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Vorschlag für Braunkohle-Ausstieg
"Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und Kohleland bleiben"

Der Braunkohleausstieg werde ein langsamer, aber stetiger Prozess sein, ähnlich wie beim Atomausstieg, sagte Patrick Graiche, Geschäftsführer der Denkfabrik Agora Energiewende, im Deutschlandfunk. Den etwa 22.000 Beschäftigten im Braunkohletagebau und -kraftwerken müsse man eine neue Perspektive geben.

Patrick Graichen (Agora) im Gespräch mit Georg Ehring | 11.01.2016
    Wasserdampfschwaden steigen aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerkes in Jänschwalde. (Aufnahme von 2015)
    Für die betroffenen Regionen sollte man einen Strukturwandel-Fonds einrichten in Höhe von 250 Millionen Euro jährlich, fordert die Denkfabrik Agora. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Georg Ehring: Rund 86.000 Arbeitsplätze hängen an der Braunkohle, jedenfalls nach Angaben ihres Branchenverbandes DEBRIV. Umweltschützer verlangen trotzdem auf Dauer den Ausstieg, denn keine Energiequelle bläst mehr klimaschädliches Kohlendioxid in die Luft als Strom aus Braunkohle. Einen Plan dafür hat heute die Denkfabrik Agora Energiewende vorgelegt und ihren Geschäftsführer Patrick Graichen begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Graichen!
    Patrick Graichen: Ja, guten Tag!
    Ehring: Herr Graichen, halten Sie einen kompletten Ausstieg aus der Braunkohleverstromung für nötig, trotz der vielen Arbeitsplätze?
    Graichen: Es ist nach der historischen Klimakonferenz von Paris klar, dass die Energiewirtschaft unter dem Titel "Dekarbonisierung" ab jetzt gedacht werden muss, und auch Deutschland kann nicht Energiewendeland sein und Kohleland bleiben.
    Ehring: Wie soll das denn geschehen? Wie können wir aus der Braunkohle aussteigen?
    Graichen: Na ja, das wird ein langsamer, aber stetiger Prozess sein, und was wir vorschlagen ist, ihn ähnlich zu organisieren wie den Atomausstieg. Da gab es im Jahr 2000 auch den Atomkonsens mit der Perspektive 2022, also 22 Jahre, und so einen ähnlichen Pfad mit klaren Vorgaben können wir auch jetzt uns bei der Braunkohle vorstellen.
    Alternative Wirtschaftsstrukturen aufbauen
    Ehring: Was wird denn dann aus den Arbeitsplätzen? Das sind ja Zehntausende und manche Regionen sind komplett davon abhängig, wie zum Beispiel die Lausitz.
    Graichen: Es ist in der Tat so, dass diejenigen, die im Braunkohletagebau und in den Braunkohlekraftwerken arbeiten - das sind übrigens ungefähr 22.000 Beschäftigte; der Rest sind dann indirekte Effekte -, diese 22.000 Beschäftigten, denen muss man eine neue Perspektive geben. Deswegen ist Teil unseres Vorschlags, dass wir für die betroffenen Regionen einen Strukturwandel-Fonds einrichten in Höhe von 250 Millionen Euro jährlich, um damit vor Ort alternative Beschäftigungen und alternative Wirtschaftsstrukturen aufzubauen.
    Ehring: Gibt es denn schon Überlegungen, wie diese Strukturen aussehen könnten?
    Graichen: Na ja. In jeder Region gibt es ja auch spezifische Stärken, die da schon existieren. Im rheinischen Revier, im Rheinland gibt es die Innovationsgesellschaft Rheinisches Revier, die da viele Projekte schon aufgetan hat, die aber jetzt finanziert werden müssen. Und auch in der Lausitz hat jetzt gerade rund um die Industrie- und Handelskammer Cottbus eine solche Gesellschaft sich gegründet mit lauter Ideen, wie man die Industrie gerade da am Grenzgebiet von Brandenburg, Sachsen und Polen voranbringen kann. Und dann gilt es, jetzt dafür die entsprechende Infrastruktur zu schaffen.
    Zertifikate aus dem Emissionshandel löschen
    Ehring: Bringt denn ein beschleunigter Braunkohleausstieg überhaupt etwas für das Klima? Der CO2-Ausstoß wird ja über den Emissionshandel reguliert und die Emissionsrechte könnten dann einfach anderswo verwendet werden.
    Graichen: Wenn man den Emissionshandel nicht reformiert, dann ist das richtig. Dann ist genau das das Problem, dass die CO2-Zertifikate frei werden und anderswo in Europa dann genutzt werden könnten. Aber Teil unseres Vorschlages ist es auch, dass die Bundesregierung sich in Brüssel dafür einsetzt, dass, wenn man einen Kohleausstieg macht, oder die Briten haben ja auch einen nationalen CO2-Preis zusätzlich zum Emissionshandel, dass solche Effekte dazu führen, dass die entsprechenden Zertifikate aus dem Emissionshandel gelöscht werden, und ich sehe dafür auch in Europa ein wachsendes Verständnis dafür, dass man das so machen muss.
    Ehring: Wenn wir jetzt aus der Atomkraft aussteigen, aus der Braunkohle aussteigen, dann verlieren wir zwei Träger der Grundlast für den Strom. Wo soll die billige Grundlast im Strom künftig herkommen Ihrer Ansicht nach?
    Graichen: Na ja, die Kategorie Grundlast ist im Grunde eine Kategorie der Vergangenheit. Worauf es wirklich ankommt ist, dass zu jedem Zeitpunkt Stromangebot und Stromnachfrage in Einklang sind, und dann brauchen wir flexible Kraftwerke, die dann Strom produzieren, wenn der Wind oder die Sonne uns keinen Strom liefern, aber wenn viel Wind und Sonne da ist, dann wenig produzieren. Das heißt, unflexible alte Grundlastkraftwerke passen sowieso nicht in eine Welt von viel Erneuerbaren, sondern was wir brauchen sind hoch flexible Gaskraftwerke, Biogaskraftwerke, Wasserkraftwerke, aber natürlich auch Speicher, die immer dann, wenn weder Wind noch Sonne zur Verfügung stehen, einspringen.
    Ehring: Patrick Graichen war das, Chef von Agora Energiewende, zum Ausstieg aus der Braunkohle. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.