Samstag, 20. April 2024

Archiv

Vorwürfe gegen Martin Schulz
"Es lässt tief blicken, wie nervös sie in der Union sind"

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley weist Vorwürfe gegen einen Vertrauten von Kanzlerkandidat Martin Schulz zurück. Schulz' Europawahlkampf-Manager Markus Engels habe sich entsprechend geltender EU-Regeln korrekt verhalten, betonte Barley im DLF. Sie befürchte einen Wahlkampf auf niedrigem Niveau.

Katarina Barley im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.02.2017
    Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley spricht am 28.06.2016 in Berlin während der Sondersitzung des Bundestages nach dem Brexit-Votum der Briten für einen EU-Austritt. Foto: Wolfgang Kumm/dpa | Verwendung weltweit
    Die SPD-Generalsekretärin Katarina Barley. (picture alliance/dpa - Wolfgang Kumm)
    Bei den Vowürfen gegen Engels geht es um hohe Zuschläge, die er im Jahr 2012 erhalten haben soll. Man könne aber über die Sinnhaftigkeit solcher Regelungen diskutieren, aber diese Vorwürfe seien nicht neu. "Wo sie nichts Neues finden, gehen sie auf den Mitarbeiter. Das finde ich nun wirklich perfide", beklagte sie. Das lasse "tief blicken, wie nervös die in der Union sind."
    Barley äußerte in diesem Zusammenhang die Sorge vor einem schmutzigen Bundestagswahlkampf. So habe der CDU-Europaabgeordnete Heribert Reul Mitarbeiter bereits dazu aufgefordert, nach belastbarem Material gegen Schulz zu suchen und der Geschäftsstelle zu melden. Zugleich betonte sie, Markus Engels habe eine lebenslange, unbefristete Anstellung bei der EU gekündigt, um einen befristeten Vertrag bei der SPD anzutreten: "Das ist nun wirklich keiner, dem sie jetzt nachsagen können, der dreht Dinge."
    Reisegelder ohne Reisen?
    Dem Schulz-Vertrauten Engels wird vorgeworfen, in seiner Aufgabe als Presseattaché des Europaparlaments fragwürdige Zuschläge erhalten zu haben. Allein im Jahr 2012 soll er in Brüssel 273 Tage Reisegeld im Gegenwert von 16.000 Euro abgerechnet, sich in diesem Zeitraum aber vorwiegend in Berlin aufgehalten haben.
    Zuvor hatte es übereinstimmende Berichte über ein Unions-Dossier mit Informationen gegen Martin Schulz gegeben. Darin werde vor allem dessen Amtsführung als Präsident des Europaparlaments kritisiert. Neu sind die Vorwürfe nicht, erhalten im beginnenden Wahlkampf aber besondere Aufmerksamkeit, da sie als Munition eingesetzt werden könnten. Indes hatten mehrere Unionspolitiker den Vorwurf einer Schmutzkampagne gegen Schulz zurückgewiesen.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist Katarina Barley, die Generalsekretärin der SPD. Einen schönen guten Morgen.
    Katarina Barley: Guten Morgen.
    Barenberg: Frau Barley, muss sich einer, der für das Kanzleramt kandidiert, auch kritische Fragen gefallen lassen?
    Barley: Selbstverständlich. Es ist nur die Frage, in was für einem Stil das passiert. Was Sie nicht erwähnt haben ist, dass in dem Papier von Herrn Röhlk steht, er bitte darum oder er fordere dazu auf, nach belastbarem Material gegen Martin Schulz zu suchen und es an die Geschäftsstelle zu melden. Als ich das gehört habe dachte ich, na super, das hört sich nach fairem Wahlkampf an.
    Barenberg: Kritische Fragen finden Sie okay, aber Sie werfen der Union trotzdem jetzt schon eine Schmutzkampagne vor?
    Barley: Die Sachen, die da aufgebracht werden, sind ja, was Martin Schulz selbst betrifft, alt. Das haben Sie ja auch in dem Beitrag erwähnt. Die sind von 2014, die sind schon x-mal geprüft. Es ist ja nicht so, als hätte Martin Schulz in seiner Zeit im Europäischen Parlament nicht schon etliche Kampagnen über sich ergehen lassen müssen, von Berlusconi über griechische Faschisten über alle möglichen Dinge. Es war nie irgendwas dran.
    "Das ist alles schon x-mal durchgenudelt worden"
    Barenberg: Und da hat er ja auch Fehler gemacht, hat er ja auch eingeräumt, was etwa die Tagesgelder im Europäischen Parlament anging, die er noch in Anspruch genommen hat, als er schon als Kandidat unterwegs war.
    Barley: Das ist alles schon x-mal durchgenudelt worden und wo sie nichts Neues finden, gehen sie auf den Mitarbeiter. Das finde ich nun wirklich perfide. Der hat jedenfalls nach meinem Kenntnisstand und auch nach dem, was man überall lesen kann, nichts gemacht, was gegen irgendwas verstößt. Alles, was angewiesen worden ist, ist von seinem CDU-Chef abgezeichnet worden. Jetzt gegen seinen Mitarbeiter zu gehen, wenn man ihn selbst treffen will, das lässt schon tief blicken, wie nervös sie in der Union sind.
    Barenberg: Wir waren ja an dem Punkt, dass wir gesagt haben, kritische Fragen sind zulässig. Das gilt aber nicht für sehr enge Mitarbeiter von Martin Schulz?
    Barley: Doch, natürlich! Aber das ist alles korrekt gelaufen. Das bestreitet auch niemand.
    Barenberg: Da hätte ich eine Frage, Frau Barley. Ist es denn in Ordnung, wenn einer der engsten Mitarbeiter von Martin Schulz für das Jahr 2012 273 Tage Reisegeld in Anspruch nimmt im Gegenwert von 16.000 Euro für Dienstreisen, die er gar nicht angetreten hat? Denn in diesen 273 Tagen im Jahr 2012 war er in Berlin und ist dort ins Büro gegangen. Ist das in Ordnung?
    Barley: Wissen Sie was? Man kann über EU-Regelungen von mir aus diskutieren. Nur: Alles was da passiert ist, ist den EU-Regeln konform verlaufen. Das bestreitet auch niemand.
    Barenberg: Das mag rechtlich in Ordnung sein, aber finden Sie es moralisch in Ordnung?
    Barley: Ist das jetzt im Ernst Ihre Frage gegenüber Martin Schulz, dass Sie wirklich gegenüber Martin Schulz sagen wollen, ist es moralisch in Ordnung, wenn sein Mitarbeiter nach EU-Regeln sich verhält? Das ist doch jetzt nicht wirklich Ihr Ernst.
    "Ich würde lieber die inhaltliche Auseinandersetzung suchen"
    Barenberg: Ich frage Sie, weil Sie sagen, das hat nichts mit Martin Schulz zu tun, wenn sein engster Vertrauter einen Vertrag so gestaltet, dass sein Arbeitsplatz in Berlin ist, sein Dienstort aber in Brüssel, und er deswegen überhaupt die Möglichkeit bekommt, Dienstreisen abzurechnen im Gegenwert von 16.000 Euro, die er gar nicht antritt.
    Barley: Das sind EU-Regeln, die ja nicht für ihn gemacht worden sind. Das sind Regeln, die in der EU so gelten. Und ich will Ihnen noch eins zu Markus Engels sagen: Der hat eine unbefristete, eine Lebenszeit-Anstellung bei der Europäischen Union gekündigt, um einen befristeten Vertrag bei der SPD anzutreten. Das ist nun wirklich keiner, dem Sie jetzt nachsagen können, der dreht Dinge. Da sind Sachen ganz normal nach EU-Regeln abgerechnet worden, wie gesagt von CDU-Chefs abgezeichnet worden. Der hat sich so verhalten, jedenfalls nach meinem Kenntnisstand, wie sich alle EU-Beamten auch verhalten. Da können Sie jetzt von mir aus - wird ja auch oft gemacht - in Frage stellen, wie die EU-Regeln sind.
    Aber zu sagen, jemand, der sich nach den Regeln verhält, muss sich jetzt moralisch, nicht mal er, sondern Martin Schulz muss sich jetzt moralisch im Nachhinein an einer höheren Latte messen lassen als alle anderen EU-Mitarbeiter, das ist schon, kann man machen, aber ich finde, ehrlich gesagt, das ist Wahlkampf auf einem Niveau. Ich würde lieber die inhaltliche Auseinandersetzung suchen.
    Barenberg: Das verstehe ich sehr gut. Zu dieser inhaltlichen Auseinandersetzung gehört ja, dass Martin Schulz sagt, er will für all die hart arbeitenden Menschen in Deutschland arbeiten und für die Verbesserungen erreichen. Und ich glaube, viele fragen sich wirklich, ob da der Grundsatz gelten kann, Reisekosten werden abgerechnet, obwohl nicht gereist worden ist. Und das ist bei seinem Wahlkampf-Manager der Fall gewesen und ich habe von Ihnen noch keine Antwort auf die Frage, ob Sie das eigentlich in Ordnung finden. Sie haben gesagt, das ist regelkonform, aber ob Sie das so in Ordnung finden, haben Sie noch nicht gesagt.
    Barenberg: Ich kann Ihnen auch zu den Einzelheiten nicht viel sagen, weil wie gesagt, Markus Engels hat seinen Job gekündigt, seinen unbefristeten Job bei der EU gekündigt, um zur SPD zu kommen. Wir haben deswegen auch gar keine Einsicht in die Personalakte, die offensichtlich jemand anders hat, der da Informationen an die Presse rausgibt. Wir haben die nicht. Ich kann Ihnen zu dem Einzelfall deswegen auch gar nichts sagen.
    Das ist ein Auseinanderfallen von Dienst- und Arbeitsort oder Dienst- und Anstellungsort. Ich war selber auch mal Landesbeamtin. Das gibt es in jedem Landesrecht. Wie gesagt, Sie können sich über die Sinnhaftigkeit von solchen Regelungen gerne unterhalten. Aber finden Sie es nicht erstaunlich, dass in einem Moment, wo zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die SPD auf Augenhöhe mit der Union ist, jetzt mit solchen Dingen gearbeitet wird über Vorfälle, die Jahre her sind? Finden Sie das nicht seltsam?
    Barenberg: Ich finde das nicht erstaunlich. Ich würde vermuten, dass der politische Gegner nach genau solchen Dingen sucht, weil es darum geht, einen Kandidaten, der den Anspruch erhebt, ins Kanzleramt einzuziehen, auf Herz und Nieren zu prüfen. Und ich finde, das könnte dazugehören. Ich meine, das würden viele Hörerinnen und Hörer auch so sehen. Würden Sie denn empfehlen, dass Martin Schulz sich zu diesem Ganzen, zu dieser Frage öffentlich selber erklärt?
    Barley: Ich glaube, er hat dazu alles gesagt, was nötig ist.
    Barenberg: Was hat er dazu gesagt?
    Barley: Die Vorwürfe gegen ihn selbst sind vorwärts und rückwärts geprüft worden in den entsprechenden Gremien der Europäischen Union. Da ist nichts dran. Und Markus Engels hat sich nach den Regeln der Europäischen Union verhalten. Das heißt, da ist auch nichts dran. Ich glaube, mehr muss er dazu auch nicht sagen.
    Barenberg: Für Sie ist das abgeschlossen?
    Barley: Für mich ist das abgeschlossen.
    "Schulz hat eine sehr klare Vorstellung von der Zukunft dieses Landes"
    Barenberg: Dann lassen Sie uns noch über das Wahlprogramm sprechen und über den Umstand, dass Martin Schulz die Präsentation des Wahlprogrammes offensichtlich auf einen späteren Zeitpunkt verschoben sehen möchte. Ist er inhaltlich noch nicht so sattelfest, dass das Programm wie geplant am 29. Mai verabschiedet werden kann und präsentiert werden kann?
    Barley: Nein, es geht nicht um sattelfest. Er ist ja Mitglied des SPD-Präsidiums und insofern Teil aller Debatten. Aber es ist natürlich klar, dass er dem Programm eine eigene Schwerpunktsetzung noch mal geben möchte, und er ist auch Nordrhein-Westfale. Das heißt, die Nähe zu der Wahl in Nordrhein-Westfalen ist für ihn vielleicht auch noch mal weniger glücklich, als das für andere Kandidaten gewesen wäre. Wenn Sie mit ihm im Gespräch sind, dann werden Sie feststellen, dass er eine sehr klare Vorstellung von der Zukunft dieses Landes hat und einen sehr klaren Kompass, und Sie werden der SPD wie immer nicht nachsagen können, dass sie zu wenig Inhalte vorbringt.
    Barenberg: Und wissen Sie schon, wann wir diesen klaren Kurs in den Einzelheiten erfahren werden?
    Barley: Wir sind ja bereits seit einem dreiviertel Jahr im Programmprozess. Wir haben dazu auch schon mehrere Veranstaltungen durchgeführt. Wir haben eine intensive Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, von Expertinnen und Experten durchgeführt und haben bereits so was wie eine erste Lesung, haben wir das intern genannt, gemacht. Es geht jetzt wirklich um eine Ausgestaltung, um auch eine Darstellungsform, um eine Schwerpunktsetzung. Im Laufe der nächsten Wochen wird das immer konkreter werden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.