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"Wenn es in einem Land schief läuft, dann sind die anderen mit im Boot"

Es wird heiß diskutiert auf dem aktuellen EU-Gipfel in Brüssel, denn nach Ansicht der Europa-Forscherin Daniela Schwarzer beharrt jedes Parlament zurecht auf seiner eigenen Haushaltshoheit, den Haushalt zu verabschieden und über Ausgaben zu entscheiden. Die Finanzkrise habe aber auch gezeigt, wie abhängig die Mitgliedsstaaten voneinander seien.

Daniela Schwarzer im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Christoph Heinemann: Der EU-Gipfel hat sich auf eine begrenzte Änderung des Lissabon-Vertrages geeinigt, um einen dauerhaften Schulden-Krisenmechanismus zu ermöglichen. Bis zum Dezember sollten die Einzelheiten ausgearbeitet werden. Dazu gehöre auch eine Einbeziehung privater Gläubiger bei der Bewältigung künftiger Krisen. Das gab die Bundeskanzlerin am frühen Morgen bekannt. Darüber hat mein Kollege Jürgen Liminski mit Daniela Schwarzer gesprochen, sie ist die Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Welche Verantwortung bei Haushaltsgestaltungen können die Nationalstaaten abgeben, wo endet die Souveränität?

    Daniela Schwarzer: Die Frage wird seit Einführung des Euro teilweise politisch sehr, sehr heiß diskutiert, denn einerseits beharrt jede Regierung, beharrt jedes Parlament zurecht auf seiner Hoheit, den Haushalt zu verabschieden, Steuern zu erheben und auch die Ausgaben zu entscheiden. Aber wir haben jetzt eben durch die Finanzkrise ganz deutlich erlebt, wie abhängig die Mitgliedsstaaten voneinander sind. Wenn es in einem Land schief läuft, dann sind die anderen mit im Boot, müssen dafür mit geradestehen wie beispielsweise im Falle Griechenlands. Und deshalb ist eben die Sorge, insbesondere aus der Bundesregierung, härtere Regeln zu haben, um solche Fälle zum einen zu vermeiden, das heißt also, die Länder zu Disziplin zu zwingen, damit sie gar nicht erst in so eine Situation rutschen können, und andererseits auch einen Mechanismus zu haben, mit dem man dann einem Fall helfen kann, wo ein Land vor einem Staatsbankrott steht, dass man da klare Regeln hat, wie man damit umgeht. Natürlich ist zum Beispiel im Falle Griechenlands im Moment die nationale Hoheit über den eigenen Haushalt und über die eigene Wirtschaftspolitik dazu extrem eingeschränkt, aber das liegt daran, dass Griechenland eben auch Kredite von den anderen Mitgliedsstaaten bekommen hat und um die zu kriegen ein ganz detailliertes Programm vereinbart hat, was ihm im Grunde drei Jahre lang fast keinen politischen Handlungsspielraum gibt. Die Frage ist nun: Können die Regeln weiter gehärtet werden, muss es härtere Sanktionen geben, aber eben nicht, weil man denkt, dass man möglichst viele Mitgliedsstaaten in so eine Situation bringen will, wo die nationale Souveränität beschränkt ist, sondern weil man diesen Fall gerade verhindern will.

    Jürgen Liminski: Bisher hatte man den Eindruck, diese Verträge und auch der Lissabon-Vertrag sind wie in Stein gemeißelt, da gibt es nur Fortschritte in Richtung Integration und Souveränitätsverzicht. Stehen wir hier vor einer Wende?

    Schwarzer: In letzter Zeit wird sehr viel darüber diskutiert, ob die Mitgliedsstaaten überhaupt noch zu so viel Europa willens sind und weitergehen wollen. Dazu zwei Punkte. Der eine ist, dass der Lissabon-Vertrag als erster Vertrag, den die Europäische Union in den vielen Jahren Integration hatte, den Austritt eines Landes vorsieht. Das heißt also, wir sind eigentlich schon in einer Situation, wo durchaus auch ein Rückzug aus der Europäischen Union möglich ist. Der zweite Punkt ist, dass auf der einen Seite sehr viel über neuen Euro-Skeptizismus, über Protektionismus, über Nationalismus gesprochen wird, aber gleichzeitig sind die Mitgliedsstaaten in der Finanzkrise sehr viel enger zusammengerückt. Die Tatsache, dass wir so etwas haben wie diesen immens großen Rettungsschirm für den Euro, diese 750 Milliarden Euro, dass so eine Entscheidung möglich war, die Entscheidung, dass die Regierungen im wirtschaftlichen Abschwung durchaus in der Lage waren, konjunkturpolitisch etwas zu koordinieren und ein gemeinsames Programm auf den Weg zu bekommen, das sind alles Anfänge, aber es hat sich eben gezeigt, dass in der Krise einerseits ja mehr Protektionismus, mehr Rückbesinnung auf das Nationale stattgefunden hat, aber gleichzeitig auch mit ihrer faktischen Antwort auf die Krise die Europäische Union sich auch intern gestärkt hat.

    Liminski: Luxemburg und andere kleinere Staaten haben nun gegen ein angebliches Diktat aus Berlin und Paris protestiert. Spielt die Größe eines Landes nicht doch noch eine Rolle in der EU?

    Schwarzer: Die Größe eines Landes spielt eine große Rolle für die Durchsetzungskraft. Wenn man Ideen hat und die als großes Land oder im Konzert mit großen Ländern vorbringt, haben sie eine sehr viel größere Chance durchzukommen. In diesem speziellen Fall ist es sicherlich etwas ungut verlaufen, dass Deutschland und Frankreich ihren Vorschlag für die Reform der Governance-Mechanismen der Euro-Zone relativ plötzlich vorgelegt haben in diesem Umfang. Man wusste, Deutschland und Frankreich arbeiten an einem Papier, aber dass sie den Vorschlag machen, dass die EU-Verträge geöffnet werden sollen, also eine Regierungskonferenz und langwierige Vertragsverhandlungen starten sollen, das hatte man innerhalb der EU nicht erwartet, das hat viele sehr geschockt und es wird meiner Ansicht nach zurecht kritisiert, dass hier nicht eine frühere Abstimmung mit den kleineren Ländern, mit anderen mittel- und auch großen Ländern stattgefunden hat, sondern dass hier letztendlich sehr in der alten Logik des deutsch-französischen Tandems gedacht wird, man kann einen Vorschlag vorlegen und dann wird man schon so viel Gewicht haben, dass die anderen mitgehen. Ich glaube, wir haben heute sehr deutlich an den politischen Reaktionen aus der Kommission, aber auch von Regierungschefs wie etwa dem luxemburgischen Premier Jean-Claude Juncker erlebt, dass die Mitgliedsstaaten nicht einfach bereit sind, den beiden zu folgen.

    Liminski: Können Sie sich vorstellen, dass Frankreich oder auch vielleicht Großbritannien einmal auf den Kern ihrer Souveränität, nämlich die Steuerhoheit verzichten? Gilt da nicht auch der Begriff der Systemrelevanz diesmal für das System EU, sodass man sich dem Willen in Paris oder London oder Berlin letztlich beugen muss?

    Schwarzer: Ich denke, dass kein Mitgliedsstaat bereit ist, auf seine Steuerhoheit zu verzichten, aber wir müssen schon insbesondere innerhalb der Euro-Zone ganz ernsthaft die Frage stellen, wie viel gemeinsames Handeln brauchen wir, um den Euro wirklich nachhaltig zu machen. Großbritannien steht da im Moment draußen. Es ist natürlich Teil der EU, nicht Teil der Euro-Zone. Aber was ganz, ganz deutlich ist: Innerhalb der Euro-Zone, wenn ein Land sich weigert mitzumachen, wenn es bereit ist zu blockieren, dann kommt man nicht voran. Und wenn es ein großer Staat ist, ist es umso schwieriger, weil es dann schwierig ist, Druck auszuüben. Bei Großbritannien ist es so, dass es ungeheuer wichtig ist für die Europäische Union, für den Binnenmarkt, auch letztendlich für Währungsfragen und Finanzfragen, denn der Finanzmarktplatz London ist sehr, sehr relevant auch für Kontinentaleuropa. Aber bei den Fragen, die im Moment diskutiert werden, ist Großbritannien letztendlich nicht im Kern der Europäischen Union, denn es geht hier um die Zukunftsfähigkeit des Euro und Großbritannien hat sich meiner Ansicht nach auf relativ lange Sicht deutlich politisch positioniert, dass es nicht in diesen Kern vordringen möchte.

    Ich denke, gerade im Bereich von Wirtschafts- und Finanzpolitik ist es sehr, sehr wichtig, dass man sich bewusst macht, man muss zusammenarbeiten, man muss Regeln respektieren, man muss entlang objektiver Kriterien arbeiten, man muss Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. Aber gleichzeitig kann man nicht alles abgeben, jede politische Verantwortung, und es ist sicherlich niemals ein rein technischer Prozess.

    Heinemann: Daniela Schwarzer ist die Leiterin der Forschungsgruppe EU-Integration bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Liminski.