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Wagenknecht vor dem Rückzug
Bahn frei für neue Bündnisse mit der Linken?

Sahra Wagenknecht will nicht mehr Fraktionsvorsitzende der Linken sein. Das weckt in Berlin bei manchem Sehnsüchte: Nach einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis. Denn Wagenknecht galt hierfür lange als Störfaktor. Es gärt von den Rändern her, auch bei den Konservativen.

Von Stephan Detjen | 12.03.2019
Sie sehen Taschenlampen mit rot-rot-grünen Lichtern, im Hintergrund die Schriftzüge "Die Linke", "SPD" und "Bündnis90 Die Grünen".
Steigen mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht die Chancen auf ein rot-rot-grünes Bündnis in Berlin? (imago stock&people, 63103691)
Die Fraktionschefin der Linken auf dem politischen Rückzug. Die neue CDU-Vorsitzende im Vormarsch. Die SPD im politischen Limbo, einem diffusen Zwischenzustand zwischen dem Willen zum Weitermachen und der Ankündigung, die Fortsetzung der Großen Koalition im Herbst zur Diskussion zu stellen. Die Politik in Berlin bewegt sich in diesen Zeiten auf zwei Ebenen: an der Oberfläche Regierungs- und Oppositionsroutine, darunter die Bewegungen, mit denen sich die Parteien auf andere Zeiten und neue Konstellationen einstellen. Die Rückzugsankündigung Sarah Wagenknechts bringt nun die eine oder andere, bisher sorgfältig verborgene Dynamik auch in anderen Parteien ans Tageslicht:
"Es könnte durchaus sein, dass das in der Zukunft die Perspektiven für progressive Koalitionen diesseits der Union erleichtert",
sagt etwa der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Ralf Stegner, mit Blick auf neue Bündnisoptionen seiner Partei mit den Linken.
"Denn Frau Wagenknecht stand ja eher für einen Kurs, dass die Linkspartei in der Opposition bleibt und die SPD der Hauptgegner ist. Wenn sich das ändert sind auch die Aussichten vielleicht günstiger für ein solches Mehrheitsszenario in der Zukunft."
Ralph Stegner gilt in der eigenen Partei als Figur, dessen mediale Präsenz nicht immer seine innerparteiliche Bedeutung spiegelt. In Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit aber geht die Bewegung häufig von den Rändern aus. In der SPD blickt man auf den linken Flügel, auf die Jusos und ihren Vorsitzenden Kevin Kühnert, der schon den Widerstand gegen die GroKo-Verlängerung mobilisiert hatte. Aus diesem Lager dürfte auch die Forderung nach einem Ausstieg aus der Regierung ausgehen, wenn im Herbst wie im Koalitionsvertrag vereinbart eine Halbzeitbilanz gezogen werden soll.
Veränderungen auch bei den Konservativen?
Auch bei der CDU gärt es von den Rändern her: "Viele Mitglieder in der CDU auch deutlich wichtigere Politiker in der CDU erwarten eigentlich, dass während der Legislaturperiode ein Wechsel im Kanzleramt noch kommt", sagt Alexander Mitsch, Vorsitzender der konservativen Werteunion, im Deutschlandfunk. Die lose organisierte Basisvereinigung konnte bisher keine politischen Schwergewichte in der CDU für sich gewinnen, zuletzt aber lenkte der Beitritt des geschassten Verfassungsschutz-Präsidenten Hans Georg Maaßen neue Aufmerksamkeit auf die Werteunuion. Auch die dort organisierten Konservativen, die im letzten Herbst noch für Friedrich Merz als neuen Parteichef votiert hatten, versammeln sich nun in der Hoffnung auf einen vorzeitigen Wechsel im Kanzleramt hinter Annegret Kramp-Karrenbauer.
Eine Zäsur für links
Am deutlichsten ist die Veränderung der Kräfteverhältnisse in diesen Tagen aber nun bei den Linken erkennbar; die von Sarah Wagenknecht mitgegründete Linke Alternative "Aufstehen" ist faktisch kollabiert, ihr angekündigter Rückzug von der Fraktionsspitze stellt die Partei vor die Aufgabe einer personellen Neuaufstellung. Von einer Zäsur sprach gestern die stellvertretende Parteichefin Sevim Dagdelen im ZDF:
"Sarah Wagenknecht ist die populärste Linke in diesem ganzen Land und insofern wird das natürlich Folgen haben. Allerdings sind die Folgen heute noch unabsehbar."
Die Neuwahl des Fraktionsvorstandes bei den Linken steht im Herbst an. Dann kennen die Parteien ihre Ergebnisse bei Europa- und mehreren Landtagswahlen im Osten. Dann ist die Zeit der Bilanzen, Abrechnungen und Neuaufstellungen gekommen.