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Wenn die Alten in der Mehrheit sind

Innerhalb von 100 Jahren hat sich das Durschnittsalter von 24 auf 41 Jahren fast verdoppelt. Die Alten werden zur Mehrheit und könnten die Jungen überstimmen. Auf den Ulmer Denkanstößen wurde der mögliche Konflikt diskutiert.

Von Cajo Kutzbach | 21.03.2013
    Bis Ende der 50er-Jahre zahlte man in die Rentenkasse ein und erhielt das verzinste Guthaben später als Rente ausgezahlt. Dann wurde der Generationenvertrag beschlossen. Jörg Tremmel, Juniorprofessor für Generationen ¬ge¬rech¬te Politik an der Universität Tübingen, skizziert ihn:

    ""Der Generationenvertrag in Deutschland ist die Konstruktion, dass die aktive Bevölkerung, die arbeitende Bevölkerung für die heutige Rentnergeneration zahlt. Der Generationenvertrag setzt sich sozusagen immer wieder überrollend fort und so kommen dann auch die noch nicht Geborenen in diese Vertragskonstruktion rein."

    Schon der Begriff "Generation" im Wort Generationengerechtigkeit ist unscharf.

    "Es gibt eine weite und eine enge Definition des Begriffs Generation. Im ersten Fall, bei der weiten Definition, geht es eben um die Gerechtigkeit zwischen den Heutigen und dem Zukünftigen. Im 2. Fall geht es um die Gerechtigkeit zwischen Jung und Alt."

    Generationengerechtigkeit könnte drittens die gerechte Verteilung innerhalb einer Generation meinen. Wenn ein Begriff schwammig ist, taugt er wenig für eine sachliche Diskussion, aber viel für politische Stimmungsmache. Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Köln:

    "Es handelt sich um einen politischen Kampfbegriff, der suggeriert, die soziale Scheidelinie in unserem Lande würde zwischen Jung und Alt verlaufen. In Wirklichkeit verläuft die soziale Trennlinie in unserer Gesellschaft aber nach wie vor, ja mehr denn je, zwischen Arm und Reich."

    Etwa jeder Fünfte ist arm oder armutsgefährdet, darunter 2,5 Millionen Kinder. Aber nach der Armutsdefinition der Europäischen Gemeinschaft, die bei 950 Euro liegt, sind auch zwei Millionen Alte arm. Die wachsende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich trifft nicht nur die Alten sondern auch die Jungen, berichtet Patrick Bauer, der 29-jährige Chefredakteur des Magazins Neon:

    "Man ist, wenn man in meinem Alter ist , aufgewachsen mit Schlagzeilen, mit Studien die besagen, dass es immer weniger geben wird, immer weniger Arbeitsplätze, immer weniger Gehalt, immer weniger Plätze für Kinder¬betreuung et cetera. Das heißt, wir sind in einem Gefühl der permanenten Krise aufgewachsen. Das sorgt zum einen für so eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber neuen Krisen, denn, wenn man nur Krisen kennt, dann sucht man auch nicht den Zustand außerhalb der Krise. Und das sorgt zum anderen dafür, dass man sich vielleicht auch weniger traut Forderungen zu stellen im Arbeitsleben, in der Gesellschaft grundsätzlich. Und das sorgt - meiner Meinung nach - auch dafür, dass Solidarität verloren geht, denn wenn man permanent diese Krisen¬warnungen gehört, dann lernt man sehr schnell, man muss vor allem kucken, wo man selber bleibt."

    Es betrifft nicht nur die Finanzen, sondern auch das Lebensgefühl: Für 1950 Geborene ging es fast immer aufwärts; für 1980 Geborene immer abwärts. Deshalb verstehen sich die Generationen oft auch so schlecht, weil sie von völlig verschiedenen Lebensentwürfen ausgehen. Im Wirtschaftswunder konnte man mit einem dauerhaften Arbeitsplatz rechnen, Familie gründen und ein Häuschen bauen; heute muss man mit schlecht bezahlten Zeitarbeits¬verhältnissen rechnen, die keine langfristige Planung zulassen.

    Für Christoph Butterwegge ist diese Entwicklung Ergebnis einer politisch gewollten Umverteilung und er verweist darauf, dass 1951 der Spitzensteuersatz bei 91 Prozent lag, heute dagegen nur noch bei 45 Prozent. Er gibt zu bedenken:

    "Einen Superreicher kauft seiner Frau nicht noch mehr Brillantringe, nur weil er steuerlich meinetwegen noch eine Million Euro im Jahr spart. Aber zehntau¬sende von Hartz-IV-Beziehern, die zehn Euro Erhöhung bekommen würden, würden das ganze Geld dieser Erhöhung sofort in die Läden tragen. Und deshalb wäre es sowohl gerechter für weniger Ungleichheit zu sorgen, als auch wäre es ökonomisch sinnvoll, um neuerlichen Krisen entgegenzuwirken."

    Ob zukünftige Generationen mehr oder weniger Wohlstand haben werden, hängt nicht allein davon ab, wie viele Menschen es sein werden, sondern, wie viel Wohlstand sie zu erzeugen fähig sind. Dafür sind gute Bildung aller, faire Verteilung von Chancen und Gütern sowie eine stabile intakte Natur entscheidend. Stattdessen argumentieren Politiker, man müsse soziale Einschnitte, auch bei den Renten, durchführen, um den zukünftigen Generationen einen schuldenfreien Staat zu hinter¬lassen. Patrick Bauer hat Zweifel ob das gerecht ist:

    "Gut, da wird zwar argumentiert, das sorgt dafür, dass du später volle Haushaltskassen hast, aber ich bekomme ja de facto noch weniger Rente, als die Menschen heute Rente bekommen. Sprich, ich bin ja der Alte von Morgen. Deshalb hat das so eine gewisse Absurdität, wenn auf dem Rücken dieser 'Generationengerechtigkeit' permanent mit Einsparungen gewirtschaftet wird."

    Generationengerechtigkeit würde von den heute Lebenden verlangen, dass sie nur soviel verbrauchen, wie während ihres Lebens auch wieder nachwächst, damit zukünftige Generationen die gleichen oder bessere Chancen haben. Das geht natürlich weit über das Finanzielle oder die Renten hinaus. Die Brundtland-Kom¬mission nannte das "Nachhaltigkeit" und 1992 bekannten sich 190 Regierungen dazu. Doch die Praxis sieht anders aus. Jörg Tremmel:

    "Also wir leben im Moment nicht nachhaltig! Es gibt eklatante Ungerechtigkeiten zwischen dem Norden und dem Süden. Der Süden muss zum Beispiel die Hauptlast des Klimawandels tragen, obwohl der Norden maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich ist. Und es gibt auch einen Leben auf Kosten kommender Generationen, wir greifen immer weiter in die Zukunft vor, um heute unseren Wohlstand zu sichern. Wir bräuchten eigentlich 3 oder 4 Erden und nicht nur eine, die wir haben, um auf Dauer unseren Lebensstil durchhalten zu können."

    Dass ständig von "Generationengerechtigkeit" geredet wird, verrät, wie die Tagung zeigte: Es mangelt an Gerechtigkeit in und zwischen den Generationen und sie ist auch nicht in Sicht. Jörg Tremmel skizziert eine mögliche Lösung:

    "Wenn ich heute ein Atomkraftwerk baue, dann gibt es noch in 300.000 Jahren Atommüll, der gesundheitsgefährdend ist. Solange ist die Halbwertszeit von Plutonium 239. Und hier brauchen wir dringend eine Repräsentanz kommender Generationen. Wir brauchen eine Vertretung einen Ombudsmann für kommender Generationen."

    Denn sie haben keine Wählerstimmen um die heutige Politik zu beeinflussen.