Dienstag, 23. April 2024

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Waffenruhe in Syrien
"Ich bin nicht überoptimistisch"

Die Akteure im Syrienkonflikt würden ganz unterschiedliche Interessen verfolgen, sagte die Friedensforscherin Margret Johannsen von der Uni Hamburg im Deutschlandfunk. Das sei auch ein Sprengsatz für die Waffenruhe - bei den geplanten Friedensverhandlungen in Astana müssten die Akteure deshalb ein großes Werk leisten.

Margret Johannsen im Gespräch mit Jonas Reese | 29.12.2016
    Dr. Margret Johannsen, Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH), beantwortet in der Bundespressekonferenz in Berlin Fragen zum Friedensgutachten 2016.
    Die Friedensforscherin Margret Johannsen (imago / Metodi Popow)
    Jonas Reese: Waffenruhen hat es schon mehrere gegeben in Syrien in den vergangenen fast sechs Jahren, doch von langer Dauer waren sie nie. Dieses Mal scheinen einige Beobachter dennoch optimistisch zu sein, da die maßgebenden Stellvertretermächte sie ausgehandelt haben, Türkei und Russland maßgeblich. Die USA oder die Vereinten Nationen, sie schauen nur zu dabei. Seit 23 Uhr, also seit einer knappen Viertelstunde unserer Zeit, sollen die Waffen wieder schweigen in Syrien, das ist nach den Verwirrungen gestern nun doch offiziell.
    - Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg, guten Abend!
    Margret Johannsen: Guten Abend, Herr Reese!
    Reese: Frau Johannsen, Waffenruhe, das ist ja erst mal ein gutes Zeichen, aber für wie tragfähig halten sie die denn?
    Johannsen: Ich bin da gespalten. Auf der einen Seite sind diejenigen, die das Sagen haben, sich offenbar einig, also dass neben dem Assad-Regime eben auch Russland, die Türkei und wohl auch Iran. Auf der anderen Seite müssen natürlich Akteure am Boden mitmachen, und es werden bestimmte Gruppierungen ausgeschlossen aus der Waffenruhe. Und es ist nicht mal klar, wer ausgeschlossen ist, weil nicht klar ist, wer hier als terroristische Gruppierung gilt. Es ist auch nicht klar, wer radikalislamisch oder -islamistisch sei, wer dschihadistisch sei. Es ist ja eine große Zahl von Gruppierungen am Boden, von Milizen, die zum Teil Allianzen eingegangen sind, die sehr fragil sind. Und wenn nicht sicher ist, wer ausgeschlossen ist oder eingeschlossen ist in die Waffenruhe, dann ist das eine Gefährdung einer solchen Waffenruhe. Insofern bin ich nicht überoptimistisch. Aber es ist trotzdem so, dass es ja eine Zahl von Allianzen der Milizen gegeben hat, die erklärt haben, dass sie sich daran halten wollen. Also mit anderen Worten, ich bin nicht so ganz sicher, traue sozusagen dem Frieden nicht so recht, denke aber, dass der jetzige Stand ein stabilerer ist als seit Langem.
    Reese: 62.000 Oppositionskämpfer sollen es in ganz Syrien sein, die sich diesem Abkommen anschließen. Ganz unterschiedliche Gruppen, Sie haben es gesagt. Können Sie sich erklären, warum diese alle eingewilligt haben, welche Gegenleistung ihnen vielleicht versprochen wurde, oder welche Gegenleistung sie erwarten können.
    Johannsen: Ich glaube, als Allererstes ist es wohl die Überlegenheit derjenigen, die aufseiten Assads gekämpft haben, und das ist dann eine Art von Güterabwägung. Es schien wohl so zu sein, dass zumindest da, in Aleppo zum Beispiel, die Chancen der Opposition immer weiter reduziert wurden. Es könnte sein – ich kann da auch nur mutmaßen –, dass das eine temporäre Bereitschaft ist, die Waffen erst mal ruhen zu lassen, sich woanders zu sammeln, da, wo man noch hoffen kann, dass man Teile Syriens halten kann. Es ist ja auch noch nicht mal sicher, obwohl diese Waffenruhe landesweit sein soll, immerhin, der IS ist ausgeschlossen, hält ja große Teile des Landes nach wie vor. Und es könnte eben durchaus sein, dass man sich dann am Ende doch auf eine Art von Aufteilung des Landes einigen wird. Es ist nicht ganz sicher, aus meiner Sicht, dass der Wunsch von Assad, das gesamte Land zurückzuerobern, tatsächlich auch toleriert oder respektiert wird von Russland und der Türkei.
    Reese: Sie haben diese Garantiemächte schon angesprochen, Türkei und Russland maßgeblich, dann aber auch der Iran. Die scheinen das Land jetzt wirklich untereinander irgendwie aufzuteilen. Wie schlimm ist es da, dass die UN und auch die USA da überhaupt gar nicht gefragt sind?
    "Wer sich engagiert mit Waffen, hat das Kriegsglück"
    Johannsen: Ja, wer sich engagiert mit Waffen, mit Kämpfern, mit Bomben, hat zunächst einmal, kurzfristig gesprochen, das Kriegsglück auf seiner Seite. Wer sich auf Sanktionen beschränkt, die letztlich ihren Zweck verfehlt haben, die nur die Zivilbevölkerung getroffen haben, wer sich darauf beschränkt und die eigenen Kräfte am Boden nicht einbringen will, der wird feststellen müssen, dass die größere militärische Entschlossenheit sich letztlich durchsetzt. Das bedeutet aber nicht, dass damit die Probleme am Boden vollständig gelöst sind. Es ist zum Beispiel so, dass für ein Land, das ja nach dem Krieg seine zivile Struktur wiederaufbauen muss, dass dort auch zum Beispiel zivilgesellschaftliche Akteure nach wie vor, wenn auch stark reduziert gegenüber von vor zwei Jahren existieren, die versucht haben, an den Rändern, dort, wo nicht Krieg geführt wurde, und davon gab es ja große Teile Syriens, wo nicht aktiv gekämpft wurde, die dort versucht haben, alternative zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen. Die zum Beispiel zu unterstützen für die Zeit danach, also nach den Kämpfen, das ist etwas, wo sich diejenigen, die nicht direkt eingreifen wollten, und das sind die USA und das sind die Europäer, sich engagieren können und sich engagieren sollten.
    Reese: Sie blicken jetzt schon ein bisschen in die Zukunft. Diese Waffenruhe, die jetzt, Mitternacht, starten soll, sie gilt als Grundlage für kommende Friedensgespräche zwischen syrischer Opposition und Regierung im kasachischen Astana, im Januar. Ein Knackpunkt da ist, wie auch in der Vergangenheit schon die Zukunft Assads. Die Garantiemächte, Türkei, sie planen ohne Russland, mit Assad – was ist das jetzt für ein Zeichen, wenn man sich da vielleicht jetzt schon auf eine Waffenruhe einigt im Hinblick auf die Personalie Assad?
    "Mehrere Sprengsätze für eine Waffenruhe"
    Johannsen: Also da hört man ebenfalls Unterschiedliches aus diesen verschiedenen Lagern. Man braucht zum Beispiel Assad, um die syrische Armee in diese Waffenruhe einzubinden. Ob er nur als Übergangspräsident eine Rolle spielen kann oder auch später, ist unklar. Es geht aber nicht nur um Assad, es geht natürlich auch um die Kurden. Die Tatsache, dass die Türkei dabei ist, ist vor allen Dingen dem Umstand geschuldet, dass die Türkei auf Biegen und Brechen verhindern will, dass sich die Kurden in Syrien einen gewissen Autonomiestatus verschaffen, der ihnen dann aus türkischer Sicht als eine Art von Brückenkopf dienen kann, um auch die Kurden in der Türkei in Richtung Autonomiestatus zu bewegen. Das heißt, da haben die unterschiedlichen Akteure, zum Beispiel auch Iran, der die Hisbollah unterstützt – die Hisbollah ist ja eine libanesische Organisation, die auch sich fürchtet vor dem IS, weil der IS Schiiten bekämpft, und die Hisbollah ist eine schiitische Organisation –, das heißt, wir haben hier nach wie vor nicht nur Syrien als Problem, wir haben den Libanon als Problem, wir haben die Türkei als Problem, wir haben das Kurdenproblem. Und alle diese verschiedenen Probleme bewegen die unterschiedlichen Akteure auf unterschiedlich starke Weise. Und das ist eben etwas, was auch nicht durch eine Waffenruhe aus der Welt geschafft wird, das ist eigentlich auch ein Sprengsatz, oder sind mehrere Sprengsätze für eine länger andauernde Waffenruhe. Und da werden diejenigen, die in Astana jetzt verhandeln, ein großes Werk zu leisten haben.
    Reese: Margret Johannsen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Mit ihr habe ich vor der Sendung gesprochen. Und ob die Waffenruhe in Syrien hält, seit 23 Uhr unserer Zeit, dazu gibt es noch keine Meldung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.