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Vorgetäuschte Familienidylle in Venedig

Auf dem Filmfestival in Venedig wurde in den ersten Tagen Filme mit bedrückenden Themen gezeigt. Der einzige deutsche Beitrag im Wettbewerb, "Die Frau des Polizisten" von Phillip Gröning, thematisiert eine vorgetäuschte Familienidylle - und das mit Kunstfertigkeit und visuellem Reichtum.

Von Josef Schnelle | 31.08.2013
    Eine heile Welt. Der Polizist, seine Frau und seine kleine Tochter singen Lieder. Sie suchen gemeinsam nach den Ostereiern im Wald. Sie denken sich Spiele aus, verkleiden sich. Die Frau des Polizisten kümmert sich zärtlich und mit nimmermüder Geduld um ihr Kind. Auch die Erwachsenen verhalten sich manchmal wie Kinder: beim Armdrücken zum Beispiel.

    Eine ganz gewöhnliche Familie mag man glauben. Doch etwas stimmt nicht. Das spürt man gleich in Philip Grönings deutschem Wettbewerbsbeitrag die "Die Frau des Polizisten". Manchmal sind es nur wenige Sekunden lange ländliche Tableaus mit Tieren, die ihre Auftritte haben. Dann wieder werden häusliche Szenen der kleinen Familie ausgebreitet oder kleine Skizzen aus dem Alltag des Polizisten gezeigt.

    Wenn Uwe von der Arbeit kommt, entkleidet er sich gleich und versteckt die Dienstwaffe im Kleiderschrank. Das ist die erste Irritation. Bald häufen sich die Hinweise darauf: Die Idylle ist eine Täuschung. Der Polizist Uwe ist seinem Leben nicht gewachsen. In eruptiven Schüben terrorisiert er seine Frau Christine. Bald entdecken wir auch die Spuren seiner Misshandlungen und die Spirale von Verzweiflung und Gewalt, in die die beiden geraten sind und dass alle Zärtlichkeit nur aufgesetzt ist.

    Die einzelnen Szenen, die manchmal in diese, dann wieder in eine andere Richtung weisen, sind rein und klar, manchmal sogar makellos inszeniert. Aber hinter der poetischen Oberfläche scheint immer häufiger die gnadenlose Konsequenz der Inszenierung auf. Man kann dem Film sein aufgesetztes Horrorende und seine monströse Überlänge ankreiden, aber lange nicht mehr ist ein deutscher Beitrag von solcher Kunstfertigkeit und visuellem Reichtum in Venedig gezeigt worden. Phillip Gröning rechtfertigt seine Entscheidung fürs nicht-lineare Erzählen.

    "Man soll immer wieder die Möglichkeit haben sich vom Film zu distanzieren, um dann um so heftiger wieder einzusteigen. Dadurch wird der Film zu einem ganz besonderen Erlebnis, an dem man mitarbeiten muss."

    Die erste Reaktion des Premierenpublikums fiel so ratlos aus, wie Reaktionen auf filmische Neuigkeiten eben oftmals ausfallen. Nach ein paar Tagen wird das filmische Profil der 70. Mostra del Cinema immer klarer. Nach dem Starauftritt von George Clooney, der auf der Videowand vor dem Palazzo del Cinema den ganzen Tag über rauf und runter gezeigt wird, hat man sich auf Entdeckungen verlegt.

    Eine große positive Überraschung war "Joe" von David Gordon Green, der mit seiner Humoreske "Price Avalanche" schon auf der letzten Berlinale überzeugt hatte. Diesmal begibt er sich tief in die texanische Provinz, dort wo Nicholas Cage als Chef einer Baumtöterbrigade der einzige gute Mensch im White-Trash-Alltag in Mississippi ist. Er muss sich selbst übertreffen, einen Jungen retten und ein Fels in der Brandung gegen die bösen Jungs sein, die ihm allesamt ans Fell wollen. Virtuos bedient David Gordon Green, der neue Star der amerikanischen Independent-Szene, die Regeln des Melodrams, das alsbald zum Thriller wird. Joe versucht trotz aller gewalttätigen Anfeindungen "sauber" zu bleiben und seine Aggressionen unter Kontrolle zu halten, was ein klassisches "Shoot–Out" mit den Bösewichten so wenig verhindert wie manche Überzeichnung des Milieus. David Gordon Greens Film ist trotzdem frisch und schnell und erfindet Nicholas Cage mit dichtem Rauschebart noch.