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Waffenruhe in der Ukraine
"Wir müssen an diesem Abkommen festhalten"

Die Ukraine im Kampf gegen die Separatisten mit Waffen zu unterstützen, lehnt Bernhard Kaster ab. Hilfe im medizinischen Bereich sei richtig, "aber ansonsten ist dieser Konflikt nicht mit Waffen zu lösen", sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Deutschlandfunk. Trotz einiger Brüche habe das Minsker Abkommen jedoch nach wie vor eine Chance.

Bernhard Kaster im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.03.2015
    Der rheinland-pfälzische CDU-Bundestagsabgeordnete Bernhard Kaster gestikuliert auf dem Parteitag der rheinland-pfälzischen CDU zur Aufstellung der Landesliste für die Wahl zum Deutschen Bundestag am Samstag (28.02.2009) in Montabaur
    Bernhard Kaster (CDU), parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag (dpa picture alliance / Thomas Frey)
    "Wir wissen, dass die Waffenruhe brüchig ist", sagte Bernhard Kaster im DLF. Und dennoch seien viele Fortschritte erzielt worden. Obwohl es immer wieder zu Verletzungen des Minsker Waffenstillstandsabkommens komme, habe sich die Lage laut OSZE seit dem 15. Februar deutlich beruhigt, so der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion.
    Die Sanktionen gegenüber Russland bezeichnete Kaster als keinen Selbstzweck. "Und wir würden sie am liebsten schnellstmöglich aufheben, was aber unter den derzeitigen Umständen kein Thema ist."
    Die deutsche Politik müsse sich fortan auch mit in Deutschland Lebenden befassen, die in der Ostukraine für die Separatisten kämpfen. Von diesen Personen gingen nach der Rückkehr durchaus Gefährdungen aus.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Deutlich waren sie gestern, die Worte aus den europäischen Hauptstädten, gerichtet an Russlands Präsidenten Wladimir Putin, der ein Jahr nach dem umstrittenen Referendum auf der Krim die Annexion der Halbinsel feierte. In Nordrussland ließ er 40.000 Soldaten aufmarschieren. Putin habe die Manöver befohlen, um die Bereitschaft der Nordmeerflotte zu überprüfen und die Fähigkeit des Militärs zu testen, sagte sein Verteidigungsminister. Putin lässt also wieder die Muskeln spielen, während sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko im Gespräch mit Angela Merkel gestern in Berlin wenig hoffnungsvoll zeigte in Sachen Minsker Waffenstillstandsabkommen. Es funktioniere nicht, sagte er.
    O-Ton Angela Merkel: "Ich möchte eigentlich gar nicht über die weitere Verhängung von Sanktionen sprechen, sondern ich möchte über die Implementierung von dem Minsker Paket sprechen. Und wenn wir darauf unsere Kraft richten, dann habe ich die Hoffnung, dass wir auch vorankommen."
    O-Ton Petro Poroschenko: "Wenn aber die Minsker Verpflichtung nicht erfüllt wird, und ich hoffe sehr darauf, dass die EU das auch so klar sagt, dann werden die Sanktionen fortgeschrieben und auch verstärkt."
    Dobovisek: Angela Merkel und Petro Poroschenko gestern in Berlin. - Am Telefon begrüße ich Bernhard Kaster. Er ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Fraktion im Bundestag und dort auch Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Guten Morgen, Herr Kaster.
    "Wir müssen am Minsker Abkommen festhalten"
    Bernhard Kaster: Guten Morgen.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (li.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz in Berlin.
    Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (li.) und Bundeskanzlerin Angela Merkel halten am Minsker Abkommen fest. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Dobovisek: Hat Minsk noch eine Chance, Herr Kaster?
    Kaster: Aber sicher. Wir müssen an diesem Abkommen festhalten. Das ist ja ein Prozess, der sich auch von den Vereinbarungen her über einen längeren Zeitraum in diesem Jahr hinstreckt. Wir wissen, dass die Waffenruhe brüchig ist, aber dennoch sind ja doch wesentliche Fortschritte erzielt worden und wir müssen daran festhalten, an der diplomatischen Lösung auf der Basis des Minsker Abkommens. Ich will nur sagen: Wir müssen hier klug und besonnen sein. Mit der Geduld ist das sicherlich etwas schwierig, insbesondere wenn man die schlimmen Verhältnisse in der Ostukraine kennt. Ich selbst habe auch Kontakte dorthin. Deswegen war es auch gestern wichtig, dass noch mal gesagt worden ist, auch humanitäre Hilfe dort zuzulassen. Aber wir müssen an den Minsker Abkommen festhalten und an der Umsetzung weiter intensiv arbeiten.
    Dobovisek: Die Bundeskanzlerin räumte gestern beim Treffen mit Petro Poroschenko ein, der Waffenstillstand sei längst noch nicht erreicht. Helfen Sie mir, Herr Kaster: Ist der Waffenstillstand nicht ein Kern des Abkommens?
    Kaster: Der Waffenstillstand ist ein Kern des Abkommens und darum muss es auch gehen, dass die Gewalt, dass Tod und alles ein Ende findet, und deswegen ist das das oberste Gebot. Wir wissen, dass ein Teil auch der schweren Waffen bereits abgezogen sind, aber es kommt immer wieder zu Verletzungen des Waffenstillstands. Das muss immer wieder eingefordert werden. Dennoch sagt auch die OSZE, seit dem 15. Februar ist eine wesentliche Beruhigung eingetreten. Das ist nicht befriedigend, aber man muss einfach sehen, dass das der Weg ist, hier weiter den Friedensprozess voranzubringen, auch wenn es diese Rückschläge gibt.
    Dobovisek: Sie haben Geduld angesprochen, Herr Kaster. Wie weit reicht die?
    Kaster: Das ist wie gesagt sehr schwierig, insbesondere auch aufgrund der ganzen Situation vor Ort. Aber wir müssen den Prozess in der Gesamtheit hier sehen und deswegen war es auch wichtig, gestern noch mal das Treffen zwischen der Bundeskanzlerin und auch dem Präsidenten Poroschenko, hier auch noch mal Abstimmungen vorgenommen zu haben, wie wir hier weiterkommen.
    Ein Sarg und eine Bahre stehen vor einem Krankenhaus in Donezk in der Ukraine.
    Ein Sarg und eine Bahre stehen vor einem Krankenhaus in Donezk in der Ukraine. (AFP / John MacDougall)
    "Sanktionen sind kein Selbstzweck"
    Dobovisek: Präsident Poroschenko wirft den prorussischen Separatisten Verstöße gegen das Abkommen vor. Würden weitere Sanktionen gegen Russland helfen?
    Kaster: Sanktionen sind kein Selbstzweck und wir würden sie ja auch am liebsten schnellst möglichst wieder aufheben, was natürlich in der derzeitigen Situation überhaupt kein Thema ist. Es ist natürlich richtig, in einer solchen Situation die Option offenzuhalten, dass wenn der Prozess auf der Basis des Abkommens sich nicht weiter so vollzieht das auch miteinander zu verknüpfen. Das ist dann eine Frage zu dem jeweiligen Zeitpunkt.
    Dobovisek: Notfalls, sagt Angela Merkel, notfalls neue Sanktionen.
    Kaster: Richtig.
    Dobovisek: Wie sieht denn dieser Notfall aus?
    Kaster: Man muss die Option natürlich offenhalten. Wir wissen, was alles im Abkommen geregelt ist, und einige Punkte sind ja jetzt nochmals eingefordert worden, und wir müssen diesen Prozess begleiten. Und wenn es dann zu Situationen kommt, die auch ja teilweise angedeutet worden sind, wenn neue Aggressionen entstehen, wenn neue Bedrohungslagen noch mal aufgemacht werden, muss diese Option der Verschärfung von Sanktionen da sein. Aber man sollte sie zum richtigen Zeitpunkt diskutieren. Die Sanktionen laufen jetzt bis zum Sommer. Im Juni ist auch da noch mal drüber zu sprechen, und so sollte man den Prozess begleiten.
    Umgang mit Ukraine-Kämpfer ist politische und juristische Herausforderung
    Dobovisek: Die Absicht, in ein Terrorcamp zum Beispiel des Islamischen Staates zu reisen, will die Bundesregierung künftig unter Strafe stellen. Wie steht es da um die angeblich 100 Deutschen, die in der Ostukraine für die Separatisten kämpfen? Ist das eine Straftat?
    Kaster: Das sind jetzt Erkenntnisse, die man in den letzten Tagen gewonnen hat. Denen muss man hier auch entsprechend nachgehen, wie die Situation dort ist und bezüglich auch des Umgangs damit. Richtig ist auch, dass von solchen Personen, wenn sie wieder nach Deutschland zurückkehren, auch Gefährdungen ausgehen. Da muss man juristisch, politisch mit umgehen.
    Dobovisek: Muss Deutschland die Ausreise Kampfwilliger künftig verhindern?
    Kaster: Das ist ein Thema, mit dem wir uns schon zu befassen haben. Das sind Meldungen, die schon erschreckend waren. Damit muss sich befasst werden, selbstverständlich.
    Dobovisek: Also soll das verboten werden?
    Kaster: Das ist eine Frage, die nach dem Recht zu entscheiden ist, und da müssen entsprechende Maßnahmen schon ergriffen werden.
    Dobovisek: Petro Poroschenko kam gestern mit einer ganzen Wunschliste nach Berlin: Boykott der Fußball-WM stand ganz oben drauf auf der Liste, der Fußball-WM in Russland, wurde auch gleich abgelehnt von der Kanzlerin. Finanzielle Hilfen und Waffenlieferungen standen ebenso darauf. Geld und Waffen könnte es durchaus geben. Bedingungen hierfür sind Reformen in der Ukraine. SPD-Mann Peer Steinbrück geriet jüngst in die Kritik für seine Beraterrolle in der Ukraine. Inzwischen stellt er nüchtern fest, es fehle nicht an Vorschlägen, sondern an deren Umsetzung. Reicht, Herr Kaster, der Reformwille in der Ukraine aus, um Hilfe zu gewähren?
    Kaster: In der Ukraine ist noch vieles zu tun, das wurde ja auch mit angemahnt: zum Thema Korruption, zum Thema Verwaltung etc. Das gehört alles mit dazu. Die Vereinbarungen haben ja verschiedene Seiten. Und da muss auch drauf gepocht werden, dass da natürlich diese Entwicklungen, diese Vereinbarungen auch von der ukrainischen Seite eingehalten werden und fortgesetzt werden. Und Themen wie beispielsweise die Fußball-Weltmeisterschaft: Es mag verständlich sein, insbesondere aus der Ukraine solche Forderungen zu erheben. Man sollte den derzeitigen Prozess aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit einem Sportereignis des Jahres 2018 jetzt belasten.
    "Dieser Konflikt ist nicht mit Waffen zu lösen"
    Dobovisek: Wären Sie bereit, Waffen zu liefern?
    Kaster: Da stehe ich klar zu den Haltungen, die wir in Europa dazu haben. Es ist richtig, dass auch jetzt in den Gesprächen gestern Unterstützungen im medizinischen Bereich wieder zugesagt worden sind, aber ansonsten ist dieser Konflikt nicht mit Waffen zu lösen. Man muss das immer weiterdenken und deswegen ist die Politik, die hier betrieben wird, die richtige, die diplomatische Lösung voranzutreiben. Die ist nicht voranzutreiben mit zusätzlichen Waffenlieferungen.
    Dobovisek: Der CDU-Politiker Bernhard Kaster über den Konflikt in der Ukraine. Vielen Dank für das Gespräch.
    Kaster: Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.