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Weltwährung
Die Vorherrschaft des US-Dollars

Die USA stiegen im 20. Jahrhundert zur führenden Weltmacht auf. Wie wichtig dafür das Währungssystem mit dem Dollar als Leitwährung war, beschrieb der US-amerikanische Ökonom Michael Hudson schon 1972 in seinem Buch "Finanzimperialismus". Jetzt - 45 Jahre später - ist sein mittlerweile mehrfach überarbeitetes Werk ins Deutsche übersetzt worden.

Von Caspar Dohmen | 27.11.2017
    Beim Begriff Imperialismus denkt man gemeinhin an die Unterwerfung von Regionen und deren Bewohnern, etwa durch Rom in der Antike oder europäische Mächte im 19. Jahrhundert.
    "Ursprünglich bezog sich Imperialismus auf ein militärisches Vorgehen: Länder schickten Kanonenboote und kolonisierten und kontrollierten andere Staaten. Finanzimperialismus funktioniert ohne Armeen."
    Michael Hudson beschreibt den Finanzimperialismus am Beispiel der Vereinigten Staaten und ihrer Währung: dem Dollar. Damit werden rund um den Globus Geschäfte getätigt. Gleichzeitig halten Zentralbanken einen beträchtlichen Teil ihrer Reserven im US-Dollar oder in amerikanischen Staatsanleihen. Für die USA ist dies eine komfortable Situation.
    "Es erscheint als ein Teil der Natur, in diesem Fall der Natur des Geldes. Andere Staaten geben freiwillig einen Teil ihrer Ersparnisse und Güter den Vereinigten Staaten, gewissermaßen zum Nulltarif. Das liegt daran, dass die USA ihr eigenes Geld drucken können und andere Länder nicht. Das macht es grundsätzlich ungleich und unfair für den größten Teil der Welt, besonders weil dieses Geld zum größten Teil für militärische Zwecke geschaffen wird."
    Die Bedeutung der Kriegskosten
    Michael Hudson - Patensohn von Leo Trotzki, Occupy-Anhänger, Marxist und langjähriger Banker an der Wallstreet - hat sich seinen ganz eigenen Blick auf das Geschehen gebildet. Für den Aufstieg der USA zur Weltmacht war das Dollar- und Schuldenregime demnach ganz wesentlich, etwa nach dem Ersten Weltkrieg, als es um die Begleichung der Kriegskredite ging. Die USA pochten - anders als von ihren Verbündeten wie England und Frankreich erwartet - auf die Rückzahlung der Schulden. Hudson:
    "Die Weigerung der Vereinigten Staaten, ihre Forderungen den Reparationseinnahmen der europäischen Verbündeten anzupassen, hatte zur Folge, dass diese ausbluteten, während sie Deutschland ausbluten ließen. [...] In der Geschichte der Kriegsführung hatte noch nie ein Verbündeter eine solche finanzielle Entschädigung für seine militärische Unterstützung verlangt. In aller Welt war es üblich, Waffenlieferungen an Verbündete als Kriegskosten abzuschreiben. Diesmal blieben die Kredite in den Büchern stehen. Der Adler hatte seine Krallen ausgefahren. [...] In der kapitalistischen Welt erwies sich die Übernahme der Funktion des Geldgebers durch einen einzigen Nationalstaat als ebenso revolutionär wie die Oktoberrevolution."
    Nach dem Zweiten Weltkrieg vergrößerten die USA ihren globalen Einfluss: Denn im Währungsregime von Bretton Woods bildete der Dollar die Ankerwährung und die Vereinigten Staaten verfügten bei den neu geschaffenen Institutionen - dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank - über ein Veto. Staaten bekamen in Krisensituationen Kredite dieser internationalen Organisationen, wenn sie im Gegenzug staatliche Bereiche privatisierten und ihre Wirtschaft deregulierten. Erheblichen Einfluss hatte dies auf Entwicklungsländer.
    Das System entzieht dem realen Markt die Mittel für Wachstum
    Im Kalten Krieg stiegen die Ausgaben der USA für das Militär gewaltig, wie Hudson ausführt. Während des Korea-Krieges hatten sie Anfang der 1950er Jahre erstmals ein Zahlungsbilanzdefizit, was sich später wegen des Krieges in Vietnam vergrößerte. Aber die USA kauften weiter in großem Umfang im Ausland ein. Die Dollar landeten bei den jeweiligen Zentralbanken, die dafür US-Staatsanleihen kauften. Denn in dem damaligen Währungssystem von Bretton Woods waren die Währungsrelationen zur Leitwährung Dollar prinzipiell festgelegt. Um diese zu bewahren, mussten die Zentralbanken Dollar kaufen. So finanzierte der Rest der Welt gewissermaßen die Kriege der USA mit. Präsident Richard Nixon beendete 1971 die Goldbindung des Dollar, der nun eine ganz gewöhnliche Papierwährung war, wie die D-Mark, das britische Pfund oder der japanische Yen. Michael Hudson schreibt:
    "Die Regierung Nixon stand fest zu ihrer Entscheidung, denn die Dinge entwickelten sich genauso, wie sie es sich wünschte. Die scheinbare Schwäche des Dollars, mit dem entsprechenden Anstieg anderer Währungen, war eines ihrer Ziele. [...] Wenn [die Welt] den Dollar in dieser Rolle als Weltreservewährung akzeptieren würde, würden sich die 61 Milliarden Dollar Auslandsschulden der Vereinigten Staaten de facto in Luft auflösen, zumindest als Verbindlichkeiten, deren Rückzahlung erwartet wurde. Die Regierung Nixon spielte eines der ambitioniertesten Spiele in der Wirtschaftsgeschichte der Menschheit, aber dies entzog sich dem Verständnis der liberalen Senatoren der Vereinigten Staaten, und es tauchte in den wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbüchern der Welt nicht auf."
    Bis heute habe sich an diesem Finanzimperialismus der USA nichts wesentlich geändert, was jedoch fatale Folgen haben werde, warnt Hudson. Denn die damit einhergehende öffentliche und private Verschuldung entziehe der realen Wirtschaft immer mehr Kapital, welches für Wachstum benötigt werde.
    Konzepte zur Schuldentilgung
    Die Zukunft des Westens wird sich nach Ansicht des Autors ganz wesentlich danach entscheiden, wie er mit den Schulden umgeht. Wie geht es weiter?
    "Niemand weiß es, möglicherweise wird die Weltwirtschaft, der Westen ärmer und ärmer und zahlt einen immer größeren Teil seines Einkommens für den Schuldendienst an die Banken und Kreditgeber. Die Lebenserwartung sinkt, die Selbstmordrate steigt und es sieht aus wie in Russland 1991 oder in Griechenland heute. Eine andere Möglichkeit wäre es, dass Europa entscheidet wie die Vereinigten Staaten sein eigenes Geld zu schaffen und auf die eine oder andere Weise seine Schulden abschreibt und es dann ein Wirtschaftswunder wie in Deutschland gibt, nachdem ihm die Alliierten 1947 einen Großteil der Schulden erlassen hatten."
    Hudson ist ein überzeugter Kapitalist, aber die heutige Form mit ihren Renten für die Banken und Reichen lehnt er ab. Der Autor gibt spannende Einblicke in die Wirtschaftsgeschichte aus einer gut begründeten Position, manchmal etwas weitschweifig und sich wiederholend. Aber das ist das einzige Manko dieses lesenswerten Buches. Es sei allen empfohlen, die wissen wollen, warum das heutige Weltwirtschaftssystem so und nicht anders aussieht.
    Michael Hudson: "Finanzimperialismus. Die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus"
    Klett-Cotta, 478 Seiten, 27 Euro.