Mittwoch, 24. April 2024

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Vorgehen gegen Islamisten
"Martialische Sprüche von Unionspolitikern"

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) warnt im Kampf gegen Islamisten vor Gesetzesverschärfungen. Es gelte, bei allen allen rechtlichen Veränderungen die Verhältnismäßigkeit im Blick haben, sagte Jäger im Interview mit dem Deutschlandfunk - und kritisierte Vorschläge von Union und Grünen.

Ralf Jäger im Gespräch mit Christiane Kaess | 12.08.2014
    Mehrere Unionspolitiker hatten dafür plädiert, gefährlichen Islamisten die Einreise zu verwehren und ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. "Das sind martialische Sprüche von Unionspolitikern in der Sommerpause", sagte Jäger. Er erwarte nicht, dass nach der Sommerpause ein entsprechender Gesetzentwurf komme. Der SPD-Politiker geht von etwa 400 deutschen Dschihadisten aus, die nach Syrien ausgereist seien, rund 130 seien zurückgekehrt - und davon wiederum ein Drittel zusätzlich radikalisiert und damit ein sicherheitspolitisches Problem. "An der Verfassung herumzudoktorn wegen dieser 400 Ausreisen halte ich für unverhältnismäßig", kritisierte Jäger.
    Die Ausreise von Islamisten könne kaum verhindert werden. Der Reisepass könne zwar entzogen werden, falls der Verdacht bestehe, jemand wolle in ein Kriegsgebiet reisen. Allerdings genüge der deutsche Personalausweis, um über die Türkei nach Syrien zu gelangen - und dieser dürfe laut Gesetz nicht entzogen werden. Und ein Sperrvermerk, wie er dem Grünen Volker Beck vorschwebt, sei angesichts nur selten stattfindender Grenzkontrollen "ein untauglicher Vorschlag".
    "Wir können Terrorismus nicht per Gesetz verbieten, können uns dem nur durch aktives Handeln entgegenstellen", resümierte der NRW-Innenminister. Durch effektive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden habe man in Deutschland bislang elf Anschlagsversuche vereiteln können. "Das Reden über Gesetzesänderungen mag das Sommerloch füllen", so Jäger, "ist aber kein aktiver Beitrag, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern."

    Das Gespräch in voller Länge:
    Christiane Kaess: Das Phänomen ist nicht neu, aber es verstärkt sich. Extremistische Islamisten in Deutschland reisen in die Konfliktgebiete im Nahen Osten, vor allem nach Syrien, einige von ihnen sammeln dort Kampferfahrung und kehren damit nach Deutschland zurück. Die Befürchtung: Sie könnten hier Anschläge verüben. Wie kann man sie unter Kontrolle bringen? Ein- und Ausreisesperren? Abschiebungen oder Entzug der Staatsbürgerschaft? Das sind einige der Vorschläge aus der Politik.
    Verbunden bin ich jetzt mit Ralf Jäger von der SPD, er ist Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen, Herr Jäger!
    Ralf Jäger: Schönen guten Morgen!
    Kaess: Es geht also um ausländische Extremisten und um Extremisten mit deutschem Pass. Welche sind denn das größere Problem?
    Jäger: Es sind die Menschen das Problem, die mit Kampferfahrung aus den Safe Havens, also den sicheren Häfen wie Libyen, Irak oder Syrien nach Deutschland zurückkehren, die möglicherweise zusätzlich radikalisiert sind und sicherheitspolitisch in der Tat ein Problem darstellen. Da spielt die Staatenzugehörigkeit erst mal überhaupt keine Rolle.
    Kaess: Aber dennoch scheint es so, dass die deutschen Extremisten und die Extremisten mit deutschem Pass die Überzahl darstellen?
    Jäger: In der Tat, wir gehen von etwas mehr als 400 Ausreisen nach Syrien aus. Es sind bis zu 80 Prozent Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Von denen sind etwa 130 zurückgekehrt. Ich würde sie in drei Gruppen fassen wollen: Ein Drittel ist traumatisiert durch die Kriegserlebnisse im Dschihad in Syrien, ein Drittel ist desillusioniert, weil sie festgestellt haben, dass sie tatsächlich als Kanonenfutter benutzt wurden, und ein Drittel ist zusätzlich radikalisiert. Und diejenigen stellen das größte sicherheitspolitische Problem dar.
    "Passentzug ist häufig angewandtes Mittel"
    Kaess: Wie nah sind die Behörden an diesen Problemfällen, sage ich mal ganz salopp, dran, um deren Gefährlichkeit einzuschätzen?
    Jäger: Wir haben sehr enge Abstimmung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesämtern. Wir gehen arbeitsteilig vor, wir informieren uns gegenseitig, sodass wir versuchen, dass uns da niemand durchs Netz geht. Dass wir möglichst alle diejenigen, die zusätzlich radikalisiert worden sind in Syrien im Dschihad und in der Szene als Vorbilder, als Helden dastehen, dass wir die möglichst unter Beobachtung haben.
    Kaess: Herr Jäger, würden Sie sich wünschen, dass die Ausreise von solchen Extremisten leichter verhindert werden kann als im Moment?
    Jäger: Ja, eindeutig. Wir prüfen ja, wie im Rahmen der jetzt rechtlichen Möglichkeiten eine solche Ausreise verhindert werden kann, das gelingt ja auch in einzelnen Fällen. Aber in Ihrem Vorbericht ist es ja schon genannt worden: Der deutsche Personalausweis, der nach jetziger Rechtslage niemandem entzogen werden darf, reicht, um über die Türkei nach Syrien auszureisen.
    Kaess: Und den Pass kann man entziehen?
    Jäger: Den Pass kann man entziehen, den Reisepass, das ist ein häufig angewandtes Mittel. Darauf hat niemand einen Anspruch, egal, welcher Staatszugehörigkeit er unterliegt. Und die Sicherheitsbehörden haben das Recht, wenn die Vermutung berechtigt ist, dass hier eine Ausreise zu den kriegerischen Handlungen im Dschihad in Syrien dienen soll, diesen Pass auch zu entziehen. Das tun wir.
    Kaess: Bevor wir noch genauer auf dieses Problem mit dem Personalausweis zu sprechen kommen, schauen wir noch mal auf die Ausreise. Man könnte doch auch sagen, es ist ein Erkenntnisgewinn, zu wissen, wohin diese Extremisten reisen.
    Jäger: Ja, aber wir leben in einem freien Europa, das ist ein unglaublicher Gewinn in den letzten Jahrzehnten, wir haben keine Grenzen mehr, wir haben einen europäischen Raum, in dem man niemanden mehr kontrollieren kann, wenn er Grenzen zwischen Nationalstaaten überschreitet. Das ist ein großer Zugewinn in der europäischen Politik, aber zugleich auch die Möglichkeit für Menschen, wenn sie anderes vorhaben, beispielsweise sich an kriegerischen Handlungen im Ausland zu beteiligen, schnell innerhalb Europas zu reisen, und das ist fast nicht kontrollierbar.
    "Maßvoller Umgang" mit Entzug von Papieren
    Kaess: Dann schauen wir genauer auf den Personalausweis, der ja hier eine Schlüsselfunktion einnimmt. Entziehen - wenn ich es richtig verstanden habe - kann man ihn im Moment nicht, denn jeder Deutsche muss sich ausweisen können, muss also einen Personalausweis haben. Was also tun?
    Jäger: Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet in der Innenministerkonferenz mit dem Ziel zu prüfen, wie man aufgrund der jetzigen Rechtslage noch effektiver vorgehen kann. Ich mache deutlich, wir haben etwa 400 Ausreisen aus Deutschland. Ich finde, wir müssen bei allen rechtlichen Veränderungen, die jetzt angestrebt werden, die Verhältnismäßigkeit im Blick haben. Wenn wir ein solches Gesetz ändern, dann gilt das auch für 80 Millionen andere Menschen. Der Entzug des Personalausweises ist zurzeit nicht möglich. Wenn man das ändern will und nur Ersatzpapiere zur Verfügung stellt anstelle des Personalausweises, mit denen man nicht ausreisen kann, wäre das sicherlich ein Zugewinn im Rahmen der Sicherheitspolitik, aber man sollte sehr maßvoll damit umgehen.
    Kaess: Das heißt, sie sind dafür, die deutsche Staatsbürgerschaft nicht zu entziehen beziehungsweise zu beschränken, was im Moment auch laut Grundgesetz nicht geht, Sie sind also dagegen, das Grundgesetz an dieser Stelle zu verändern?
    Jäger: Ach, das sind martialische Sprüche von Unionspolitikern in der Sommerpause! Ich warte mal ab, ob nach der Sommerpause hier ein Gesetzentwurf erfolgt! Ich glaube, das wird nicht der Fall sein. An der Verfassung herumzudoktern wegen dieser 400 Ausreisen, halte ich für unverhältnismäßig. Aus gutem Grund haben unsere Verfassungsväter bestimmte Regelnormen wie beispielsweise, dass die deutsche Staatsbürgerschaft so ohne Weiteres nicht entzogen werden kann, in die Verfassung aufgenommen. Das ist ein Gut, das wir erst mal schützen sollten!
    Kaess: Es gibt noch einen anderen Vorschlag vom innenpolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, von Volker Beck, der sagt, man könnte ja auch die Bewegungsfreiheit einschränken durch einen Sperrvermerk auf dem Personalausweis. Was ist das denn für eine Idee?
    Jäger: Das ist eine Idee, die in der Praxis kaum umsetzbar ist, das würde bedeuten, dass, wenn Sie nach Griechenland oder in die Türkei reisen, bei der Ausreise mit Ihren Personaldaten in eine Datenbank hineingegriffen werden sollte, um zu schauen, ob ein solcher Sperrvermerk vorliegt. Und wenn Sie mal überlegen, wie oft das passiert, wenn Sie in einen anderen Staat reisen mit Ihrem Personalausweis, also eigentlich nie, merkt man, das ist ein untauglicher Vorschlag.
    "Keinen Terrorismus exportieren"
    Kaess: Dann schauen wir noch auf die ausländischen Extremisten. Wir haben es gehört, da hat Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, gefordert, die Hürden für die Ausweisung und die Abschiebung ausländischer Staatsbürger abzusenken. Da hat er recht?
    Jäger: Wir haben das gemeinsam vereinbart im Koalitionsvertrag, das zu überarbeiten. Die Hürde, Ausländer auszuweisen nach dreijähriger Verurteilung ohne Bewährung, das soll überarbeitet werden. Aber ich mache mal deutlich: Wenn das im Zusammenhang mit Terrorismus geschieht, muss man in der Tat abwägen, auch sicherheitspolitisch abwägen, wenn eine solche Person bekannt ist, ob es wirklich Sinn macht, die ins Ausland abzuschieben, in beispielsweise Regionen, die staatlich überhaupt nicht mehr kontrollierbar sind! Damit würden wir Terrorismus exportieren und wären immer in der Gefahr, den Zugriff auf eine solche Person zu verlieren.
    Kaess: Also, das heißt, besser sie hier behalten im Land, mit der Hoffnung, man könne sie hier unter Kontrolle halten? Aber dann geht man natürlich gleichzeitig ein sehr hohes Risiko ein.
    Jäger: Das muss man, glaube ich, im Einzelfall abwägen, da ist die eine Person nicht identisch mit der anderen. Ausweisungen können ein sinnvolles Mittel sein, müssen es aber nicht zwangsläufig, insbesondere dann, wenn es um mögliche Anschlagsgefahren und Terrorismus geht.
    Kaess: Wolfgang Bosbach hat ja ganz konkrete Vorschläge dazu gemacht, er hat gesagt, man sollte schon nach der Verurteilung zu einem Jahr mit Bewährung den Aufenthalt beenden können. Bisher geht das nur bei drei Jahren. Die Große Koalition in Berlin ist gerade dabei, das Aufenthaltsrecht zu reformieren, da geht es unter anderem auch um die Abschiebung von Flüchtlingen. Haben Sie die Vermutung, es soll generell leichter abgeschoben werden?
    Jäger: Wir haben miteinander vereinbart im Koalitionsvertrag, das zu bearbeiten, dass wir ganz unterschiedliche Rechtsprechungen, Rechtsnormen versuchen zu vereinheitlichen, das ist auch in Ordnung, das erleichtert auch in der einen oder anderen Frage eine berechtigte Ausweisung. Aber wir reden hier über Terrorismus. Und das ist eine Norm, die Herr Bosbach anspricht, die erst einmal mit Terrorismus nichts zu tun hat. Da geht es darum, Menschen, die hier keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, die falsche Angaben bei der Einreise gemacht haben, hier leichter auszuweisen, das muss man voneinander trennen. Im Bereich des Terrorismus ist es sicherheitspolitisch, das, was Herr Bosbach anspricht, erst mal nicht relevant.
    "Können Terrorismus nicht per Gesetz verbieten"
    Kaess: Aber er hat noch einen anderen Vorschlag gemacht, der unter Umständen schon in diesen Bereich Terrorismus reinfällt, er hat nämlich gesagt, man sollte nicht nur aus politischen Gründen, sondern auch aus religiösen Gründen abschieben können. Dagegen ist wenig zu sagen, oder?
    Jäger: Nein, da hat er völlig recht. Wobei ich auch sage, das, was IS oder Al Kaida vertritt, ist eigentlich auch politisch, das ist kein religiös motivierter Terrorismus, sondern dahinter stehen ganz politische Ziele. Das ist nur eine Frage von Semantik letztlich. In der Tat muss es so sein, derjenige, der vorgeblich religiöse Gründe angibt und eine Gefahr darstellt, muss abgeschoben werden können, da sind wir einer Meinung.
    Kaess: Herr Jäger, unterm Strich, muss man nicht sagen, dass die Diskussion im Moment die enorme Verunsicherung zeigt über den richtigen Umgang mit den Extremisten?
    Jäger: Ich glaube, da spiegelt sich so ein bisschen die Sehnsucht wider, man könne durch Gesetze einfach Menschen aus diesem Land fernhalten, die eine Gefahr darstellen. Das ist in einem freien Europa schlichtweg nicht mehr möglich. Wir können auch Terrorismus oder Gefahren nicht per Gesetz verbieten, sondern wir können das nur durch aktives Handeln versuchen, dem uns entgegenzustellen. Das ist auch in Deutschland bisher gut gelungen, wir haben elf Anschlagsversuche gehabt und sie durch entsprechende Maßnahmen vereiteln können in den letzten Jahren, an der Stelle muss weitergearbeitet werden, durch eine sehr effektive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland. Das ist der beste Schutz, das Reden über Gesetzesänderungen mag das Sommerloch füllen, aber ist wirklich kein aktiver Beitrag, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern.
    Kaess: Ralf Jäger von der SPD, er ist Innenminister in Nordrhein-Westfalen. Danke für das Interview!
    Jäger: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.