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Wahl in Israel
Intellektuelle an den Rand gedrängt

Intellektuelle, die liberal oder gar links eingestellt sind, fühlen sich in der politischen Debatte in Israel an den Rand gedrängt - beispielsweise die Schriftsteller Amos Oz und Etgar Keret. Regierungschef Netanjahu hat daran eine Mitschuld, doch er ist es nicht allein.

Von Torsten Teichmann | 17.03.2015
    Der israelische Schriftsteller und Filmemacher Etgar Keret
    Schriftsteller Etgar Keret: "Ich will eine Führung, die Demokratie und Liberalismus verteidigt – und die Idee, dass Demokratie hilft, Minderheiten zu schützen und nicht versucht, sie zu zerdrücken." (dpa/Ulrich Perrey)
    Im Laufe dieses Wahlkampfs hat der israelische Schriftsteller Amos Oz eine Geschichte aus seiner Jugend hervorgeholt. Ausführlich erzählt er vom Besuch bei einer Tante in Jerusalem an den Wochenenden. Und: Von der Familie Netanjahu, die auch zu Gast war. Benjamin Netanjahu war damals noch ein Kind:
    "Der Premierminister hatte damals eine ziemlich merkwürdige Angewohnheit: Er krabbelte unter den Tisch und öffnete allen die Schnürsenkel. Ich muss zugeben, dass ich einmal so genervt davon war, dass ich ihn getreten habe. Bis heute fressen mich die Schuldgefühle aus zwei Gründen: Entweder habe ich ihn zu stark getreten, sodass alles meine Schuld ist, oder ich habe nicht stark genug zugetreten und es ist auch alles meine Schuld."
    Der Schriftsteller trägt die Anekdote mit Genuss vor. Die Geschichte ist komisch, aber auch herablassend. Oz verpackt darin die Verachtung, die er für Regierungschef Netanjahu empfindet und gleichzeitig seine eigene tiefe Kränkung.
    Auftrag zum "Eliten-Austausch"
    Intellektuelle, die liberal oder gar links eingestellt sind, fühlen sich in der politischen Debatte in Israel an den Rand gedrängt. Regierungschef Netanjahu, der seiner Bildungsministerin Livnat einmal den Auftrag gegeben haben soll, die Eliten des Landes auszutauschen, hat dazu beigetragen. Es ist aber nicht Netanjahu allein. Es sind auch die Ereignisse der vergangenen Jahre, die die Gesellschaft geformt haben: Der Soziologe Moshe Zuckermann erinnert an den den Friedensprozess und dessen Zusammenbruch, an den Beginn der zweiten Intifada im Jahr 2000.
    "Da ist eine ganze Menge der sogenannten zionistischen Linken, also die Intelligenz der zionistischen Linken, entweder in den Winterschlaf gegangen, von dem sie bis heute nicht mehr erwacht sind. Oder sie sind gewendet. Das heißt, sie haben sich von ihren Friedensbestrebungen auch ihren sozialen Bestrebungen abgewendet, um zu sagen, sie seien jetzt desillusioniert und wir haben jetzt damit gar nichts mehr zu tun.
    Staatskonforme Intelligenzija
    Auf ihren Fachgebieten wie Kultur, Geschichte und Philosophie seien Geisteswissenschaftler gefragt. Aber es gebe kein Bewusstsein für die Überlegung, welche Funktion einer kritische Intelligenz in einem Staat zukommt, so Zukermann
    "Warum soll man der Intelligenz heute überhaupt noch zuhören, wenn sie im Grunde staatskonform ist und gesellschaftskonform ist, beziehungsweise diejenigen, die es nicht sind, dermaßen randständig sind, dass der Durchschnittsbürger fragt: Was habe ich eigentlich mit diesen Leuten zu schaffen?"
    Die Gesellschaft ist gespalten. Die Auseinandersetzung wird hart geführt. Als bei einer Demonstration gegen die Regierung Netanjahu vor zwei Wochen die Witwe eines Soldaten vor 30.000 Menschen sprach, schrieb ein Journalist hinterher: Die Frau habe ihren Mann ein zweites Mal getötet.
    Der Schriftsteller Etgar Keret empfand den Kommentar als verletzend. Bei einer Taxifahrt habe er mit der Fahrerin darüber sikutiert, erzählt Keret. Er wundert sich darüber, wie sehr Konfrontation die politische Debatte bestimmt:
    "Es ist gerade so, als ob wir nicht eine jüdische, eine israelische Bevölkerung sind, die eine Debatte führt, sondern als seien wir zwei Völker im Krieg. Und die Fahrerin schaut mich an und sagt: 'Aber wir sind zwei Völker im Krieg'. Sie sagt: 'Du und ich, wir sind nicht das gleiche Volk'. Sie sagt: 'Du siehst echt nett aus für einen Linken. Aber täusch Dich nicht, wir sind zwei Völker und wir sind im Krieg.'
    Die kommende Regierung habe die Aufgaben zu lindern und Wunden zu heilen:
    "Ich will eine Führung, die Demokratie und Liberalismus verteidigt – und die Idee, dass Demokratie hilft, Minderheiten zu schützen und nicht versucht, sie zu zerdrücken."
    Keret hatte sich bereits im Sommer 2011 während der Sozialproteste in Israel für ein Ende der Regierung Netanjahu ausgesprochen – im Interesse des Landes und der Gesellschaft. Jetzt ist nicht sicher, dass die Wähler bei dieser Abstimmung den Überlegungen des Schriftstellers folgen.