Dienstag, 30. April 2024

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Weggang von Steuerfahndern
"Von einem Aderlass kann man nicht sprechen"

Trotz des Abschieds zweier profilierter Steuerfahnder in die Privatwirtschaft, sei dies kein Rückschlag für die Steuerbehörden. "Das Know-how ist weiter da", sagte Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuergewerkschaft. Es bestehe aber die Gefahr, dass die beiden Ex-Beamten Insiderwissen weitergeben könnten.

Thomas Eigenthaler im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 01.02.2018
    Ein Steuerfahnder blätter eine Steuererklärung durch.
    Ein Steuerfahnder bei der Arbeit (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Jörg Münchenberg: Es geht auf den ersten Blick nur um eine Personalie. Aber diese Personalie hat es in sich. Zwei Top-Steuerfahnder wechseln die Seiten. Anstatt jetzt für die Steuerfahndung in Wuppertal weiter Steuerbetrüger zu jagen wie bisher - und das auch sehr erfolgreich - , werden sie künftig für eine Großkanzlei arbeiten. Natürlich werden sie dort deutlich besser bezahlt, aber gleichzeitig steht auch der Vorwurf im Raum, sie seien mit Vorsatz von der Politik zum Wechsel mehr oder weniger genötigt worden.
    Das ist heute auch Thema im Finanzausschuss des Landtags in Nordrhein-Westfalen, vor dem sich der zuständige Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) erklären muss. Zugehört hat der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler. Herr Eigenthaler, einen schönen guten Morgen.
    Thomas Eigenthaler: Schönen guten Morgen.
    Münchenberg: Da wechseln zwei Top-Steuerfahnder nun in die Privatwirtschaft. Sehen Sie das jetzt auch so: Können sich die Steuerbetrüger freuen?
    Eigenthaler: Die Sache hat ja zwei Aspekte. Es geht zum einen darum, wie die Nachfolge in Wuppertal geregelt wurde, und in einer zweiten Stufe dann der Seitenwechsel. Die Nachfolgeregelung in Wuppertal, da liegen mir überhaupt keine Erkenntnisse vor, dass da etwas unsauber gelaufen sein sollte. Wir haben im Beamtenbereich Auswahlverfahren. Das gibt uns sogar das Grundgesetz in Artikel 33 vor. Ein solches Verfahren hat man durchgeführt, man nennt das Bestenauslese, und die Auswahlbehörde hat aus meiner Sicht dieses Verfahren ordentlich durchgeführt.
    "Das Know-how ist da"
    Münchenberg: Das ist der eine Punkt. Lassen Sie uns erst mal über den Wechsel an sich reden. Dass da jetzt trotzdem zwei profilierte Steuerfahnder in die Privatwirtschaft wechseln, zu einer internationalen Agentur, ist das nicht eine gute Nachricht für Steuerbetrüger?
    Eigenthaler: Steuerfahnder arbeiten in Teams. Es gibt in Deutschland etwa 4000 Steuerfahnder. Jetzt sind zwei gegangen. Von einem Aderlass kann man nicht sprechen. Das Know-how ist da. Natürlich gab es da gewisse Kenntnisse in Sachen CD-Ankauf. Aber Wuppertal war ja nicht die einzige Behörde, die angekauft hat. Ich gehe davon aus, dass alles normal weitergeht, die Führungsposition, aber auch ein CD-Ankauf, wenn solche Daten angeboten werden sollten.
    Münchenberg: Ist denn trotzdem nicht jetzt zu befürchten, dass diese beiden Top-Steuerfahnder Insiderwissen weitergeben, dass von dem Wissen dann auch Steuerbetrüger profitieren könnten?
    Eigenthaler: Das ist eine gewisse Gefahr. Ich nehme mal an, der neue Arbeitgeber verspricht sich auch etwas davon, dass er diese zwei engagiert hat. Das wird auch nicht billig gewesen sein. Aber ich möchte doch als ehemaliger Beamter darauf hinweisen, dass man auch nachwirkend den Pflichten des Beamtenrechts unterliegt, und dazu gehört auch, dass man keine Amtsgeheimnisse ausplaudern darf und natürlich auch das Steuergeheimnis auch nachwirkend wahren muss. Diese Vorschriften gibt es und die müssen die beiden auch beachten.
    Münchenberg: Das heißt, die beiden dürfen eigentlich kein Insiderwissen weitergeben. Die Frage ist trotzdem: Wer kann das kontrollieren?
    "Amtsgeheimnisse müssen auch nachwirkend beachtet werden"
    Eigenthaler: Das ist eine Schwierigkeit. Wir wissen natürlich nicht, was im Hintergrund gesprochen wird. Aber es ist jedenfalls so: Die Amtsgeheimnisse, die die beiden im Rahmen ihrer aktiven Tätigkeit beim Staat aufgebaut haben, die müssen auch nachwirkend beachtet werden. Es wäre nicht in Ordnung, wenn hier ausgeplaudert wird, und das wäre auch absolut unfair gegenüber den früheren Kolleginnen und Kollegen.
    Münchenberg: Herr Eigenthaler, ist das nicht trotzdem auch ein Image-Schaden für die Steuerfahndung selbst, dieser Wechsel jetzt? Da haben zwei wichtige Beamte erst mal Steuersünder gejagt und plötzlich helfen sie einem internationalen Unternehmen vielleicht auch dabei, dass Steuern vermieden werden können.
    Eigenthaler: Ich bin auch nicht glücklich darüber. Steuerfahnder stehen in vorderster Front, wenn es um Kampf für Steuergerechtigkeit geht, und normalerweise macht das ein Fahnder auch nicht. Da muss schon sehr viel Frust im Raum gestanden haben. Normalerweise macht man das nicht. Deshalb sollte in der Bevölkerung überhaupt nicht der Eindruck entstehen, dass hier die Leute bedenkenlos die Seiten wechseln. Das ist eine absolute Ausnahme.
    Münchenberg: Wäre es dann nicht trotzdem sinnvoll, dass man für solche Spitzenbeamte auch eine Karenzzeit zum Beispiel einführt? Das gibt es ja auch für andere Spitzenbeamte, zum Beispiel auf der europäischen Ebene.
    Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft
    Thomas Eigenthaler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft (dpa picture alliance / DStG)
    Eigenthaler: Man kann natürlich niemand festhalten. Ein Beamter, eine Beamtin kann von heute auf morgen um Entlassung bitten. Aber es stimmt natürlich schon: Man müsste sich überlegen, welches Regelwerk man aufsetzt, dass nicht in sensiblen Bereich plötzlich ein Seitenwechsel stattfindet und die Kollegenschaft, die im Finanzamt bleibt, auf der anderen Seite plötzlich den früheren Kollegen, die frühere Kollegin sieht und man dann gegeneinander kämpft. Das sollte eigentlich nicht sein. Das trägt natürlich auch Züge des Unfairen.
    Münchenberg: Lassen Sie uns noch mal auf den anderen Aspekt dieses Vorgangs schauen, warum die beiden Beamten jetzt die Seiten gewechselt haben. Es gibt den Vorwurf, die beiden seien letztlich von der Politik gemobbt worden oder nicht ausreichend unterstützt worden, weil ihnen die Spitzenposten verweigert worden seien. Da sagen Sie, da ist nichts dran.
    "Aus meiner Sicht ist alles sauber gelaufen"
    Eigenthaler: Sie haben selbst in Ihrem Vorbericht erwähnt, dass sich die betroffene Dame nicht einmal um diesen Spitzenposten beworben hat, und andere haben sich beworben. Dann schaut man, wer ist am besten beurteilt, wer erfüllt die Voraussetzungen für einen solchen Spitzenposten. Da gehört zum Beispiel dazu, dass man sich auf mehreren Stellen schon bewährt hat. Das ist normales Gedankengut bei einer Beamtenauswahl und daran kann ich nichts Negatives finden. Aus meiner Sicht, nach meinen Informationen ist alles sauber gelaufen.
    Münchenberg: Nun steht Wuppertal ja gerade für den Ankauf von Steuer-CDs. Da hat der Staat im Nachhinein Milliarden eingenommen. Jetzt gibt es ja schon auch den Vorwurf, dass sich da unter der neuen schwarz-gelben Regierung doch etwas geändert haben könnte. Gerade die FDP steht ja dem Ankauf von Steuer-CDs doch sehr skeptisch gegenüber.
    Eigenthaler: Für mich gilt der Spruch, Regierung geht, Steuerfahndung besteht. Es kommt immer wieder zu Regierungswechseln, und das ist doch das Besondere am Berufsbeamtentum, dass man unter dieser politischen Decke ordentlich, seriös und tatkräftig weiterarbeitet. Ich habe keine Zweifel, dass das auch in Wuppertal, in Bochum und wo immer in Deutschland passieren wird.
    Deshalb sind wir Beamte. Wir sind nicht einem Minister, einer Ministerin verpflichtet, sondern dem Staat und den Gesetzen, und das werden wir auch konsequent so durchsetzen.
    Münchenberg: Nun war aber gerade Wuppertal, heißt es, als Behörde so erfolgreich, weil man vielleicht auch ein bisschen unkonventioneller gearbeitet hat. Es gab einen engen Draht auch zwischen der Behördenleitung und dem damaligen SPD-Finanzminister. Hätte nicht jetzt Schwarz-Gelb trotzdem alles daran geben müssen, dass man diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen kann? Jetzt hat man den Eindruck, dass dort das Kleingedruckte in den Verwaltungsabläufen vielleicht ein bisschen wichtiger ist.
    "Die beiden sind von selbst weggegangen"
    Eigenthaler: Das ist nichts Kleingedrucktes, sondern das ist ein verfassungsrechtlicher Grundsatz - Bestenauslese. Und ich möchte doch darauf hinweisen, dass die beiden, um die es hier geht, nicht von der Regierung oder von der Verwaltung von ihren Posten weggesetzt wurden, sondern sie sind doch selbst weggegangen. Die beiden hätten dort weiterarbeiten können und ihr Knowhow zur Verfügung stellen können.
    Noch mal: Steuerfahndung und der Ankauf von CDs ist keine Sache von ein, zwei Personen. Hier arbeiten Teams oft bundesweit. Und die Gelder, die zum Ankauf eingesetzt werden, die werden ja auch bundesweit eingesammelt.
    Mir liegen keine Erkenntnisse vor, dass hier etwa ein Mobbing oder sonst etwas vorliegt, sondern die beiden sind enttäuscht gewesen und gegangen. Das kommt immer wieder mal vor.
    Münchenberg: Nun gilt Wuppertal trotzdem als die erfolgreichste Steuerfahndung sogar in ganz Europa. Jetzt hat die Steuerbehörde diesen Aderlass hinnehmen müssen. Der alte Chef ist pensioniert, zwei Top-Leute gehen. Wird da die Arbeit nicht trotzdem merklich geschwächt, weil jetzt das Wissen und die Expertise künftig fehlen werden?
    "Das Wissen ist kumuliert, gespeichert wie in einem Akku"
    Eigenthaler: Ich kann mir das nicht vorstellen. Behörden arbeiten in Teams. Das Wissen ist in der Behörde auch kumuliert, gespeichert wie in einem Akku. Es gibt dort Vorgänge. Es gibt auch in anderen Finanzämtern in Deutschland Ankaufsvorgänge. Wie gesagt, das ist zwischen allen Finanzministern und dem Bundesfinanzminister immer wieder abgesprochen worden. Die Dinge wurden konzertiert. Sie wurden sehr medial nach außen gestellt, aber im Hintergrund ist Teamwork gewesen, Absprachen. Ich mache mir da überhaupt keine Sorgen.
    Münchenberg: Herr Eigenthaler, noch eine Frage. Der Ankauf von Steuer-CDs aus Sicht auch der Steuergewerkschaft ein probates Mittel?
    Eigenthaler: Ich habe vor fünf Jahren gesagt, dass der Ankauf rechtlich möglich ist und moralisch zwingend geboten. Das habe ich auch über die Medien schon den neuen NRW-Finanzminister wissen lassen, dass er diese Politik weiterführen muss, wenn die Daten werthaltig sind - das ist eine Bedingung -, und dass wir dagegen vorgehen würden, wenn hier Beweismittel nicht angenommen würden, wenn hier Steuerhinterzieher laufen gelassen würden, wenn man hier die Dinge nicht ankauft. Das ist bekannt und von daher gehe ich davon aus: Wenn es mal wieder zu einem relevanten Angebot kommt, dann wird auch in NRW wieder zugegriffen werden.
    Münchenberg: … sagt der Chef der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler. Herr Eigenthaler, besten Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Eigenthaler: Gerne! – Ich bedanke mich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.