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Weltklimarat
Greenpeace: "Bundesregierung verspielt Vorreiterrolle im Klimaschutz"

Es werde "sehr, sehr eng", die Klimaerwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, sagte der Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin, Stefan Krug im DLF. Er appellierte an die Bundesregierung, sich für deutlich ehrgeizigere Ziele einzusetzen. Optimistisch stimmten jedoch Signale aus China.

Stefan Krug im Gespräch Jasper Barenberg |
    Greenpeace-Aktivisten haben den Slogan "Arctic melt starts here" auf den Kühlturm des Braunkohlekraftwerks Belchatow projiziert.
    Das Braunkohlekraftwerk Belchatow. Greenpeace-Aktivisten haben den Slogan "Arctic melt starts here" auf den Kühlturm projiziert. (picture alliance / dpa / Grzegorz Michalowski)
    Die Bundesregierung sei dabei, ihre Vorreiterrolle bei der Klimapolitik zu verspielen. Die Kohle erlebe derzeit leider eine Renaissance, dennoch gehörten die Energiekonzerne, die zu lange auf die Kohle und Atomenergie gesetzt hätten, zu den Verlierern. Die Politik stehe daher derzeit unter enormem Druck der Energielobby.
    Krug appellierte an die Politik, ehrgeizigere Ziele zu setzen, denn die Erneuerbaren sicherten den Weg in eine saubere Energieversorgung und garantierten zudem Unabhängigkeit vom Import von Energieträgern aus dem Ausland.
    Optimistisch stimme ihn der enorme Boom erneuerbarer Energien in China, dem weltweit größten CO2-Emmittenden. Dort sei ein deutlicher Rückgang im Kohleverbrauch im Plan. Fange dieser "größte einzelne Player" tatsächlich an zu handeln, käme spürbare Dynamik in die Klimadiskussion.

    Jasper Barenberg: Am Telefon begrüße ich Stefan Krug, den Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin. Schönen guten Morgen!
    Stefan Krug: Guten Morgen, Herr Barenberg!
    Barenberg: Eine zentrale Botschaft des fünften Weltklimaberichts, soweit wir ihn bisher kennen, scheint ja zu sein: Der Klimawandel ist in vollem Gang, aber es ist immer noch genug Zeit gegenzusteuern, und es ist auch genug Zeit, die Gefahren durch Anpassung zu verringern. Ist das aus Ihrer Sicht eine zentrale Botschaft?
    Krug: Ja, auf jeden Fall. Die Wissenschaftler haben ja festzustellen, ob das politisch gesetzte Ziel, die Erwärmung in diesem Jahrhundert unter zwei Grad zu halten, physikalisch überhaupt erreichbar ist. Und sie liefern eine Entscheidungsgrundlage, auf der dann die Politiker gewissermaßen mit wissenschaftlichen Argumenten begründet entscheiden können. Es gibt noch diese Chance, unterhalb zwei Grad zu bleiben. Alles, was jenseits dieser Grenze liegt, gilt als relativ unbeherrschbar. Insofern ist das ein sehr wichtiges Signal, dass noch ein Umsteuern möglich ist, aber es muss schnell gehandelt werden.
    Barenberg: Also fünf vor zwölf? Oder schon ein bisschen später?
    Politisches Tempo hängt hinter physikalischem
    Krug: Das ist immer die Frage, wie man den Anspruch stellt. Die Zwei-Grad-Grenze selbst ist zum Beispiel eine Grenze, die für viele Inselstaaten schon bedeuten wird, dass sie vermutlich ihre Heimat verlassen müssen. Auch viele Küstenregionen werden mit Extremwettern zu rechnen haben bisher ungekannten Ausmaßes. Insofern ist diese Grenze schon für viele Nationen zu viel, die fordern auch im Rahmen der Klimaverhandlungen eine Begrenzung auf 1,5 Grad. Auch wir sagen, wir müssen deutlich unterhalb dieser Grenze von zwei Grad bleiben. Insofern, es ist auf jeden Fall sehr, sehr knapp, was den zeitlichen Ablauf angeht, die politischen Prozesse kommen im Moment in ihrem Tempo nicht hinter dem physikalischen Prozess hinterher. Das wird sehr, sehr eng.
    Barenberg: Darüber wollen wir gleich noch im Einzelnen sprechen. Zunächst noch mal zur Ausgangslage: Manche sagen ja, dass man schon erkennen kann, dass der Bericht jetzt nicht mehr so apokalyptische Töne anschlägt wie in der Vergangenheit, auch auf konkrete Ratschläge verzichtet. Und manche interpretieren das auch schon darauf, dass das angepeilte Zwei-Grad-Ziel schon praktisch unerreichbar geworden ist!
    In der Sache nicht weniger alarmierend
    Krug: Zunächst muss man sagen, es gab Kritik am IPCC, dass die Annahmen zu dramatisch gewesen wären, auch die Aussagen. Man muss aber sagen, der IPCC hat keine Empfehlungen in dem Sinne ausgesprochen, sie stellen eine objektive Daten- und Faktenbasis zur Verfügung und enthalten sich gerade dieser politischen Empfehlungen. Denn dann würden sie sich ja auch als Wissenschaftler auf eine bestimmte Richtung festlegen. Insofern, er ist vorsichtiger geworden, das ist richtig, weil die Kritik bestand. Allerdings muss man sagen, er ist in der Sachaussage her zum Teil noch wesentlich deutlicher und wesentlich, muss man sagen, warnender geworden. Das ist nur nicht mehr so schnell erkennbar, die Aussagen sind jetzt abgemildert im Sinne, es heißt zum Beispiel nicht mehr, die Nahrungsgrundlage wird bedroht und viele Nahrungsmittel werden aufgrund von Dürren nicht mehr geerntet werden können, sondern es heißt, die negativen Folgen bei der Nahrungsmittelproduktion werden die positiven überwiegen. Also, das ist gewissermaßen eine balancierte Sprache, die aber in der Sache nicht weniger alarmierend geworden ist.
    Barenberg: Alle drei Teile sollen dann zusammengenommen vor allem der Vorbereitung auf den Klimagipfel in Paris im nächsten Jahr dienen. Ziel dort soll sein, endlich einen neuen, verbindlichen Klimavertrag der Weltgemeinschaft zustande zu bekommen. Da wird oft von einer letzten Chance geredet. Sehen Sie das auch so?
    Krug: Wir haben beim Klimawandel das Problem, dass physikalische Prozesse ablaufen, die ein gewisses Zeitfenster des Handelns eröffnen. Das heißt, wenn wir innerhalb dieser Dekade es nicht schaffen, die weltweiten CO2-Emissionen zu reduzieren in einem Maße, dass der Höhepunkt der CO2-Emissionen ab 2020 überschritten wird und es danach runtergeht, wird es große Probleme geben. Es wird vor allem volkswirtschaftlich sehr, sehr schwierig sein, weil die Kosten natürlich exponentiell steigen. Wenn wir heute handeln, haben wir deutlich geringere Kosten, als wenn wir in zehn Jahren oder in 20 Jahren überhaupt erst das Steuer umlegen. Die Verwerfungen werden dann wesentlich radikaler sein und politisch viel, viel schwerer vermittelbar. Insofern ist es richtig, wir haben bei den Klimakonferenzen immer eine gewisse Alarmstimmung. Der erste große Anlauf in Kopenhagen 2009 für einen Weltklimavertrag ist gescheitert, die Regierungen waren nicht vorbereitet, aber auch nicht bereit, ernsthaft das an Reduktion zuzusagen, was nötig ist. Wir steuern heute aufgrund dieser Zusagen in Kopenhagen auf eine Welt zu, die sich in diesem Jahrhundert um etwa drei bis fünf Grad erwärmen wird. Das ist für viele vor allem menschliche Infrastrukturen, aber auch viele Staaten schlicht katastrophal. Wenn man aber sieht, dass in Paris jetzt ein zweiter Anlauf genommen wird, kann man zumindest die Hoffnung haben, dass die Ergebnisse des Weltklimarates hier einen neuen Impuls setzen werden. Allerdings sind wir im Moment doch eher skeptisch, was die Signale angeht. Insbesondere aus der Europäischen Union, hier werden im Moment sehr, sehr niedrige Ziele gerade gesetzt, was CO2-Reduktion und Erneuerbare angeht. Optimistisch stimmt uns dagegen eher das, was im Moment aus China kommt, dem weltweit größten Emittenten. Dort haben wir mittlerweile einen enormen Boom an erneuerbaren Energien, wir haben aber vor allem einen deutlichen Rückgang beim Kohleverbrauch im Plan. Viele Regionen wollen ihren Kohleverbrauch drastisch reduzieren, nicht weil sie Klimaschützer geworden sind, sondern weil die Kohleemission mittlerweile für extreme Luftverschmutzung sorgt und viele Todesfälle. Die Regierung handelt jetzt, und wenn China handelt, heißt das, dass der größte Player, der größte einzelne Faktor in der Klimadiskussion anfängt zu handeln. Die Erneuerbare-Energien-Produktion ist gigantisch. Allein was dort an Windkraft zugebaut wird pro Jahr, entspricht der gesamten Windkraftinstallation in Deutschland. Also, das sind wirklich Dimensionen, wenn sich das bewahrheiten würde und diese Pläne umgesetzt werden würden, käme eventuell eine deutlich spürbare Dynamik in die Klimaverhandlungen, dann müssten nur noch die USA entsprechend mitziehen und wir hätten wirklich eine neue Situation.
    Barenberg: Lassen Sie uns zum Schluss noch kurz über Deutschland sprechen: Sie haben Europa angesprochen, die Europäische Union hat auch immer eine Führungsrolle für sich beansprucht, das gilt ja in besonderer Weise auch für Deutschland beim Thema Klimaschutz. Jetzt sagen einige, die Rolle als Vorreiter verspielt die Bundesregierung gerade. Sehen Sie das so?
    Renaissance der Kohle
    Krug: Das ist im Moment leider der Fall. Wir haben ein Ziel uns gesetzt für 2020, national die Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren. Das Umweltministerium sagt jetzt, wir kommen bei den bisherigen Maßnahmen lediglich auf 33 Prozent. Zudem haben wir eine Entwicklung, wo die Energiewende natürlich Gewinner und Verlierer am Horizont abzeichnet, die bisherigen Monopolisten bei der Energieversorgung, die großen Energiekonzerne haben zu lange auf Kohle und Atom gesetzt, das bricht ihnen jetzt kontinuierlich weg. Auch wenn man sagen muss, dass die Kohle im Moment leider aufgrund der niedrigen CO2-Preise eine Renaissance erlebt. Und die wehren sich natürlich. Das kriegt die Politik zu spüren, das kriegen Abgeordnete mit Kraftwerk in ihren Wahlkreisen zu spüren oder mit großen Industrieanlagen, die keine höheren Abgaben für erneuerbare Energien zahlen wollen. Und daran merkt man natürlich, dass hier enormer Lobbydruck auch ausgeübt wird auf die Bundesregierung. Wir können nur appellieren an die Bundesregierung, hier auch auf europäischer Ebene sich für deutlich ehrgeizigere Ziele einzusetzen und bei der Energiewende zugleich im Blick zu behalten, dass erneuerbare Energien wirklich der Weg sind, der zu einer sicheren, aber vor allem auch sauberen Energieversorgung führt, auch übrigens unabhängig macht von Energieimporten. Das haben wir ja jetzt auch erlebt, wie wichtig hier auch Versorgungssicherheit im internationalen Kontext sein kann.
    Barenberg: Live im Deutschlandfunk heute Morgen Stefan Krug, der Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace in Berlin. Danke für das Gespräch!
    Krug: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.