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Weißrussland vor dem Staatsbankrott

Klappstühle vor Wechselstuben, Schlangen vor Geldautomaten – in Weißrussland spitzt sich die Wirtschaftskrise zu. Der weißrussische Rubel ist gegenüber Euro und Dollar seit Wochen auf Talfahrt. Alle Versuche des autoritären Lukaschenko-Regimes gegenzusteuern, halfen nichts.

Von Ernst-Ludwig von Aster | 26.05.2011
    Eine ältere Frau im beigen Mantel wartet geduldig vor dem kleinen Fenster der Wechselstube am Minsker Komarowka-Markt. Immer wieder spricht sie kurz mit einem jungen Mann, der einen Zettel in der Hand hält, eine Namensliste. Seit rund drei Wochen wartet die Frau auf eine Gelegenheit, weißrussische Rubel in Euro oder Dollar zu tauschen. Doch Devisen sind Mangelware.

    Wer wann dran ist zu tauschen - wenn es Devisen gibt - regelt dezent und illegal der junge Mann. Interviewen lassen will er sich nicht. Olga Nikolaytschuk, Regisseurin und Dokumentarfilmerin, kennt das alltägliche Geschäft an den Wechselstuben:

    "Die Leute stehen vor den Wechselstuben, weil sie hoffen, dass jemand zehn oder 20 Euro umtauscht und sie die Devisen kaufen können. Heutzutage macht sich der Schwarzmarkt breit. Manchmal explodiert die Situation, weil auf den Wartelisten über 100 Namen stehen."

    Viele Weißrussen versuchten in den letzten Monaten, ihre Ersparnisse aus Angst vor einer Rubel-Abwertung in US-Dollar oder Euro zu tauschen. Die weißrussische Nationalbank verlor so einen großen Teil ihrer Devisenreserven. Alle Versuche, den Kurs zu stabilisieren, scheiterten. Für einen Euro müssen die Weißrussen seit dieser Woche offiziell 6900 weißrussische Rubel zahlen, zuvor waren es 4500.

    "Die meisten meiner Freunde und Verwandten bekommen ihren Lohn in Rubel ausgezahlt. Für sie hat sich die Summe – in Dollar umgerechnet – halbiert. Die Rente meiner Mutter war früher umgerechnet 200 Dollar, heute sind das nur 100. Dementsprechend sind die Preise gestiegen, der Fisch kostet das Doppelte, das betrifft auch Fleisch und alle Grundnahrungsmittel. Die Preise sind explodiert."

    Immer wieder kommt es – aus Angst vor weiteren Preissteigerungen - zu Hamsterkäufen. Vor ein paar Wochen war in Minsk der Zucker blitzschnell ausverkauft. Vor einigen Tagen in Brest das Salz. Jetzt sind die Regale wieder gefüllt. Die Nervosität in der Bevölkerung aber ist geblieben.

    "Meine Mutter geht jeden Tag mit einem Rucksack in verschiedene Lebensmittelgeschäfte und sucht nach Lebensmitteln, die sie zum alten Preis kaufen kann: Angefangen mit Klopapier bis hin zu Grundnahrungsmitteln wie Buchweizen, Reis, Nudeln. In diesem Jahr haben wir auch zum ersten Mal beschlossen, Kartoffeln anzubauen. Mitten in der Stadt, wohlgemerkt."

    Die Zeichen der Krise haben die Minsker täglich vor Augen. Auf den großen Baustellen der Hauptstadt dreht sich kaum noch ein Kran. Nur wenige Arbeiter sind zu sehen.

    "Viele arbeiten nur noch drei oder vier Tage die Woche. Manche Arbeiter sind gezwungen, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Für die Produktion von Fernsehern oder Kühlschränken muss man Teile aus dem Ausland importieren. Und selbst wenn die aus Russland kommen, müssen sie in Devisen bezahlt werden."

    Fieberhaft sucht die Lukaschenko-Regierung nach frischem Geld. Aus dem Westen ist – nach den Schauprozessen gegen Oppositionelle in den vergangenen Monaten – nicht mehr mit finanzieller Unterstützung zu rechnen. Russland aber ist offenbar bereit, dem autoritären Präsidenten ein weiteres Mal finanziell unter die Arme zu greifen. Allerdings: Der in Aussicht gestellte Kredit über rund drei Milliarden Dollar ist an klare Auflagen gebunden. Olga Nikolaytschuk ist skeptisch:

    "Der russische Finanzminister Alexej Kudrin hat klipp und klar gesagt, es handelt sich um einen Privatisierungskredit. Also, wird es dazu führen, dass Weißrussland wichtige Industriebetriebe verkaufen muss. Das sind Unternehmen wie Belaruskali oder Beltransgaz. Nun müssen wir alles wegen Lukaschenko verkaufen. Es ist einfach schrecklich, in welchem Land wir leben, und was wir den folgenden Generationen hinterlassen."