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Wahl-Umfragen
"Die Stimmung ist volatiler geworden"

Bei der diesjährigen Bundestagswahl seien genaue Wahl-Vorhersagen schwer, sagte Michael Kunert von infratest dimap im Dlf. Das liege einerseits an kurzfristig stark schwankenden Stimmungen und an der schwierigen Berechenbarkeit von Protestwählern.

Michael Kunert im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Ein Wähler steht bei den Landtagswahlen Rheinland-Pfalz am 13.03.2016 in einer Wahlkabine.
    Ein Wähler bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März 2016 in einer Wahlkabine. (imago | Michael Schick)
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Demoskopen dieser Welt erinnern sich noch mit Grausen zurück. Niemand von ihnen hatte auf dem Zettel, dass Donald Trump der nächste amerikanische Präsident werden würde. Und auch beim Brexit deuteten die Umfragen vor der Abstimmung stets auf einen Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union hin.
    Wie wird das sein in Deutschland um 18 Uhr am kommenden Sonntag? Erleben wir da die nächste Überraschung, beim Abschneiden der AfD zum Beispiel? Die Umfragen sehen sie zwischen acht und elf Prozent und der ARD-Deutschlandtrend - er wurde gestern veröffentlicht - sieht die AfD sogar bei zwölf Prozent. Die SPD landet dort nur acht Punkte davor, bei 20 Prozent.
    Michael Kunert ist Geschäftsführer bei infratest dimap. Mit ihm können wir jetzt darüber sprechen. Schönen guten Morgen, Herr Kunert.
    Michael Kunert: Schönen guten Morgen!
    Gewichtung der Erwartungen war falsch
    Heckmann: Bevor wir auf Deutschland blicken, noch mal der Blick zurück auf die amerikanischen Wahlen. Was war denn der Grund, dass Ihre amerikanischen und auch die britischen Kollegen bei der Abstimmung über Brexit und über die Präsidentschaftswahl so daneben lagen? Ist das mittlerweile eigentlich bekannt?
    Kunert: Mit dem "so daneben lagen" bin ich schon mal gar nicht einverstanden. Die wesentliche Botschaft beim Brexit lautete, es ist ein ganz, ganz knappes Rennen. Und wenn es eine Ja/Nein-Entscheidung ist und es geht um ein oder zwei Prozentpunkte - niemand kann erwarten, dass man im Vorfeld so etwas hundertprozentig vorhersagt.
    Heckmann: Das ist innerhalb der Fehlermargen. Bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen sah es ein bisschen anders aus. Weiß man mittlerweile, mit welchen Schwierigkeiten die Demoskopen, Ihre Kollegen dort zu kämpfen hatten?
    Kunert: Es gibt verschiedene Anhaltspunkte. Zum einen ist es ja so, dass im gesamten Land in den USA die Anteilswerte ziemlich genau mit dem übereinstimmten, was die Demoskopen gemessen hatten. Das Problem war nur, dass in einigen Staaten die Messungen falsch waren, und das kommt in erster Linie daher, dass die Gewichtung der Erwartungen der Demoskopen falsch war, wo müssen wir investieren, wo müssen wir auch bis zuletzt Umfragen machen. Manche Staaten waren mehr oder weniger einem Lager zugeordnet und da waren Fehlentscheidungen gelaufen.
    "Kurzfristig können sehr starke Stimmungen aufkommen"
    Heckmann: Ist es denn auch schwieriger, die Stimmung von Rechtspopulisten zu messen? Es heißt ja immer wieder, die Stimmung insgesamt ist volatiler geworden, und viele sagen auch nicht, wie sie wählen wollen.
    Kunert: Das sind zwei Aspekte. Die Stimmung ist volatiler geworden. Das beste Beispiel dafür ist die Messung von Schulz und der SPD im Frühjahr diesen Jahres. Ich mach das seit 20 Jahren; das habe ich noch nie gesehen in den 20 Jahren, dass Werte für eine Partei und für einen Spitzenkandidaten so nach oben geschossen sind auch wieder ganz genauso zurückgegangen sind. Das ist ein Paradebeispiel dafür, dass kurzfristig sehr starke Stimmungen aufkommen können.
    Zum zweiten Punkt: Ja! Rechtsradikale Parteien, das sind oftmals Protestparteien. Das heißt, ein erheblicher Teil der Wähler am Wahltag entscheiden sich für diese Parteien nicht, weil sie die so toll finden, weil es eine ganz enge Parteibindung gibt, sondern es speist sich bei einem erheblichen Teil aus Protest. Das heißt, andere Parteien gefallen ihnen nicht so gut. Insofern ist natürlich im Vorfeld so eine Abfrage, wenn gar keine wirkliche Parteibindung existiert, ein ganzes Stück weit schwieriger.
    Bei Protestwählern ist es schwieriger
    Heckmann: Und das gilt auch für die Anhänger der AfD - Sie haben gerade von Rechtsradikalen gesprochen -, für rechtspopulistische Bewegungen und Parteien?
    Kunert: Ja. Ich würde da eher den Protest Partei wählen. Wenn eine Partei sich zum großen Teil aus Protestwählern speist, dann ist es schwieriger. Wenn man mal zurückschaut auch hier in Deutschland: Die DVU 1998 - das ist schon eine Zeit lang her - hat ein fulminantes Ergebnis erzielt in Sachsen-Anhalt von knapp 13 Prozent. Das hat so auch keiner vorhergesehen. Aber es war auch keine feste Parteibindung da. Es gab kurzfristige Aktionen der DVU und ein erheblicher Teil der Protestwähler ist auf die DVU aufgesprungen, wenn ich das mal so sagen darf.
    Heckmann: Wie gehen Sie denn damit um, mit diesem Phänomen? Ziehen Sie daraus Konsequenzen? Haben Sie da bestimmte spezielle Korrekturfaktoren, die für solche populistischen Parteien dann angewendet werden?
    Kunert: Ja, das haben wir in der Tat. Es ist ja auch so, die Bundestagswahl ist jetzt ja nicht die erste Wahl, wo die AfD antritt. Sie ist jetzt ja schon den ganzen Zyklus einmal durch bei den Legislaturperioden, und da lernt man natürlich auch dazu.
    Heckmann: In welcher Hinsicht machen Sie das? Wie geht das genau?
    Kunert: Wir haben in der Tat für die einzelnen Parteien spezielle Korrekturfaktoren und die werden auch immer wieder angepasst.
    "Das können auch drei Prozent weniger oder mehr werden"
    Heckmann: Wie sicher sind Sie denn, Herr Kunert, dass das Ergebnis für die AfD am Ende zwischen acht und zwölf Prozent ausfällt? Ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde ist wahrscheinlich eher unwahrscheinlich, oder?
    Kunert: Das ist unwahrscheinlich aus heutiger Sicht. Das ist wirklich unwahrscheinlich. Ob es jetzt wirklich zwischen acht und zwölf Prozent liegen wird - unsere letzte Zahl ist zwölf Prozent. Das können auch zwei Prozent weniger werden, vielleicht auch drei Prozent weniger oder mehr werden. In diesem Bereich wird sich das sehr wahrscheinlich bewegen.
    Aber man muss ganz klipp und klar sagen: Wir fragen die Menschen zehn Tage vorher oder zwölf Tage vorher - die Erhebung ist ja in dieser Woche gelaufen -, was sie wählen werden. Was man sagt, was man wählen wird, und das, was man dann tatsächlich tut, da ist, glaube ich, für jeden auch nachvollziehbar, dass da eine Differenz ist.
    Heckmann: Klar, allein schon eine zeitliche Differenz, aber auch natürlich eine Differenz zwischen Sprechen und Handeln.
    Kunert: Ja.
    "Der kulturelle Protest, der zum Ausdruck kommt"
    Heckmann: Herr Kunert, Außenminister Gabriel, der hat gestern gesagt, Angela Merkel sei mit schuld am Erstarken der AfD, denn er selber, er habe Wohnungsbauprogramme vorgeschlagen, eine Mindestrente gefordert, um das Signal zu geben, wir kümmern uns um euch, und das sei nicht geschehen und jetzt sehe man das Resultat. Was sind das für Leute, die die AfD wählen? Sind das Leute, die man erreichen kann mit der Botschaft, wir haben was getan für euch auf sozialem Gebiet? Geht es denen darum?
    Kunert: Ich glaube, das ist schon bei einem Teil der Menschen ein Aspekt. Aber noch stärker ist es vielleicht der kulturelle Protest, der zum Ausdruck kommt. Bei der Linken als Alternative, da ist es mehr der soziale Protest, der sich dort wiederfindet. Bei der AfD ist es mehr eine Mischung aus dem und auch dem kulturellen Aspekt. Das heißt, Ablehnung von Fremdem, Ausländer, Flüchtlinge, absolute Gegenbewegung, und auch ein generelles, und das ist mittlerweile ein sehr starkes Element. Die gesamte Elite wird abgelehnt. Elitenkritik, das ist ein wesentliches Element von AfD-Anhängern.
    Heckmann: Oder auch das Establishment, wie es ja in den USA immer wieder heißt.
    Kunert: Ja.
    Heckmann: Wie ist das zu erklären? Gibt es dafür Erklärungen?
    Kunert: Ich glaube, wenn Menschen verunsichert sind. Wir haben in der Vergangenheit oft gefragt, wie sieht es denn aus, gucken Sie eher mit Zuversicht oder mit Beunruhigung in die Zukunft. Bei denen, die beunruhigt sind, ist der AfD-Anteil immer höher gewesen, aber nicht so gravierend. Aber wenn ein zweiter Punkt hinzukam, wie zufrieden sind Sie mit dem Funktionieren der Demokratie, da scheideten sich dann die Geister bei denen, die gesagt haben, damit bin ich nicht zufrieden. Da ist der Anteil der AfD-Anhänger extrem hoch.
    Ich glaube, das hängt letztendlich ein kleines bisschen damit zusammen, dass ein Teil der Menschen den Eindruck hat, es wird ihnen nicht der Respekt entgegengebracht, der ihnen zusteht, dass sie nicht ihren gerechten Anteil bekommen, der ihnen eigentlich zusteht am Leben.
    Heckmann: Michael Kunert war das, der Geschäftsführer von infratest dimap. Mit ihm haben wir gesprochen über die Schwierigkeiten, die Anhänger von populistischen, rechtspopulistischen Bewegungen und Parteien zu messen. Herr Kunert, danke Ihnen für das Gespräch.
    Kunert: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.