Eine Sondersitzung des Bundestags, um über Waffenlieferungen in den Irak zu debattieren, sei längst überfällig, sagt Britta Haßelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, im Interview mit dem Deutschlandfunk. In dieser wichtigen Frage, über die die Regierung bereits am kommenden Sonntag entscheiden wird, müsse sich die Volksvertretung positionieren. "Überall in den Kirchen, auf der Straße diskutieren die Menschen diese Frage, nur der Bundestag ist bislang nicht zusammengekommen", sagte Haßelmann.
Sie selbst stehe Waffenlieferungen skeptisch gegenüber. Viel wichtiger sei humanitäre Hilfe und Deutschland müsse darüber nachdenken, Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Am nächsten Montag werden die Abgeordneten des Bundestages zu einer Sondersitzung vorzeitig aus dem Urlaub zurückgerufen. Es geht zwar nur um wenige Tage, aber nach Ansicht der Bundesregierung und der Fraktionsspitzen zwingen die Umstände zur Eile. Am Sonntag trifft die Regierung die formale Entscheidung, Waffen an die Kurden im Irak zu liefern. Andere Nationen wie Großbritannien, Frankreich, Kanada tun das schon – alles um die Kurden vor der Terrormiliz des IS zu schützen, heißt es zur Begründung. Erste Bundeswehrsoldaten sind bereits zur logistischen Unterstützung in den Irak geflogen. Das wurde jetzt bekannt.
Es waren auch die Grünen, die darauf beharrt haben, dass es eine Sondersitzung des Bundestages zum Thema geben soll. Jede Mission der Bundeswehr, und wenn sie noch so klein ist, werde vom Parlament abgesegnet, aber Waffenlieferungen in einen heißen Krieg nicht; das könne nicht sein. Jetzt soll es die Sitzung geben, Sondersitzung am Montag, und auch eine Abstimmung über eine Resolution. – Britta Haßelmann ist die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion der Grünen. Guten Tag, Frau Haßelmann!
Britta Hasselmann: Guten Tag, Herr Meurer.
Meurer: Wie finden Sie die Idee mit der Abstimmung und der Resolution?
Haßelmann: Ja. Ich meine, wir haben die gefordert. Wir haben gesagt: Zum einen, es muss der Bundestag zusammenkommen. In der Gesellschaft, in den Kirchen, überall öffentlich wird über diese Frage der dramatischen Situation in den Krisengebieten Irak und mögliche Rüstungsexporte diskutiert, nur wir als Plenum kommen nicht zusammen. Ich bin froh, dass sich jetzt alle Fraktionen darauf verständigt haben. Und wir haben gesagt: Nach Grüner-Auffassung ist es so, dass wir uns politisch positionieren müssen in dieser wichtigen Frage. Da scheint es, jetzt Bewegung zu geben bei der Großen Koalition. Allerdings liegt uns noch nichts vor. Wir wissen weder, welche Vorschläge wird uns die Bundesregierung unterbreiten, noch kennen wir bisher eine Antragsankündigung oder einen Entschließungsantrag der Großen Koalition.
Meurer: Das heißt, Sie warten erst mal, was die "Gegenseite" tut. Sie entwickeln jetzt nicht gemeinsam einen Resolutionsentwurf?
Haßelmann: Bisher ist auf uns da niemand zugekommen, so was zu initiieren. Weil wir wahrscheinlich erst am Sonntagabend oder am Montagmorgen die Vorschläge der Bundesregierung kennen werden, werden wir am Montagmorgen in einer ausgiebigen Fraktionssitzung zusammenkommen und uns natürlich als Fraktion auch selber Stellung beziehen zu diesen angesprochenen Fragen. Aber letztlich werden wir erst dann bewerten können, was legt uns die Bundesregierung vor und wie positionieren wir uns als Grüne-Bundestagsfraktion dazu.
"Wir sollten auch Stellung beziehen"
Meurer: Jetzt bleibt es natürlich dabei, Frau Haßelmann: Die Bundesregierung entscheidet, und zwar am Sonntag. Und dann erst am Tag danach redet das Parlament eigentlich doch ziemlich folgenlos. Ist das eine Pseudoabstimmung am Montag?
Haßelmann: Nein! Ich halte das für ganz wichtig, dass der Bundestag erst einmal zusammenkommt in dieser wichtigen Frage. Wir sind das Parlament und über solche entscheidenden Fragen muss im Parlament nicht nur diskutiert werden, sondern wir sollten auch Stellung beziehen. Und unabhängig von der rechtlichen Beurteilung ist eine Bundesregierung gut beraten, sich in einer solch entscheidenden Frage auch der Rückendeckung des Parlamentes zu versichern.
Meurer: Aber sollte man das nicht drehen, erst die Bundestagsdebatte, dann die Entscheidung der Bundesregierung?
Haßelmann: Wir haben jetzt erst mal darauf bestanden, dass wir als Parlament tagen, und ich gehe davon aus, dass alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, nicht nur die Grünen in der Opposition, so selbstbewusst sind zu sagen, wir werden zum Ausdruck bringen als Parlament, wie positionieren wir uns, und die Regierung wie gesagt ist an der Stelle gut beraten, das als Rückendeckung des Parlamentes sich hier auch zu versichern.
"Ich bin sehr, sehr skeptisch, was die Frage von Waffenlieferungen angeht"
Meurer: Wie werden Sie selbst abstimmen?
Haßelmann: Ich bin sehr, sehr skeptisch, was die Frage von Waffenlieferungen angeht. Ich glaube, wie viele andere Menschen sind wir und bin ich auch in einem großen Dilemma. Ich habe ganz klare Auffassungen in Bezug auf die Frage der humanitären Lage, dass Deutschland da wesentlich mehr machen muss, dass wir in Bezug auf das Signal der Aufnahme irakischer Flüchtlinge drängen müssen. Ich bin mir auch ganz sicher, dass die Frage Einrichtung der internationalen Irak-Kontaktgruppe notwendig und wichtig wäre und wir als Bundestag und Bundesregierung darauf drängen. In Bezug auf die Frage nichtvitale militärische Ausrüstung halte ich es auch für richtig, ...
Meurer: Also nicht tödliche, das heißt nur Schutzwesten und Nachtsichtgeräte.
Haßelmann: Ja, genau: Schutzwesten, Helme. Alles was wir da an unterstützendem Material liefern können, bin ich mir auch ganz sicher, dass es richtig ist, hier einen Beitrag zu liefern.
Meurer: Aber bei Waffen sagen Sie Nein?
Haßelmann: Bei den Waffen? Ich habe ganz, ganz große Skepsis persönlich. Diese Auffassung teilen viele der Grünen. Aber es gibt auch durchaus Kolleginnen und Kollegen, die sagen, wir sind in einer so dramatischen zugespitzten Situation, dass sie sich vorstellen können, auch sich für Waffenlieferungen auszusprechen. Wir werden das aber abschließend als Fraktion am Montag diskutieren, wenn wir wissen, worüber reden wir mit der Bundesregierung, was soll konkret der Beitrag jetzt aus Deutschland sein, und wir werden nicht nachlassen in unserem Engagement, dass das Thema humanitäre Hilfe stärker in den Fokus rückt und dass wir hier gemeinsam mit der EU ein stärkeres Engagement zeigen als bisher.
Meurer: Da Sie das so betonen, ist es noch möglich, dass Sie Ja sagen, wenn die humanitären ergänzenden Maßnahmen verstärkt werden?
Haßelmann: Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt darüber nicht spekulieren und kann der Fraktionsdebatte auch nicht vorweggreifen. Ich weiß, dass bei sehr, sehr vielen große Skepsis ist, aber es gibt auch Kollegen, die haben sich angesichts der dramatischen Situation dafür ausgesprochen. Wie in allen anderen Parteien im Deutschen Bundestag diskutieren wir darüber und diese Debatte ist noch nicht abgeschlossen.
"Diese Debatte findet in allen Fraktionen statt und sie findet auch in der Gesellschaft statt"
Meurer: Dann frage ich Sie mal nach der Argumentation der Kolleginnen und Kollegen, die Sie zitieren, und derjenigen im Bundestag, die für die Waffenlieferung stimmen werden. Tausende Jesiden werden vertrieben, stehen unter Lebensgefahr, es gibt Massaker. Ist es kein Gebot der Hilfe, da einzuschreiten?
Haßelmann: Ja! Deshalb habe ich ja betont, dass es innerhalb der Grünen-Fraktion und sicherlich auch Partei so wie in anderen Parteien ist, dass die einen sagen, Waffenlieferungen drohen, die Region weiter langfristig zu destabilisieren, und sehen ein erhebliches Risiko und sind deshalb sehr skeptisch, und andere sagen, diese dramatische Situation, diese unfassbaren Gräueltaten müssen militärisch bekämpft werden und da müssen über USA, Frankreich und Großbritannien hinaus auch wir Unterstützung leisten. Das ist die Abwägung, das ist das Dilemma und ich glaube, das geht nicht nur uns als Partei oder Fraktion so, diese Debatte findet in allen Fraktionen statt und sie findet auch in der Gesellschaft statt.
Meurer: Es gibt ja sozusagen noch einen dritten Weg, den die Amerikaner ergreifen, nämlich aus der Luft zu bombardieren. Ralf Stegner von der SPD, der gegen Waffenlieferungen ist, begrüßt diese Luftangriffe. Die helfen den Jesiden und es besteht nicht die Gefahr, dass die Waffen in falsche Hände geraten. Was sagen Sie zu den Luftangriffen?
Haßelmann: Wir haben von Anfang an deutlich gemacht, dass wir es auch in der schwierigen Abwägung für richtig erachtet haben, dass die USA dort eingegriffen hat. In Bezug auf einen deutschen Beitrag ist bisher die Debatte ausschließlich in Bezug auf die Waffenlieferung geführt.
Meurer: Jetzt mal aus pazifistischer Sicht: Für Luftangriffe, gegen Waffenlieferungen, passt das zusammen?
Haßelmann: Ich glaube, dass wir hier in Deutschland - und ich will da jetzt der Entscheidung der Bundesregierung natürlich nicht vorweggreifen, aber wir werden am Montag mit der Frage von Waffenlieferungen konfrontiert werden und ich kenne hier keinen Vorstoß bisher der Bundesregierung, weder aus dem Außenministerium, noch dem Verteidigungsministerium, dass es zu einer solchen Entscheidung darüber überhaupt käme.
Meurer: Die wird es nicht geben, das sieht ja jeder so.
Haßelmann: Genau!
Meurer: Aber trotzdem: Kann man für Luftangriffe sein und gegen die Lieferung von Waffen, von relativ einfachen Waffen?
Haßelmann: Ich persönlich habe da große Probleme und Schwierigkeiten und ich glaube, dass das nicht die Debatte sein wird und die Entscheidung, der wir uns stellen müssen.
Meurer: Am Montag gibt es eine Sondersitzung des Bundestages zu den wahrscheinlichen Waffenlieferungen an die Kurden im Irak – ich sprach darüber mit der Parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Britta Haßelmann. Frau Haßelmann, schönen Dank! Auf Wiederhören!
Haßelmann: Bitte, Herr Meurer! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.