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Waffenlieferungen Ukraine
"Amerika hätte von einem Krieg in Europa nichts"

"Das wäre eine Katastrophe", sagte der US-Politologe Christer Garrett zu einer möglichen Ausweitung des Krieges in der Ostukraine. Die umstrittenen Waffenlieferungen sind nur eine Option zur Konfliktlösung. Im DLF sagte Garrett, dass auch die Wirtschaftssanktionen kritisch überdacht werden müssen: "Die sind ein Werkzeug, aber keine Garantie".

10.02.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama im Oval Office. Beide lachen in die Kameras.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama im Oval Office. (SAUL LOEB / AFP)
    Jürgen Liminski: Herr Garrett, alle warten auf das Treffen von Minsk. Wenn es keine belastbaren Ergebnisse in Minsk gibt, werden die USA Waffen liefern und damit den Konflikt verschärfen?
    Christer Garrett: Zuerst werden die Waffen nicht automatisch liefern. Das hat Präsident Obama bei der Pressekonferenz mit Kanzlerin Merkel betont. Er hat auch betont, defensive Waffen an die Ukraine zu liefern, wäre eine Option, hat noch einmal betont, keine Entscheidung ist dazu getroffen. Er hat eher runtergeschraubt, was die Erwartungen betrifft in Punkto Waffenlieferungen.
    Liminski: Aber er hat es ja doch ziemlich offen gelassen und eigentlich klingt durch, wenn man die Diskussion auch bei der Konferenz in München am Wochenende beobachtet hat, dass da ein gewisser Trend zu Waffenlieferungen ist. Was hätte Amerika von einem Krieg in Europa?
    Garrett: Natürlich hätte Amerika von einem Krieg in Europa nichts. Das wäre eine Katastrophe, wenn wirklich ein ausgebreiteter Krieg in Europa ausufern würde. Das haben wir in den 90er-Jahren mit Ex-Jugoslawien auch miterlebt. Das dient den Interessen von niemandem. Es geht eher darum - und das hat Präsident Obama bei dieser Pressekonferenz in Washington DC immer wieder betont -, um den Preis für Putin zu erhöhen, nicht das Minsker Abkommen umzusetzen. Wie die Kanzlerin betont hat, ist dieses Abkommen nie umgesetzt worden, ganz im Gegenteil. Und es geht darum, welche Modalitäten oder welche diplomatischen, politischen Werkzeuge haben wir, um diesen Preis eben zu erhöhen. Sanktionen sind eine Möglichkeit, möglicherweise ist auch die Drohung von Waffenlieferungen zumindest ein möglicher Weg.
    Liminski: Bundeskanzlerin Merkel setzt auf die wirtschaftlichen Sanktionen, wenn überhaupt, und argumentiert auch mit der historischen Perspektive. Beim Mauerbau sei keine militärische Lösung gesucht worden und die Geschichte habe denjenigen Recht gegeben, die auf friedliche Lösungen setzen. Das heißt, lieber jetzt eine Teilung der Ukraine hinnehmen, aber nicht akzeptieren freilich, als eine kriegerische Eskalation wagen, lieber Sanktionen als Schießen. Könnten denn wirtschaftliche Sanktionen Putin zur Besinnung bringen?
    Garrett: Das ist natürlich die richtige Frage und liegt völlig offen. Die Schmerzen für die Binnenwirtschaft Russlands steigen, das sehen wir. Wie lange die das aushalten können, ist schwierig. Bei der Pressekonferenz haben Kanzlerin Merkel und Präsident Obama Iran in diesem Kontext erwähnt. Die Sanktionen gegenüber Iran greifen seit Jahren. Und was hat das gebracht? - Na ja, das kann man natürlich diskutieren. Es ist immer die Frage, was würde passieren ohne diese Modalitäten, um den politischen Druck zu erhöhen. Wirtschaftliche Sanktionen sind in diesem Sinne eine nicht militärische Option. Die sind ein Werkzeug, aber die sind keine Garantie. Das hat die Kanzlerin auch immer wieder betont und auch der Präsident.
    Liminski: Falls Russland sich nun die Ostukraine einverleibt - wir sehen ja, dass auf dem Boden, auf dem Gefechtsfeld die Separatisten Geländegewinne erzielen -, sich nun die Ostukraine einverleibt als autonomes Gebiet, als Staat oder sonst irgendwie, kann es dann, glauben Sie, zu einer Erweiterung der NATO kommen, indem man die Westukraine als Partner aufnimmt?
    Garrett: Ich denke, das wäre eine Möglichkeit, aber nicht in der näheren Zukunft. Zuerst sehen wir schon große Schritte von deutscher Seite. Die werden sehr genau wahrgenommen in Washington DC und unterstützt. Nämlich: Die NATO baut sich um, um dieser Eskalation irgendwie zu kontern, zum Beispiel mit der niederländisch-deutschen Brigade. Da wird ein Stützpunkt in Stettin aufgebaut, wo die Deutschen maßgeblich beteiligt sind. Das ist eine völlig neue Qualität in der NATO-Geschichte. Aber wirklich eine Art Westukraine als NATO-Mitglied zu fördern, das, denke ich mir, steht nicht zur Diskussion zurzeit. Die Kanzlerin hat immer wieder betont und auch der Präsident, die territoriale Integrität der Ukraine ist essenzieller Punkt. Das ist das Ziel der Diplomatie und des westlichen Drucks. Und so eine Abspaltung der Ukraine wird der Westen, hat die Kanzlerin noch einmal wieder betont, nie akzeptieren, ganz besonders was die europäische Idee betrifft. Das wäre fatal, was die Solidarität Europas betrifft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.