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VW-Skandal
"Die Prüfinstitute sind zu nah an der Automobilindustrie"

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann hat angesichts des Abgas-Skandals bei VW unabhängige Kontrollen gefordert. Es habe sich gezeigt, dass die Nähe der bisherigen Prüfinstanzen zur Automobilindustrie zu groß sei, sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk.

Winfried Hermann im Gespräch mit Bettina Klein | 21.04.2016
    Winfried Hermann (Grüne), Verkehrsminister von Baden-Württemberg
    Winfried Hermann (Grüne), Verkehrsminister von Baden-Württemberg (imago stock&people)
    Hermann verwies in diesem Zusammenhang auf eine entsprechende Initiative des Bundesrats. Zu der angeblichen außergerichtlichen Einigung zwischen Volkswagen und den US-Behörden sagte Hermann, der Konzern würde in diesem Fall mit einem "blauen Auge" davonkommen. Das Unternehmen sei durch die Reaktionen des Marktes und der Verbraucher bereits "ordentlich bestraft".
    In San Francisco läuft heute eine vom Gericht gesetzte Frist ab, bis zu der eine Verständigung erreicht werden muss. Unter Berufung auf Verhandlungskreise wird inzwischen von einer Grundsatzeinigung berichtet. Demzufolge werde VW anbieten, bis zu 500.000 manipulierte Dieselfahrzeuge mit 2,0 Liter-Motoren zurückzukaufen, heißt es.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Wir schauen noch mal in die USA, wo sich nun doch eine Einigung zumindest abzeichnet, eine Einigung des VW-Konzerns mit der Umweltbehörde EPA in Sachen Abgasskandal. Bis heute musste eine Lösung gefunden werden, um massive Strafzahlungen für den Konzern zu verhindern. Es sieht so aus, als könnte das Ultimatum eingehalten werden.
    Am Telefon ist der langjährige Verkehrspolitiker Winfried Hermann, seit einigen Jahren und wohl auch in Zukunft Verkehrsminister in Baden-Württemberg für die Grünen. Er wird das Amt wohl auch in der schwarz-grünen Koalition innehaben. Guten Morgen!
    Winfried Hermann: Guten Morgen! - Die Entscheidung ist noch nicht gefallen.
    Klein: Okay. Sie zweifeln noch daran?
    Hermann: Nein, wir reden darüber öffentlich nicht.
    Klein: Okay, alles klar. Ich wollte es nur korrekt formuliert haben. - Herr Hermann, die Meldungen sind ja noch spärlich in Sachen VW-Abgasskandal und Einigung mit US-Behörden. Die Entscheidung wird erst heute Nachmittag offiziell verkündet. Wenn man sich dann verständigt, ist das eine gute Nachricht schon für die betrogenen VW-Fahrer?
    "Eine gute Nachricht für Kunden und VW-Mitarbeiter"
    Hermann: Ich glaube, das ist tatsächlich für die Kundinnen und Kunden, aber vor allen Dingen auch für den VW-Konzern selber und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gute Nachricht, denn man weiß nicht, was das Gericht entscheiden wird oder würde, und man wäre letztendlich fast, kann man sagen, mit einem blauen Auge davon gekommen. Aber ein langjähriger Rechtsstreit hätte vielleicht beiden Parteien nicht viel gebracht, aber den Juristen viele Einnahmen.
    Klein: Nun fragen sich vielleicht viele, wäre eine saftige Strafe gerechter gewesen als ein blaues Auge?
    Hermann: Ich glaube, dass VW ordentlich bestraft ist schon jetzt durch die Reaktion des Marktes, durch die Enttäuschung der Kundinnen und Kunden. Wenn man sich mal anschaut, was VW an Wert verloren hat alleine auf Grund der Bedrohung - und das ist ja nicht alleine die Konsequenz in den USA; es gibt ja auch unter Umständen in Europa ähnliche Probleme -, dann muss man schon sagen, VW ist schwer belastet, und vermutlich nicht nur VW.
    "Eine außergerichtliche Verständigung ist nicht unüblich"
    Klein: Zeigt sich da eigentlich Einsichtsfähigkeit eines Unternehmens, oder ist das schlicht eine Rechenaufgabe und man versucht, da als Konzern den schweren Strafzahlungen zu entgehen?
    Hermann: Das ist generell eigentlich üblich, dass in solchen Feldern, wo es um sehr viel Geld geht und wo es auch sehr schwierig ist, juristisch genau auszurechnen, was denn die Kosten sind, die wem auch immer zuzuschreiben sind, dass man auf dem Wege der Verständigung außergerichtlich versucht, eine Lösung zu finden. Das ist nicht unüblich.
    Klein: Nun wissen wir, es ist ja kein VW-Problem allein. Gestern gab es wiederum Meldungen, wie viele Unternehmen davon möglicherweise betroffen sind, wie viel man auch gewusst hat. Welche Konsequenzen müssen jetzt Ihrer Meinung nach dringend gezogen werden?
    "Wir brauchen realitätsnahe Prüfzyklen und die Überprüfung im Verkehr"
    Hermann: Es ist einiges schon in Arbeit. Wir haben zum Beispiel morgen im Bundesrat eine Debatte über eine derzeit in Planung befindliche Verordnung der Europäischen Union. Eine Verordnung ist ein direktes Gesetz der Europäischen Union. Da geht es um die Genehmigung von Typen und um die Marktüberwachung. Der Bundesrat fordert im Grunde genommen die Unterstützung dieser Verordnungsüberlegung der Europäischen Kommission auf. Das heißt, die EU möchte wirklich sehr viel ändern, und wir haben sogar auch noch Vorschläge, die Länder haben noch Vorschläge, wie man das verbessern könnte. Und ganz wichtig ist, dass zunächst mal aufgeklärt wird, was sind die Mechanismen, wer hat sie wie zu verantworten, was hat in dem Überwachungssystem nicht funktioniert, und wenn man das betrachtet, dann kommt man natürlich sehr schnell zu der Überzeugung, dass wir unabhängigere Prüfinstitute brauchen. Die sind zu nah an der Automobilindustrie dran. Wir brauchen eine unabhängige Marktüberprüfung. Im Verkehr muss überprüft werden über Stichproben. Und es muss natürlich auch sichergestellt werden, dass das, was im Labor getestet wird, nahe an dem dran ist, was im Verkehrsgeschehen ist. Wir brauchen die realitätsnahen Prüfzyklen und die Überprüfung im Verkehr. Das sind in groben Zügen die Dinge, die gemacht werden müssen, und da muss endlich auch die Bundesregierung unterstützend handeln und nicht bremsen.
    Klein: Sehr interessant. Sie stecken ja gerade in Baden-Württemberg in den Koalitionsverhandlungen. Wo ziehen Sie denn im Autoländle Baden-Württemberg jetzt für sich die Konsequenzen, zum Beispiel, wenn es um unabhängige Kontrollen geht?
    Hermann: Das wäre zunächst einmal eine Regelung, die die Europäische Union und die Bundesrepublik Deutschland zu regeln haben, also auch der Bund. Deswegen stellen ja zwei Fraktionen im Bundestag, auch die Grünen einen Antrag für einen Untersuchungsausschuss, um das ganze Gewirr aufzuklären, aufzuklären, warum hat das Kraftfahrtbundesamt, warum haben andere Behörden das nicht gemerkt oder so spät gemerkt. Da gibt es eine klare Verantwortung, die nicht bei den Ländern liegt.
    Klein: Sie sind da handlungsunfähig oder haben da keinerlei Einfluss, das auf Landesebene zu beschließen? Verstehe ich Sie da richtig?
    Hermann: Ja doch, über den Bundesrat. Das tun wir ja gerade, aber halt nicht direkt. Ich meine, diese Resolution, die wir morgen verabschieden wollen im Bundestag als Empfehlung an die Bundesregierung, enthält genau diese Punkte, die ich Ihnen gerade gesagt habe. Da treten wir unterstützend auf und haben auch noch im Detail Ergänzungen. Wir nutzen die Möglichkeit des Bundesrates, aber wir sind nicht die Bundesregierung und der Bund.
    Klein: Herr Hermann, ich würde gerne noch mal nachfragen, weil wir vor wenigen Tagen vergangene Woche im Deutschlandfunk Jürgen Resch im Interview hatten von der Deutschen Umwelthilfe. Und der sagte auf die Frage meines Kollegen, ob die Grünen in Baden-Württemberg auch geradezu kuschen würden vor der Automobilindustrie, folgendes:
    O-Ton Jürgen Resch: "Ganz eindeutig ja! Wir haben das vor einigen Monaten eindrucksvoll gesehen, als wir den Verkehrsminister überzeugen konnten, eigene Kontrollen durchzuführen. Kurz danach, wenige Stunden nach Ankündigung, eigene Kontrollen machen zu wollen, wurde das zurückgenommen auf Intervention von Daimler und der Staatskanzlei, dass das nur ein Angebot an die Autoindustrie wäre, und man würde natürlich auch nur in den Prüfeinrichtungen untersuchen, die die Autoindustrie dann vorschlagen würde."
    "Wir brauchen unabhängige und nicht kalkulierbare Überwachungssysteme"
    Klein: Eigene Kontrollen wurden vorgeschlagen, aber sie haben es dann zurückgezogen. Weshalb?
    Hermann: Wahr ist, dass ich das vorgeschlagen habe, dass man so was braucht, und habe gesagt, wenn der Bund das nicht macht, dann müssen wir das selber machen. Und in der Tat hat das dazu geführt, dass es eine Diskussion innerhalb der Koalition gab, ob wir uns da einmischen sollten, oder ob wir nicht stärker auf den Bund zielen sollten. Und das Ergebnis war, dass ich diese Idee in die Verkehrsministerkonferenz eingebracht habe, und ich stelle mit Freuden fest, dass jetzt eine ganze Reihe von Bundesländern diese Initiative, die wir über den Bundesrat jetzt machen, unterstützen. Das was ich eigentlich gefordert habe, wird jetzt breit unterstützt. Damals bin ich noch von vielen kritisiert worden nach dem Motto, ich schaffe mir eine Stadt-Guerilla-Polizei an, die jetzt irgendwelche Wagen mutwillig aus dem Verkehr zieht und überprüft. Das ist sehr diskreditiert worden, aber jetzt sieht man, dass es notwendig ist, dass wir diese unabhängigen und auch nicht kalkulierbaren Überwachungssysteme brauchen, und das sieht sogar auch die Europäische Union so.
    Klein: Aber da sind Sie überstimmt worden innerhalb der Landespolitik und da muss man …
    Hermann: Man hat mich darauf verwiesen, dass ich da nicht ein "eigenes Geschäft" aufmachen soll, sprich selber im Land handeln soll, sondern dass Automobile im europäischen Markt sind, dort eigentlich überwiegend geregelt werden, und dann gibt es noch nationale Regeln, und dass das schon mehr Sinn macht. Ich bin ja auch der Meinung, es macht mehr Sinn, wenn wir es dort regeln. Es war ja eher eine Drohung, weil gerade die EU lange Zeit nicht gehandelt hat und auch natürlich der Bund nicht.
    "Automobilindustrie mit gutem Draht in die Regierungsetagen"
    Klein: Aber, Herr Hermann, der Eindruck kann schon entstehen, dass mit Rücksicht auf den Wirtschaftsstandort dann auch die Grünen klein beigeben, wenn sie denn an der Regierung sind?
    Hermann: Das kann ich so nicht stehen lassen. Aber wahr ist auf jeden Fall: So allgemein kann man sagen, dass die Automobilindustrie einen guten Draht in die Regierungsetagen der Republik hat.
    Klein: Und daran sollte sich was ändern, Ihrer Meinung nach, oder besser nicht?
    Hermann: Wir brauchen dringend eine größere Unabhängigkeit der Kontrollen und der Überwachung von der Automobilindustrie. Die Nähe hat dem Ganzen nicht gut getan. Wir haben ja auch festgestellt, weil Sie die DUH zitiert haben, dass die DUH Schwierigkeiten hatte, Institute …
    Klein: Entschuldigung! DUH ist die Deutsche Umwelthilfe.
    Hermann: Genau. Die Deutsche Umwelthilfe hat Schwierigkeiten gehabt, Institute zu finden, die ihre Messungen durchführen, weil die Institute Angst haben, dass sie in der Folge von ihren Konzernen keine Aufträge mehr bekommen. All dies ist natürlich sehr ärgerlich und deswegen spricht vieles dafür, dass die Institute unabhängiger sein müssen und dass man auch eine finanzielle Unabhängigkeit sichern muss, damit tatsächlich diese unabhängigen Verfahren, Kontrollen, Genehmigungen möglich sind.
    Klein: Herr Hermann, abschließende Frage, wir haben noch eine knappe Minute, deshalb bitte relativ kurz. Es geht ja um eine Software, die entwickelt wurde. Können Sie ausschließen, dass die Firma Bosch, die ja auch in Ihrem Bundesland angesiedelt ist, darin verwickelt ist?
    Hermann: Nein. Ausschließen kann man als Politiker in der Situation gar nichts. Aber man muss befürchten, dass nicht nur VW Manipulationen vorgenommen hat. Wir hören durchsickern, dass bei den Untersuchungen des Kraftfahrtbundesamtes im Auftrag des Bundesverkehrsministers doch eine ganze Reihe von Fahrzeugen vergleichbar abweichende Werte haben, wie das bei VW ist, und insofern könnte es gut sein, dass wir alsbald erfahren, dass es da doch viele Betroffene und Verantwortliche gibt.
    Klein: Winfried Hermann, der bisherige und möglicherweise auch künftige Verkehrsminister des Landes Baden-Württemberg, heute Morgen im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit und für das Gespräch, Herr Hermann.
    Hermann: Ich danke auch. Schönen Tag.
    Klein: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.