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Wallonen gegen CETA in Belgien
"Ich habe die Hoffnung, dass es zu einer Einigung kommt"

Die Wallonie, der französische Teil Belgiens, lehnt das Freihandelsabkommen mit Kanada weiter ab. Der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft, Oliver Paasch, warnte im Deutschlandfunk vor einem möglichen Image-Schaden Belgiens in Europa. Er hoffe, dass man im Interesse der Handlungsfähigkeit der EU noch eine Lösung finde, sagte er im DLF.

Oliver Paasch im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.10.2016
    Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
    Oliver Paasch, Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (picture alliance/dpa/Eric Lalmand)
    Christoph Heinemann: Wir befinden uns im Jahr 2016 nach Christus. Ganz Europa ist von CETA eingenommen. Ganz Europa? - Nein. Eine von unbeugsamen Wallonen bevölkerte Region hört nicht auf, CETA Widerstand zu leisten, und das Leben ist nicht leicht für die Teilnehmer des EU-Gipfels im fernen Brüssel. Namur ist in Unions-Europa heute, was das gallische Dorf für Cäsars Rom bei Asterix darstellt: der Ort des Widerstandes gegen das geplante Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA genannt. Denn die kleine belgische Wallonie lässt den EU-Gipfel bis zuletzt zittern. Die Regionalregierung lehnt einen Kompromissvorschlag der EU-Kommission ab.
    Kurz vor dieser Sendung haben wir Oliver Paasch erreicht, den Ministerpräsidenten der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, und ihn gefragt - wie gesagt, die Wallonen sagen nein -, wie er über CETA denkt.
    Oliver Paasch: Wir haben wie andere Regionalparlamente - Sie würden Landtage sagen - eine ganze Reihe von Bedingungen an das CETA geknüpft. Wir haben gesagt, dass wir grundsätzlich für ein solches Freihandelsabkommen sind, weil es auch die Möglichkeit eröffnet, Standards, internationale Standards für den Handel zu setzen. Wir sind aber nicht bereit, auf grundlegende Werte zu verzichten, die wir in der Europäischen Union aufgebaut haben in den letzten Jahrzehnten. Dazu gehören die Verbraucherstandards, dazu gehört auch die Rechtsstaatlichkeit demokratischer Entscheidungen.
    Und wir haben festgestellt, dass es dort in den letzten Monaten, in den letzten Wochen und ganz besonders in den letzten Tagen sehr viele Fortschritte gegeben hat. Nichts desto trotz hat die wallonische Regierung gestern Abend noch einmal bekräftigt, dass sie die Unterschriftsvollmacht nicht erteilt. Wir hoffen als deutschsprachige Gemeinschaft - und ich glaube, das auch im Interesse Belgiens zu sagen -, dass es da noch eine Einigung gibt, dass die gestellten Bedingungen noch erfüllt werden können.
    "Bestimmte Bedingungen müssen erfüllt werden"
    Heinemann: Haben Sie denn Verständnis für die Bedenken der Kollegen in der Wallonie?
    Paasch: Ja, die Bedenken der Kollegen in der Wallonie sind ja nicht neu. Ich habe Verständnis dafür, dass man auf der einen Seite sich für den Freihandel ausspricht, auf der anderen Seite aber sagt, dass bestimmte Bedingungen erfüllt werden müssen. Ich hoffe allerdings, dass es möglich sein wird, im Interesse des gesamten Landes, im Interesse auch der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, dort noch eine Lösung zu finden.
    Heinemann: Wie kann man das erklären, dass unterschiedliche Landesteile CETA unterschiedlich bewerten?
    Paasch: Nun, es gibt unterschiedliche Bundesländer in Belgien. Das ist ja in Deutschland auch bekannt, solche Situationen in föderalen Staaten. Und eine Besonderheit des belgischen Föderalismus ist sicherlich die Tatsache, dass die Länder auch über außenpolitische Befugnisse verfügen. Sie sind verantwortlich für die Außenbeziehungen in ihren sachpolitischen Zuständigkeiten und die belgische Verfassungswirklichkeit ist nun mal so, dass der belgische Bundesaußenminister einen solchen Vertrag nur unterschrieben kann, wenn alle Gliedstaaten, also alle Bundesländer dem zustimmen.
    Heinemann: Und die belgische Wirtschaftswirklichkeit sieht so aus: Die Wallonie hat 2015 Waffen für 550 Millionen Euro nach Saudi-Arabien ausgeführt, nach Kanada aber nur Waren im Wert von 150 Millionen - das ist ein Wert von 2014 -, während die Flamen, also Flandern zehnmal so viel Handel mit Kanada treibt. Kann man sagen, ist das eine Begründung für unterschiedliche Bewertungen desselben Abkommens?
    Paasch: Nein. Ich glaube, dass noch sehr viele andere Ursachen eine Rolle spielen.
    "Ich wünsche mir, dass es heute eine Einigung gibt"
    Heinemann: Die gerade genannte überhaupt nicht?
    Paasch: Ich bin ja auch nicht für Waffenexporte zuständig als Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft und ich bin auch seit vielen Jahren ein Gegner von Waffenexporten aus auch humanitären Gründen, jedenfalls in bestimmte Länder. Und was ich hier feststelle ist, dass Flandern ein sehr großes Interesse von Anfang an bekundet hat an einem Freihandelsabkommen. Ich habe eben in meinem Namen gesagt, dass ich denke, dass Belgien insgesamt als exportabhängiges Land ein großes Interesse an Freihandelsabkommen hat - nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch, um dem freien Handel Grenzen zu setzen, ihn in einen Rahmen einzuordnen, dafür zu sorgen, dass die hohen europäischen Standards auch im internationalen Handel Berücksichtigung finden.
    Insofern plädiere ich noch einmal dafür, ein solches Freihandelsabkommen abzuschließen, und ich hoffe, dass es gelingen wird, die dafür notwendigen Bedingungen zu erfüllen. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass es gerade heute Morgen noch eine Sitzung des wallonischen Parlaments dazu geben soll, dass in der Nacht weitere Zugeständnisse gemacht wurden, und wir blicken alle mit Neugierde auf Namur und ich wünsche mir, dass es eine Einigung heute gibt.
    Heinemann: Schauen wir auf die belgische Verfassungswirklichkeit. Übertreibt es das Land mit der Regionalisierung, mit den Kompetenzen für die Region?
    Paasch: Es ist so, dass in Belgien zum Föderalismus keine Alternativen bestehen. Es ist diesem Land über ein zugegeben sehr komplexes institutionelles Gefüge gelungen, unterschiedlichste Kulturgemeinschaften unter einem Dach zusammenzuführen, und das in einer friedlichen Art und Weise. Wir nehmen zur Kenntnis, dass das Regieren für Belgien dadurch nicht einfacher geworden ist. Ich glaube allerdings nicht, dass es zu dieser Verfassungswirklichkeit beziehungsweise zu diesem Föderalismus eine wirkliche Alternative gibt.
    Ich fordere die Belgier immer dazu auf, die Unterschiedlichkeit ihrer Kulturen und Mentalitäten als eine Chance zu begreifen, eine Chance, zusammenzuarbeiten und eigentlich - und das sollte unser Anspruch in Belgien auch sein - ein Vorbild für Europa darzustellen, das ja vor vergleichbaren Herausforderungen steht, nämlich unterschiedliche Kulturen zusammenzuführen, den unterschiedlichen Gemeinschaften und Kulturen die Möglichkeit zu geben, eine gewisse Eigenständigkeit wahrzunehmen, aber immer auch das gemeinsame Interesse im Blick zu behalten.
    "Instrumente so einsetzen, dass sie dem Allgemeinwohl dienen"
    Heinemann: Den zuletzt geäußerten Eindruck hat man im Augenblick gerade nicht. Vorbild für Europa, haben Sie gesagt. Sollte das tatsächlich so sein, dass jede europäische Region die Europäische Union lahmlegen kann?
    Paasch: Nein. Ich glaube, jetzt haben Sie mich gründlich missverstanden.
    Heinemann: Oh je! Stellen Sie es gerade!
    Paasch: Ich habe gesagt, wir sollten den Anspruch haben - das war eine Aufforderung an das Land -, das gemeinsame Interesse im Blick zu behalten und bei allen Unterschiedlichkeiten trotzdem gemeinsame Positionen zu vertreten. Ich meine, auf der einen Seite ist es so, dass der Föderalismus eine Notwendigkeit ist, der ist auch mit verschiedenen Vorurteilen, zum Beispiel Bürgernähe verbunden, Anwendung des Prinzips der Subsidiarität. Auf der anderen Seite sollte man seine Instrumente aber so einsetzen, dass sie auch dem Allgemeinwohl dienen. Ich bedauere sehr, dass es beispielsweise zwischen der im Verhältnis zur belgischen Größenordnung großen Region Flandern und der Region Wallonie diesbezüglich seit Monaten nicht zu einer gemeinsamen Position gekommen ist. Ich hoffe, dass die Bedingungen erfüllt werden können.
    Heinemann: Herr Paasch, ganz kurz noch mal. Der Anspruch ist die Theorie, das was Sie gerade formuliert haben, aber die Wirklichkeit ist doch die gegenwärtige Lage. Noch mal die Frage: Kann das wirklich so bleiben, dass eine Region wie die Wallonie die gesamte Europäische Union lahmlegt?
    Paasch: Darüber kann man trefflich streiten.
    Heinemann: Ihre Meinung bitte!
    Paasch: Ich will aber trotzdem darauf hinweisen, dass Belgien ein Gründungsstaat der Europäischen Union ist, dass Belgien in vielen Bereichen auch der europäischen Zusammenarbeit - das werden auch andere Länder bestätigen - schon Vorbild gewesen ist. Die sprichwörtliche Kunst des belgischen Kompromisses hat vielfach als Vorbild gedient und deshalb habe ich die Hoffnung, dass es auch in dieser Frage zu einer Einigung kommt.
    Sollte es dazu nicht kommen, glaube ich, werden wir einen erheblichen Image-Schaden unseres Landes in der europäischen Politik erleben, weil dadurch auch die europäische Position insgesamt geschwächt wird und es eigentlich ein Ausdruck der Handlungsunfähigkeit der Europäischen Union ist. Das liegt nicht in unserem Interesse, das liegt nicht im Interesse der Europäischen Union. Deshalb hoffe ich, dass wir eine Einigung finden.
    Heinemann: Herr Ministerpräsident, mit Verlaub und Respekt noch mal die Frage nach den Zuständen in Belgien. Muss man das ändern, ja oder nein?
    Paasch: Das wird man nicht ändern können! Das ist gar keine Frage des Wollens oder des nicht Wollens.
    "EU wird sich in gewisser Weise blamieren"
    Heinemann: Also nein?
    Paasch: Das wird nicht geschehen. Das kann ich mir in der jetzigen Situation nicht vorstellen, weil gerade auch die flämische Gemeinschaft immer auf Eigenständigkeit in außenpolitischen Fragen gepocht hat. Insofern erübrigt sich die Frage nach dem Willen. Das ist eine Utopie.
    Heinemann: Macht sich die Europäische Union gerade lächerlich?
    Paasch: Wenn es nicht zu einer Einigung kommt - ich hoffe immer noch, dass sie zustande kommt -, dann wird sicherlich die Europäische Union sich in gewisser Weise blamieren, den Verhandlungspartnern gegenüber, mit denen man seit 2009 zusammengesessen hat. Ich sagte bereits, es ist Ausdruck einer Handlungsunfähigkeit, die eigentlich nicht im Interesse der Belgier und auch nicht der Europäischen Union sein kann. Auf der anderen Seite muss man auch sagen: Die Position der wallonischen Region ist seit Monaten, ja seit Jahren bekannt. Es ist auch bedauerlich, dass man nicht vorher schon versucht hat, diesen Kompromiss zu finden.
    Aber wie dem auch sei: Wir können es uns, glaube ich jedenfalls, als Europäische Union nicht erlauben, diese Handlungsunfähigkeit zu dokumentieren. Wir haben ein großes Interesse gerade in den Zeiten, die wir zurzeit erleben, verbunden mit einer Krise der Europäischen Union, verbunden auch mit einer Krise der Demokratie, jedenfalls nach meiner Wahrnehmung, hier geschlossen nach außen aufzutreten. Dafür gibt es aber Bedingungen, die formuliert wurden, und ich wünsche mir, ich kann es nur immer wieder wiederholen, dass es da zu eine Einigung kommt. Ob das so sein wird liegt außerhalb unserer Entscheidungsmöglichkeiten.
    Heinemann: Oliver Paasch, der Ministerpräsident der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens. Das Gespräch haben wir kurz vor dieser Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.