordentliche Mensch, sondern ist der eigentliche Mensch, der Vorbild dafür sein kann, wie gelungenes Menschsein aussehen kann. Dass der Held nicht einfach nur Ich-bezogen lebt, sondern durchaus für andere da ist. Dass der Held der Verantwortung nicht ausweicht. Dass der Held sich auch mit seiner eigenen Sterblichkeit, seiner eigenen Endlichkeit auseinandersetzt."
    Außerordentliche Menschen
    Definiert man "Held zu sein" auf diese philosophische Art, dann, so sagt Professor Zaborowski, wäre Heldentum ein Wertebegriff, der auch für die heutige Gesellschaft durchaus noch Gültigkeit und Bedeutung hat. Sein aktuelles Buch über die Helden soll ein Anstoß für eine wissenschaftliche Diskussion sein...
    "...weiter darüber nachzudenken, was kann Held sein heute bedeuten. Stehen wir einfach in einer postheroischen Gesellschaft, in einer Gesellschaft, in der Helden keine Rolle mehr spielen oder nur noch eine vergangene Rolle, in der wir darüber nachdenken können, was Helden einmal gewesen sind? Oder stehen wir in einer Zeit, in der wir noch einmal neu darüber nachdenken müssen, was eigentlich Helden und Heldinnen für uns bedeuten."
    Der Historiker Dr. Marten Düring untersuchte vor Kurzem, wie und warum Menschen im Nationalsozialismus Unterdrückten und Verfolgten geholfen haben, also zum Beispiel jüdischen Mitbürgern Unterschlupf gewährten. Da er herausfinden wollte, inwieweit die Helfer miteinander kommunizierten und wie sie miteinander vernetzt waren, nutzte der Historiker eine wissenschaftliche Vorgehensweise, die man aus der Soziologie kennt. Er untersuchte 5.000 Helfer-Fälle, codierte seine Ergebnisse und erstellte mithilfe eines entsprechenden Computerprogramms ein visuelles Netzwerk.
    "Und daran konnte man sehr schön sehen, wie sich Hilfeverhalten durch soziale Netzwerke bewegt, also wie diese Bereitschaft helfen zu wollen tatsächlich weitergeben wird durch soziale Netzwerke."
    Düring konnte nachweisen, dass die Helfer oft miteinander in Verbindung standen und systematisch und mit Methode handelten. Marten Dürings umfassende Studie „Verdeckte soziale Netzwerke im Nationalsozialismus", die demnächst veröffentlicht wird, brachte interessante Erkenntnisse auf dem Gebiet der Heldenforschung.
    "Der klassische Helfer- oder Heldenbegriff geht davon aus, dass wir es mit heroischen Einzelpersonen zu tun haben, die isoliert handeln und Großartiges vollbringen. Wenn man sich aber die Praxis des Helfens näher anschaut, merkt man, dass die wirklich über lange Jahre in vielen Fällen, über soziale Netzwerke unterwegs sind, dass es also keinesfalls isolierte Heldenfiguren sind, mit denen wir es zu tun haben, sondern Menschen, die sich in sehr spezifischen Milieus bewegen und darüber erst in die Lage kommen, zu Helfern zu werden."
    Ein Land der Antihelden
    Im Mittelpunkt von Dürings Forschungsprojekt standen unter anderen auch die berühmte Widerstandskämpferin Sophie Scholl, die mit spektakulären Flugblattaktionen gegen das NS-Regime kämpfte und der Industrielle Oskar Schindler, der durch seine Zivilcourage viele Juden vor dem Tod in der Gaskammer bewahrte.
    "Wir haben sie sicher zu Helden gemacht. Und dann haben wir mit Schindler und mit Sophie Scholl zwei sehr charismatische Persönlichkeiten, die in der Lage sind, anderen Leuten Handlungsoptionen aufzuzeigen, wie man aktiv werden kann und damit auch als Vorbilder wirken."
    Auch der Frankfurter Theologe und Philosoph Prof. Eckhard Nordhofen hat sich mit dem Thema „Heldentum und Heldenverehrung" beschäftigt. Er kommt zu der Einschätzung, "dass wir in einem Land leben, in dem diese Spitzenfiguren nur in Karikaturen oder in historischen Bismarcktürmen und dergleichen existieren. Wir sind eigentlich ein Land der Antihelden."
    Pechvogel und Loser
    Wie auf der Theaterbühne, in Romanen oder in Filmen - das Drama lebt nicht nur von strahlenden Helden allein. Erst Antihelden machen eine Story interessant und spannend. Das, so sagt Professor Nordhofen, gilt auch für die Positionierung in der Gesellschaft.
    "Das ist eine Gegenbesetzung, eine ganz einfache Gegenbesetzung. Nehmen Sie Schlingensief oder Beuys. Das sind Leute, die sich als Antibürger-, als Bürgerschreck inszeniert haben und dafür vom Publikum einen gewaltigen Beifall bekommen haben. Das ist eben das Signum unserer Zeit. Sie applaudiert denjenigen, die sich die Haare verstrubbeln und nicht kämmen, die sagen, ich will kein Spießer sein. Und das ist doch eine spannende Geschichte."
    Einer der berühmtesten Antihelden ist eine Comic-Figur. Walt Disneys Donald Duck, der ewige Pechvogel und Loser, dem alles schiefgeht, der am Ende jedoch die Sympathien der Leser auf seiner Seite hat. Denn im Gegensatz zum Helden, der mit seiner moralischen Stärke oft etwas Übermenschliches hat, sind es beim Antihelden gerade die Schwächen, die ihn sympathisch wirken lassen. Besonders sein typisches Außenseiterdasein und sein Eskapismus, machen den Antihelden für viele zu einer beneidenswerden Figur. Wer träumt nicht manchmal davon, der Realität zu entfliehen.
    "Sie sind die Interessanteren. Diogenes ist auch einer der berühmten Antihelden. Als der Antiheld ist keine Erfindung unseres Zeitalters. Aber er ist ein Symptom für Nachdenklichkeit, für Distanz, für Abstand halten, für Reflexion. Und das ist mein Ding."