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Weihnachtsgottesdienste
"Dramaturgisch könnten Kirchen vom Theater lernen"

An Weihnachten sind die Kirchen voll - mit Menschen, die sich in der christlichen Liturgie oft nicht allzu gut auskennen. Dabei sind die kirchlichen Rituale zu Weihnachten durchaus anspruchsvoll. Außerdem werden die Pfarrer mit großen Erwartungen konfrontiert.

Von Burkhard Schäfers | 13.12.2016
    Weihnachtsgottesdienst mit Krippenspiel in der evangelischen Klosterkirche Marienwerder in Hannover an Heiligabend 2012.
    Weihnachtsgottesdienst mit Krippenspiel in der evangelischen Klosterkirche Marienwerder in Hannover an Heiligabend 2012 ( imago/epd)
    Musiker und Sänger sind in Hochform, Priester und Ministranten ziehen in schier endloser Reihe in die Kirche ein, dichter Weihrauch umweht den Besucher der weihnachtlichen Christmette. Der ist entweder in seinem Element, kann sämtliche Strophen von "In dulci jubilo" bis "Oh du Fröhliche" auswendig. Oder er fühlt sich ein bisschen unwohl in seinem Festtagsanzug, weil er die Kirche seit Jahren nicht mehr von innen gesehen hat.
    "Grundsätzlich kann man schon sagen, dass gerade eine richtige Christmette einen sehr hohen Anspruch an diejenigen stellt, die da mitfeiern. Die müssen in der Tat viel wissen. Die katholische Kirche ist ja auch eine, in der Sie sehr früh auffallen als jemand, der sich nicht genau auskennt. Das fängt beim Kreuzzeichen an, oder wenn sich alle hinsetzen oder aufstehen. Es ist so, dass die festen Rituale sehr schnell spalten zwischen denen, die sich auskennen und denen, die eben mal zu Gast sind", sagt Bernhard Spielberg.
    "Entfremdung unglaublich groß"
    Spielberg ist Juniorprofessor für Pastoraltheologie an der Universität Freiburg und befasst sich unter anderem mit der Frage: Wie wirkt das, was im katholischen Mikrokosmos geschieht, auf Außenstehende?
    "Die Entfremdung ist unglaublich groß. Viele verstehen schlicht die Sprache nicht, die da gesprochen wird. Die Art und Weise des Auftretens. Dann die Metaphern aus dem bäuerlichen Bereich - also der Hirte, die Schafe. Das hört sich irgendwie ganz nett an, aber was das wirklich bedeuten soll, ist für viele einfach undurchschaubar."
    Zwar gehören offiziell etwas mehr als die Hälfte der Deutschen einer der beiden großen christlichen Kirchen an. Das sagt aber noch nichts darüber aus, welche Bedeutung Religion für sie hat, erklärt Pastoraltheologe Spielberg.
    "Wir können seit Jahren über Milieustudien nachweisen, dass gerade in den Lebenswelten junger Leute, also der unter 30-Jährigen, auch bis zu den 40-Jährigen, wenig Verständnis, wenig Vertrautheit mit Kirche da ist, weil man ihr normalerweise schlicht nicht mehr begegnet in dem Alltag, den man so lebt."
    Besonders augenfällig wird das an Weihnachten. Wohl bei keinem anderen Fest haben Traditionen eine derart wichtige Funktion. Dazu gehört für viele der Gottesdienstbesuch. Und gerade diejenigen, die selten in die Kirche gehen, haben an Heiligabend eindeutige Erwartungen, sagt Alexander Deeg, evangelischer Professor für Praktische Theologie an der Universität Leipzig.
    "Auch im evangelischen Kontext sind es ganz viele Leute, die bei Weihnachtsgottesdienten so was sagen wie: Ich will vor allem die alten Lieder wieder singen, wenigstens einmal im Jahr. Ich will gern die Weihnachtsgeschichte hören, und zwar nicht in irgendeiner neueren Übersetzung, sondern bitte in der Lutherübersetzung wie ich sie kenne. Das heißt, gerade an Weihnachten gibt's einen hohen Bedarf an Ritualität. Was vielleicht nicht ganz überrascht, wenn man bedenkt, wie hochrituell Weihnachten auch sonst in Familien begangen wird. Da gibt's Familienrituale, die auch alt sind."
    Gottesdienst an Heiligabend 2011 in der Barockkirche der evangelischen Kirchengemeinde Schloß-Ricklingen bei Hannover. Pastor Christoph Dahling-Sander hält gemeinsam mit Mitgliedern der Gemeinde die Fürbitte.
    Fürbitten beim Weihnachtsgottesdienst in der evangelischen Kirchengemeinde Schloß-Ricklingen bei Hannover (imago/epd )
    In der evangelischen Kirche hat die Predigt einen herausgehobenen Stellenwert. Falls sich die Pfarrerin, bevor sie ihre Weihnachtspredigt schreibt, die Umfragen unter Gottesdienstbesuchern ansieht, kann sie ganz schön ins Schwitzen geraten.
    "Die Predigt darf nicht ganz das Ritual, das Schöne, das, was man erwartet, unterbrechen. Die Predigt darf bitte sehr nicht allzu angriffig sein, die darf nicht allzu politisch sein, die darf die möglichen Probleme, die es in den Familien gibt, nicht allzu groß machen. Also es muss eine Predigt geben, aber auch die muss in gewisser Weise rituellen Charakter tragen", sagt Deeg.
    Heiligabend als politikfreie Zone?
    Also Trump, AfD, Flüchtlinge - alles tabu an Heiligabend? Die einen würden diese Themen sicherlich erwarten, sagt Theologe Deeg. Für die anderen aber wäre Weihnachten damit versaut, weil sie sich gerade eine Unterbrechung dessen wünschten, was sie sonst überall sehen, hören und lesen.
    "Die Herausforderung wäre, so zu reden, dass wir nicht so tun, als wären die Probleme - AfD, Trump, Rechtspopulismus - als wären die gar nicht gegeben. Sondern so zu reden, dass man doch eine andere Sprache hört, als die Sprache der Nachrichten, als die Sprache der Politik, als die Sprache, die wir sonst in der politischen, gesellschaftlichen Situation die ganze Zeit ohnehin hören."
    Was indes genauso wenig funktioniere, sei Kirchen-Insider-Sprech: Also eine schablonenhafte Sprache, gekünstelte Betonungen, abgedroschene Wendungen, semantische Irrläufer. Der Anspruch an Pfarrerinnen und Pfarrer ist hoch: Sie müssten Künstler des Wortes sein, fordert Alexander Deeg.
    "Sprache ist etwas, was Wirklichkeit schaffen kann. Was performativ etwas Neues hervorbringen kann. Es ist tatsächlich so, dass wir mit konventionellen Formeln, konventionellen Sätzen wenig erreichen, außer ein gewisses Gefühl von 'Das haben wir alles schon gehört', 'Kirche hat auch nichts Neues zu sagen, da kann man auch weghören.'"
    Wovor der Leipziger Liturgie-Wissenschaftler zudem warnt: Pfarrer sollten besser nicht mit symbolischen Gegenständen auf die Kanzel steigen, um eine Predigt vermeintlich besonders anschaulich wirken zu lassen.
    "Man kann mit Worten wunderbar Bilder malen. Wenn ich das Wort Kochtopf sage, wird in meinen Hörerinnen und Hörern sofort ein Bild da sein, das viel effektiver sein kann, als wenn ich der Gemeinde, als wären wir im Kindergarten, sage: Schaut mal, ich hab Euch heute einen Kochtopf mitgebracht und den zeig ich euch jetzt mal. Das hat die Folge, dass man erstens die Sprache nicht ernst nimmt, in dem was sie kann, und zweitens auch die Gemeinde nicht unbedingt ernst nimmt in ihren intellektuellen Potentialen."
    Schnitzer erlaubt?
    Wie also lassen sich an Weihnachten festliche Liturgie und religiöser Analphabetismus zusammenbringen? Indem Gemeinden die kirchlichen Rituale erklären, sagt der Freiburger Pastoraltheologe Bernhard Spielberg. Etwa in einem Faltblatt - oder online in der Form: "Häufig gestellte Fragen - und Antworten". Das sei theologisch keineswegs trivial.
    "Der Anspruch steigt mit der sinkenden Vertrautheit von Menschen gegenüber der Kirche", sagt Spielberg. "Wo ohnehin alle wissen, wie das hier funktioniert, da können Sie sich auch den einen oder anderen Schnitzer erlauben. Aber gerade bei denen, die selten kommen, da können Sie keine Banalitäten loswerden, weil Leute sich sehr genau fragen, ob sie jetzt was damit anfangen können oder eben nicht."
    Was die Dramaturgie von Gottesdiensten angeht, könnten die Kirchen von der Kultur lernen, etwa vom Theater, so Spielberg.
    "Bei richtig guten Schauspielern und bei richtig guten Liturgien sehe ich ganz wenige Unterschiede. Die sind beide dafür da, dass Menschen Geschichten erzählen, dass sie diese Geschichten noch mal nachleben und dass sie sich selber in diesen Geschichten verorten. Und Liturgie ist - kann man ja auch sagen - wirklich ein Heiliges Spiel."