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Warum Daimler schwächelt und Opel verschwinden könnte

Die derzeitige Schwäche des Automarkts sei absehbar gewesen, sagt der Ex-BMW-Chefvolkswirt Helmut Becker. Überkapazitäten und schrumpfende Nachfrage seien das Problem. Daimler habe zu sehr auf den Massenmarkt gesetzt - und für Opel zeichnet Becker eine denkbar düstere Zukunft.

Das Gespräch führte Tobias Armbrüster | 26.10.2012
    Tobias Armbrüster: Aus der Automobilindustrie kommen zurzeit vor allem schlechte Nachrichten: Gewinneinbruch bei Daimler, bei Opel wird wieder mal eine Werksschließung befürchtet, und immer wieder Gerüchte, dass Opel von der Mutter General Motors fallen gelassen werden könnte. Auch die Autowerke in den Nachbarländern Belgien und Frankreich kränkeln. Insgesamt scheint die europäische Autoindustrie in einer Krise zu stecken. Woran das liegt, das können wir jetzt mit dem Automobilexperten Helmut Becker klären. Er war lange Jahre als Chefvolkswirt bei BMW tätig. Heute leitet er das Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation in München. Schönen guten Morgen, Herr Becker.

    Helmut Becker: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Becker, was ist das Problem der Automobilhersteller zurzeit?

    Becker: Ganz kurz gefasst: Das Problem sind Überkapazitäten auf der einen Seite, und die resultieren aus einer deutlich schrumpfenden Nachfrage auf der anderen Seite. Das heißt, der Markt schwächt sich ab, die Kunden bleiben weg, und infolgedessen bleiben Überkapazitäten übrig und der Markt ist insgesamt übersetzt.

    Armbrüster: War das für die Autobauer nicht absehbar?

    Becker: Doch, das war eigentlich absehbar. Aber Sie wissen, das ist wie bei der Reise nach Jerusalem: Niemand will letztendlich stehen bleiben und alle spielen sie auf diesem ganzen Karussell mit, und keiner will der Erste sein, der letztendlich die Kapazitäten vom Markt nimmt, sondern man wartet immer ab, dass das Unglück und die Marktschwäche den Wettbewerber treffen kann, und wird, und infolgedessen ist bisher nichts passiert. Das kommt jetzt mit Macht bei allen an.

    Armbrüster: Ist diese aktuelle Krise auch eine Folge der Abwrackprämie?

    Becker: Nein, das mit Sicherheit nicht. Der Frage sind wir im Institut nachgegangen. In der Abwrackprämie sind Automobile gekauft worden von Leuten, die vorher noch nie einen Neuwagen gekauft haben. Das heißt: Die Mär, hier seien Autokäufe vorgezogen worden, die gilt nicht. Das ist mit Sicherheit nicht der Fall, sondern die Abwrackprämie war ein warmer Segen und hat sich als sehr segensreich für die gesamte Branche ausgewirkt.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns mal, Herr Becker, auf einige Hersteller gucken. Vor allem der Gewinneinbruch beziehungsweise die Gewinnerwartungsrücknahme bei Daimler, die hat ja viele überrascht. Hat das Unternehmen sozusagen eine Entwicklung verschlafen?

    Becker: Ja Daimler ist ein Sonderfall oder ist ein Fall für sich innerhalb der Gruppe dieser drei Premiumhersteller Audi, BMW und natürlich Daimler. Daimler war mal der Champion in der deutschen Automobilindustrie, davon kann heute lange Zeit schon keine Rede mehr sein. Daimler mit der Kooperation auch mit Nissan oder mit Renault hat sich auf ein Feld begeben, wo sich ein Premiumhersteller sehr schwer tut, nämlich auf den Massenmarkt. Das ist ein Image-Problem. Daimler hat ein massives Imageproblem. Ein Kunde kann heute normalerweise nicht mehr identifizieren, wofür die Marke Daimler eigentlich steht: für die Formel 1, für den Smart, für Nissan, für was steht Daimler? Und das ist das Problem, was der Konzern hat. Die Renditen, die der Konzern bis heute erwirtschaftet, sind ja durchaus ansehnlich. Nur dass die Renditeerwartungen zu hoch waren mit zehn Prozent in einem wettbewerbsintensiven Markt; das ist eine Frage, die hat der Vorstand bei Daimler zu beantworten, warum die solche, wenn Sie so wollen, Fantasierenditen in die Welt setzen und dann hinterher sich daran messen lassen müssen. Also die Zeiten sind vorbei dieser hohen Renditen.

    Armbrüster: Heißt das denn, Herr Becker, dass man zurzeit am besten mit wirklich teueren Autos, mit den Premiumautos, wie Sie es nennen, Geld verdienen kann?

    Becker: Ja, das war seit eh und je so letztendlich. Nur die heutige Zeit zeichnet sich dadurch aus, dass die Hersteller von diesen Premiumautos eben nicht nur in Europa tätig sind, sondern die sind weltweit tätig. Das heißt, BMW, Audi und auch Daimler oder der Volkswagen-Konzern jetzt sind sehr erfolgreich in den USA und vor allen Dingen in China und in Russland, das heißt in den aufkommenden, aufstrebenden Industriestaaten, vor allem auch in China. Diese Märkte sind für Opel oder für Ford versperrt, weil dort die jeweiligen Mütter den Marktzutritt verhindern, weil sie selber dort tätig sind. Das heißt, unsere Premiumhersteller sind global aufgestellt, haben den globalen Wettbewerb und profitieren auch von diesem globalen Wettbewerb. Das muss man klipp und klar sagen. Da wird man gestellt und da richtet man sich nach dem Kunden. Und in der Gruppe dieser drei oder vier deutschen Hersteller ist eben Daimler im Moment am schwächsten, weil die auch in China Probleme haben, aber die sind teilweise auch intern begründet. Das heißt, das sind reine Management-Fehler.

    Armbrüster: Sie haben Opel erwähnt, dort sieht es ja richtig schlecht aus. Es wird mal wieder über eine Werksschließung spekuliert. Was läuft da schief?

    Becker: Ja nun, also diese Werksschließung wird so sicher kommen wie das Amen im Gebet. Ford hat das jetzt vorgemacht und hat auch Verlustzahlen bekannt gegeben. 1,5 Milliarden wird dort per annum verbrannt hier in Europa, das hat Folgen. Und bei Opel sieht die Situation nicht anders aus, ohne dass jetzt dort Zahlen genannt worden sind. Aber bei Opel sind auch erhebliche Überkapazitäten vorhanden und irgendein Werk oder vielleicht auch zwei müssen, wenn Sie so wollen, geschlossen werden; was nicht ausschließt, dass at the end of the day, also auf die lange Sicht, eine Marke wie Opel oder wie Peugeot ohnehin vom Markt verschwinden.

    Armbrüster: Die Opel-Mutter General Motors, die strebt jetzt möglicherweise auch noch eine andere Kooperation an, lesen wir, nämlich mit Peugeot. Sind solche Zusammengänge, solche neuen Zusammenschlüsse die Lösung?

    Becker: In guten Zeiten mögen die dazu beitragen, den Absatz und die Rentabilität von beiden Unternehmen zu stabilisieren. In schlechten Zeiten nein, denn heute ist es so, dass gerade die Marke, die Sie genannt haben, Peugeot/Citroen, eigentlich noch schlechter dasteht und noch schwächer ist als die Marke Opel. Und wenn Sie zwei Kranke zusammentun, dann wird daraus kein Gesunder, sondern im Gegenteil: Beide siechen auf höherem Niveau dahin.

    Armbrüster: Können wir uns dann darauf einstellen, dass es in den nächsten Wochen und Monaten wieder Rufe gibt nach einer verstärkten Unterstützung durch den Staat, entweder durch den französischen, so wie wir es schon erlebt haben in dieser Woche, oder auch durch den deutschen?

    Becker: Ja, diese Rufe werden mit Sicherheit kommen. Aber Gott sei Dank – und hier sehen Sie die wunderbare Wirkungsweise der EU und der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die wir inzwischen gebildet haben, der Europaunion -, dass solche Dinge von Brüssel verboten sind. Sie sprachen Peugeot eben an: Peugeot erhält Staatshilfen, aber nicht direkt, weil diese direkte Durchleitung an den Hersteller, eine direkte Subventionierung würde von der Wettbewerbskommission in Brüssel verboten werden. Ergo geht das indirekt über die Peugeot-Bank und von der Bank fließt das Geld dann in den Konzern und dient dazu, den Konzern oder die Produktion von Automobilen am Leben zu halten. Solche Umwege wird es sicherlich weiterhin geben. Den Ruf nach Staatshilfen wird es weiterhin geben, aber die Staaten selber – zum Glück, muss man sagen, in diesem Fall – sind alle klamm, haben alle kein Geld, sind alle hoch verschuldet, und von daher kann die Branche hier keine Unterstützung erwarten.

    Armbrüster: Krisenzeiten also bei den europäischen Autoherstellern – das war hier bei uns live in den "Informationen am Morgen" der Autoexperte Helmut Becker. Besten Dank, Herr Becker, für das Gespräch.

    Becker: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.