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Weißrussland
Nur scheinbar eine Wahl

Weißrussland wählt, doch das Ergebnis steht wohl bereits fest. Die meisten Oppositionskandidaten durften anders als bei vorherigen Wahlen nicht einmal antreten. Doch die Unzufriedenheit in dem autoritär geführten Land steigt, auch weil die Wirtschaft nicht mehr gut läuft.

Von Florian Kellermann | 17.11.2019
Eine Frau verlässt in Weißrussland eine Wahlkabine
Eine Frau verlässt in Weißrussland eine Wahlkabine. Viele Oppositionskandidaten aber nicht antreten (Sputnik)
Die Weißrussen haben heute nur scheinbar die Wahl, wer sie im Parlament vertreten soll. Alle unabhängigen Experten sind überzeugt, dass die künftigen 110 Abgeordneten schon vor Öffnung der Wahllokale feststanden. Präsident Alexander Lukaschenko, der das Land seit 25 Jahren autoritär regiert, überlasse nichts dem Zufall, meint der Minsker Politologe Walerij Karbalewitsch. Diesmal entspreche die Wahl noch weniger demokratischen Standards als früher:
"Rund 90 Prozent der Oppositionskandidaten wurden gar nicht zur Wahl zugelassen, obwohl sie die nötige Zahl an Unterschriften gesammelt hatten. Viele werden auch, nachdem sie registriert wurden, wieder von der Kandidatenliste gestrichen. Früher hat die Staatsmacht die meisten Oppositionspolitiker immerhin antreten lassen, um danach ihre Niederlage bekanntzugeben und zu erklären, dass sie eben unbeliebt seien."
Bekannte Oppositionelle durften nicht antreten
Vor allem diejenigen wurden von der Wahl ausgeschlossen, die sich in der Politik schon einen gewissen Namen gemacht haben. Das gilt für die beiden Oppositionspolitikerinnen, die im aktuellen Parlament vertreten sind. Und das gilt für Bürgerrechtler, die sich in Fragen engagieren, die viele Menschen bewegen.
Wie Roman Kisljak aus Brest, einer Stadt ganz im Westen des Landes. Mit anderen protestiert er dort schon fast zwei Jahre gegen den Bau einer Fabrik, die wiederaufladbare Batterien herstellen soll. Sie werde mit ihrer veralteten Technologie die Umwelt stark verschmutzen, meint Roman Kisljak. Er sammelte die nötigen Unterschriften, um an der Wahl heute teilzunehmen.
Roman Kisljak in der Innenstadt von Brest
Roman Kisljak in der Innenstadt von Brest (Deutschlandradio / Florian Kellermann)
"Ich wurde nicht zugelassen, aus lächerlichen Gründen. Sie haben nach Rechtschreibfehlern bei den Unterschreibenden gesucht, wo es gar keine gab. Oder sie behaupteten, dass die Schrift unleserlich sei, obwohl das gar nicht stimmte."
Roman Kisljak kann sich das nur so erklären:
"Die Machthaber haben offenbar große Angst vor uns. Deshalb haben sie uns auch bisher erst eine Demonstration genehmigt, vergangenes Jahr im April. Dabei sind wir gar nicht so furchtbar. Wir sind nur für Umweltschutz, für ein sauberes Brest."
Die Wirtschaft stockt
Der Politologe Walerij Karbalewitsch meint, die Unzufriedenheit in der Gesellschaft mache Präsident Lukaschenko und seine Umgebung noch vorsichtiger. Denn der Lebensstandard steige seit vielen Jahren nicht an. Und die seit langem angepeilte Marke von 500 US-Dollar Durchschnittslohn werde nicht erreicht.
Präsident Lukaschenko stimmte die Menschen schon zu Jahresbeginn auf eine wirtschaftliche Talsohle ein:
"Für unser Land, für unsere Nation werden die Jahre 2019 und 2020 nicht einfach. Man wird uns ganz genau auf den Zahn fühlen, ob wir die Unabhängigkeit unseres Landes auch verdienen. Ich bin absolut überzeugt, dass wir auf diese Frage eine würdige Antwort finden."
Damit sprach Lukaschenko den wirtschaftlichen Druck an, den Russland seit Jahresbeginn aufbaut. Russisches Öl wird schrittweise teurer für Weißrussland.
Moskau will damit erreichen, dass Lukaschenko einen alten Vertrag endlich umsetzt. Er sieht vor, dass Russland und Weißrussland einen Bündnisstaat schaffen. Anfang Dezember, zum 20. Jahrestag des Vertrags, soll Lukaschenko den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen. Russland möchte konkrete Schritte vereinbaren. Lukaschenko sieht damit nicht nur die Unabhängigkeit Weißrusslands in Gefahr, sondern auch seine Macht.