
Am Anacostia River siedelten schon die Ureinwohner Amerikas, und nicht umsonst. Ein lieblicher Platz, Hügel, die sich hinanziehen, von denen man einen wunderschönen Blick auf Washington und die beiden Flüsse hat - den Anacostia und den Potomac. Viel Grün und im Grunde ähneln die Straßenbilder dem reichen Nordwesten der Hauptstadt, nur dass es - nun ja - nicht so reich ist.
Darren Davis unterhält ein Maklerbüro im historischen Teil von Anacostia. Er ist Afro-Amerikaner, wie die meisten hier, geboren in Texas. Er verkauft die wunderschönen, wenn auch renovierungsbedürftigen Häuser im Kolonialstil aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Er zeigt auf eines in grüner Farbe. "Es war einen Tag auf dem Markt, dann haben wir es für 250.000 Dollar verkauft. Bar."
Gentrifizierung nennt man das. Wohlhabende Leute ziehen her. Schwarze, aber auch immer mehr Weiße, Einwanderer aus dem Nahen Osten. "Es sind die letzten erschwinglichen Gegenden in DC. Die älteren Menschen haben Angst, dass sie hier rausgedrängt werden. Wo sollen sie denn sonst leben, sicherlich nicht in Georgetown oder in Capitol Hill."
Ist er jetzt der Bad Guy, der die Grundstücke an Reiche und an Weiße verkauft? "Ja, ich hatte ein paar Beschwerden. Aber ich bin Geschäftsmann, selbst wenn ich es wollte, ich kann nicht meine Kunden diskriminieren. Ich habe ein Auto, ein Darlehen, ein Büro, für das ich Miete zahlen muss."
Kriminalität an der Tagesordnung
Ein paar Minuten mit dem Auto weiter - Woodland Terrace - eine Siedlung, die in letzter Zeit immer wieder für Schlagzeilen in den Fernsehnachrichten sorgte. Eigentlich nur eine kleine Siedlung, eine dreistöckige Appartmentanlage. 600 Menschen wohnen hier, ein Drittel davon Kinder und Jugendliche, eine öffentliche Wohnanlage für die Bedürftigen. Kriminalität und Gewalt sind hier an der Tagesordnung, die Polizeifahrzeuge mit ihren blauen und roten Signalleuchten stehen hier am helllichten Tag. Junge Männer draußen auf der Straße. Anfang August wurde hier zuletzt wieder einer von ihnen erschossen. "Das muss enden", sagt ein Anwohner, marschiert die Stufen zum Kongress hoch. "Sie müssen etwas dagegen unternehmen, wir müssen unsere Kommune zurückholen."
Die Bürgermeistern von Washington DC - Muriel Bowser - ist ebenfalls schwarz. Sie versuchte vergangene Woche, ihren Plan für mehr Sicherheit in den Straßen in einer ehemaligen Schule in Anacostia vorzustellen, Sie wurde niedergeschrieen von Aktivisten der Bewegung "Black Lives Matter". Die glauben nicht, dass durch mehr Polizeipräsenz das Problem gelöst wird. Auf der anderen Seite sind Polizisten zunehmend frustriert, weil sie fürchten, als Rassisten zu gelten und keine Lust haben, sich entsprechend abends in den Fernsehnachrichten wiederzufinden. Das Problem ist so komplex wie der Südosten Washingtons vielgestaltig.
Tendani Mpulubusi stammt aus Washington und hat die letzten zehn Jahre in Barry Farm verbracht, ein anderes Problemviertel in Anacostia. Barry Farm: benannt nach den Eigentümern einer Tabakplantage, denen das Land einst gehörte. Es wurde nach dem Bürgerkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts von der Regierung eigens angekauft, um befreiten Sklaven eine neue Heimat zu bieten.
Der Name steht heute für ein öffentlich finanziertes Wohnprojekt, über 400 Einheiten in zweistöckigen Reihenhäusern mit viel Grün dazwischen. Es ist ein Stück Geschichte Washingtons und zunehmend heruntergekommen, über lange Zeit vernachlässigt, in denkbar schlechtem Zustand. "Neue Häuser sollen hier entstehen, doch die Frage ist auch hier: Werden die Einwohner zurückkommen können? Die Stadtverwaltung von Washington tut etwas, aber sie war nicht immer ehrlich", sagt Tendani.
Mehr Polizei ist keine Lösung
Gegenüber steht ein schönes neues Sportzentrum mit Swimmingpool. Da haben sie Geld investiert, Aber nicht in soziale oder wirtschaftliche Programme, um den Leuten zu helfen, klagt Tendani. "Das haben lieber sie lieber in die Polizei gesteckt". Nur: mehr Polizei in die Straßen zu stellen verhindert keine Kriminalität, sagt auch er. Es überwacht sie nur. Die Antwort wäre mehr Geld in kommunale Programme zu stecken, die eine Alternative zur Kriminalität sind.
"Es gibt eine Menge kreative Energie hier, Menschen die kreativ sind und Träume haben, aber sie haben nicht den Zugang zu den Ressourcen um produktiv zu sein, also drücken sie sich in destruktiver Weise aus."
Auch er hat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Klar gebe es ein paar gute Leute. Aber die Polizei habe eine Geschichte des Missbrauchs der Minderheiten, insbesondere der Schwarzen. Und schwarze Polizisten seien manchmal die Schlimmsten, sagt Tendani. Woran liegt das? "Man nennt das Selbsthass, sie schauen auf ihresgleichen herab, das ist ihre Art, psychologisch zu verarbeiten, dass man versucht, sie in eine minderwertige Position zu drängen."
Nicht unbedingt eine Frage der Hautfarbe
Und weshalb gehen Schwarze auf Schwarze los - vor allem in diesen öffentlichen Wohnprojekten? Das sind keine Wohnprojekte, das sind Experimente , sagte Tendani. "Mein Mentor hat mir das erklärt mit einem Experiment, das man in einem Labor gemacht hat - wurden dort die Ratten gefüttert, waren sie ruhig und friedlich. Hat man sie ausgehungert, dann gingen sie aufeinander los. Das ist vor allem dann so, wenn die Gegenden nicht gemischt sind. Früher lebten hier auch Ärzte und Anwälte, jetzt sind es oft nur Nachbarschaften mit geringem Einkommen und Armut, und die Leute neigen zur Gewalt. Das wäre auch bei Weißen so."
Vieles ist wie so oft auch in Washington eine Frage der Ökonomie, der wirtschaftlichen Situation und nicht unbedingt nur eine der Hautfarbe.