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Wenn wir weniger und älter werden

Der demografische Wandel hat hat nicht nur finanzielle Folgen. Beim Demografie-Gipfel in Berlin will Angela Merkel mit Wirtschaftswissenschaftlern, Sozialverbänden und Vertretern von Demografie-Projekten über den Umgang mit einer alternden Gesellschaft beraten. Deren Positionen sind bei Weitem nicht übereinstimmend.

Von Nikolaus Nützel | 13.05.2013
    Vor einigen Wochen erlebte das Dorf Langenfeld in Nordbayern einen ganz besonderen Tag. Bundeskanzlerin Angela Merkel stattete dem Ort mit rund 1000 Einwohnern einen Besuch ab, einige Stunden lang war der Dorfkern überflutet von Sicherheitskräften und Journalisten. Der Besuch der Kanzlerin war Teil einer sogenannten Demografie-Reise, bei der Angela Merkel sich auf den Demografie-Gipfel vorbereiten wollte, zu dem die Bundesregierung morgen nach Berlin einlädt. Politiker und Vertreter verschiedener Einrichtungen und Verbände sollen darüber beraten, was es bedeutet, wenn die Bevölkerung schrumpft und die Menschen immer älter werden. Im fränkischen Langenfeld interessierte sich die Kanzlerin vor allem für ein sogenanntes Mehrgenerationen-Haus mit dem Namen "Dorflinde":

    "Es ist vor allem ein Projekt, das zeigt, wie in einer Gemeinde von 1000 Einwohnern Zusammenhalt organisiert werden kann. Ich bin begeistert, ich bin beeindruckt vor allem von dem hohen Maß an ehrenamtlicher Arbeit hier mit Kindern, mit Älteren, mit Menschen, die Behinderungen haben."

    In der Dorflinde gibt es viele Angebote für junge und alte Menschen. Und diese Angebote werden tatsächlich wahrgenommen, von allen Altersgruppen, erzählt Erich Kraft. Der 74-jährige Rentner kommt jeden Nachmittag in die umgebaute Scheune:

    "Wir sind froh, dass wir diese Einrichtung haben, weil hier kommen auch die jungen Leute mit rein, spielen mit den Computern, machen Hausaufgaben und so weiter und lauschen dann immer, wenn die Alten einmal was erzählen, das schnappen sie auf, also verstehen wir uns sehr gut. Und hier trifft sich halt Jung und Alt."

    Zu den jungen Leuten, die die Dorflinde als Treffpunkt nutzen, gehört der 14-jährige Schüler Marcel Halbrichter:

    "Ja also ich mache mein freiwilliges soziales Schuljahr hier, helfe zum Beispiel älteren Leuten, das Internet beizubringen oder halt allgemein am Computer. Und ich helfe auch hier jetzt direkt an der Theke mit Getränke auszugeben und so."

    Die Dorflinde ist aber nicht nur Treffpunkt. Im Mehrgenerationenhaus werden beispielsweise auch Schulungen angeboten – für Familien, deren Angehörige pflegebedürftig sind. Für die nächsten Jahre ist ein Senioren-Wohnprojekt geplant. Und die Initiatoren der Dorflinde wollen auch sicherstellen, dass wenigstens ein Kindergarten am Ort bleibt; die Grundschule hat schon vor vielen Jahren geschlossen.

    Betreiber der Dorflinde ist die Gemeinde Langenfeld, den Großteil der Arbeit übernehmen ehrenamtliche Helfer. Finanzielle Unterstützung leisten auch Firmen der Umgebung. Nach diesem oder einem ähnlichen Muster arbeiten rund 450 Mehrgenerationenhäuser in Deutschland – ihre Organisatoren sehen sie als Beleg dafür, dass sich der demografische Wandel bewältigen lässt. Und dieser Wandel ist beträchtlich. Wissenschaftler versuchen schon seit geraumer Zeit, mit ihren Berechnungen die Öffentlichkeit dafür zu sensibilisieren.

    Schon seit rund vier Jahrzehnten kommen in Deutschland bei Weitem nicht genug Kinder auf die Welt, um das zahlenmäßige Verhältnis von alten zu jungen Menschen halbwegs stabil zu halten. Damit die verschiedenen Altersgruppen etwa gleichstark in der Bevölkerung vertreten sind, und nicht die Zahl der Älteren überproportional anwächst, müssten im statistischen Mittel 100 Frauen rund 200 Kinder auf die Welt bringen. Doch seit vielen Jahren liegt die entsprechende Zahl nur etwa bei 140. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Bei Frauen liegt sie derzeit bei gut 82 Jahren, bei Männern etwa fünf Jahre niedriger. Die 82 Jahre seien aber nur ein Durchschnittswert, betont Rembrandt Scholz vom Max Planck Institut für Demografieforschung:

    "Und diese 82 Jahre bedeuten, dass über die Hälfte das Lebensalter von 89 Jahren erreichen. Das heißt, wir sind gar nicht so weit weg von sehr hohen Werten."

    Und da in den vergangenen Jahrzehnten die Lebenserwartung immer weiter angestiegen ist, sei zu erwarten, dass die Menschen im Schnitt auch weiterhin immer später sterben werden, meint der Bevölkerungsforscher:

    "Dass ein heute geborenes Mädchen das Alter von 91, 92 Jahren erreichen kann - im statistischen Durchschnitt."

    Solche Vorhersagen über die demografische Entwicklung sind nicht ganz neu – nach Ansicht von Professor Bernd Raffelhüschen gerät aber immer mehr in Vergessenheit, welche Sprengkraft in diesen Prognosen steckt. Raffelhüschen lehrt an der Universität Freiburg Finanzwissenschaften, und er hat sich seit vielen Jahren darauf spezialisiert zu berechnen, welche finanziellen Folgen der demografische Wandel hat. Eine Warnung, die er immer wieder vorträgt, findet seiner Meinung nach zu wenig Beachtung:

    "Die Beitragszahler von morgen sind sehr, sehr stark belastet und da geht eigentlich das Ziel hin: diese Menschen zu entlasten."

    Vor allem bei der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung seien die eigentlichen Herausforderungen noch nicht ansatzweise bewältigt, meint Raffelhüschen. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung, der momentan bei gut zwei Prozent liegt, müsste künftig um das Doppelte bis Dreifache steigen, hat Raffelhüschen berechnet.

    "Die Pflegeversicherungs-Beitragssätze können nicht unter viereinhalb Prozent liegen im Jahr 2040, und sie werden irgendwo in der Spanne zwischen vier und sechs Prozentpunkte liegen in den weiteren Jahrzehnten."

    Auch der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung, der momentan bei 15,5 Prozent vom Bruttolohn liegt, müsste sich seiner Berechnung nach eigentlich verdoppeln. Allerdings glaubt der Finanzwissenschaftler nicht, dass es dazu kommen wird.

    "Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung würde, wenn wir den technischen Fortschritt weiter fortschreiben, weit über 30 Prozent hinausgehen. Aber das sind alles natürlich fiktive Rechnungen, unsere Kinder als Beitragszahler werden das nicht akzeptieren. Wir haben bei der gesetzlichen Kranken-, Pflegeversicherung, aber auch bei der Beamtenversorgung langsam ein wirkliches Akzeptanzproblem."

    Raffelhüschen hat auch eine Idee parat, wie dieses Akzeptanzproblem gelöst werden könnte: Die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme müssten weniger Leistungen garantieren, stattdessen nur noch einen Grundbedarf absichern. Alles, was darüber hinausgeht, müsste privat abgesichert werden. Nach Ansicht des Freiburger Professors sind die Einschnitte bei der Rentenversicherung in den vergangenen Jahren Vorbild dafür.

    "Die Rentenversicherungsreformen sind ein voller Erfolg für die zukünftigen Beitragszahler."

    Das, was Bernd Raffelhüschen als "vollen Erfolg für die zukünftigen Beitragszahler" bezeichnet, ist um die Jahrtausendwende herum politisch umgesetzt worden. Unter Bundesarbeitsminister Riester wurde damals die gesetzliche Rente deutlich gestutzt. Wer besser dastehen möchte, soll privat vorsorgen, hieß es – beispielsweise über die staatlich geförderte Riester-Rente. Diese Reformen hat unter anderem Ulrike Mascher mit auf den Weg gebracht. Sie war von 1998 bis 2002 Staatssekretärin der SPD im Bundesarbeitsministerium. Inzwischen ist sie Präsidentin des Sozialverbandes VdK. Einige der Entscheidungen, die sie früher mitgetragen hat, bereut sie heute:

    "Wenn man sich das jetzt anguckt, dann muss man feststellen, dass diese Dämpfung bei der Rentenanpassung eben leider teilweise eine Vollbremsung war. Wir haben Nullrunden 2004, 2005, 2006, 2010 gehabt. Und wir haben heute eine Entwicklung, dass die Renten hinter der Lohnentwicklung zurückbleiben, auch hinter der Kaufkraftentwicklung zurückbleiben."

    Der VdK gehört zu den Verbänden, die die Bundesregierung morgen zum Demografie-Gipfel nach Berlin eingeladen hat, um zu beraten, wie sich die Veränderungen in der Altersstruktur bewältigen lassen. Die VdK-Präsidentin Ulrike Mascher hält nicht viel vom Begriff "Generationengerechtigkeit", wie ihn der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen gerne verwendet. Mascher kann nicht viel Gerechtes darin sehen, wenn die Kaufkraft von Millionen von Rentnern immer weiter sinkt - während sich gleichzeitig ihrer Ansicht nach an anderer Stelle immer mehr Geld ansammelt. Die jüngsten Berichte über Milliardenvermögen, die reiche Deutsche im Ausland versteckt haben, machen in ihren Augen eines deutlich: Wichtiger als die Generationengerechtigkeit sei die Verteilungsgerechtigkeit.

    "Offensichtlich gibt es sehr viel Geld in der Bundesrepublik, was hier jedes Jahr erwirtschaftet wird. Und die Frage ist, wie verteile wir das. Und also ich, und der VdK und seine Mitglieder, aber auch viele andere Menschen in diesem Land, lassen sich nicht mehr damit abspeisen, ja, wir haben kein Geld."

    Und die frühere Staatssekretärin hat auch in anderer Hinsicht ihre Meinung geändert. Als sie für die SPD aktive Politikerin war, hat sie Gesetzesvorhaben mit wissenschaftlichen Berechnungen über die Entwicklung der Bevölkerung und der Sozialsysteme begründet. Heute wäre sie da vorsichtiger, sagt Ulrike Mascher.

    "Also ich halte überhaupt nichts von den Horrorszenarien. Diese Horrorszenarien beruhen ja immer auf bestimmten Annahmen, und dann wird mit wunderbaren Rechenprogrammen auf das Jahr 2030, 2050, 2060 hochgerechnet. Und ich empfehle immer die ganz einfache Übung, sich vorzustellen, wie hätte eine Prognose ausgesehen, die wir vor 50 Jahren für die Bundesrepublik gemacht hätten. Ganz wesentliche Veränderungen, wir kannten sie nicht und die sind auch in die Hochrechnungen nicht eingegangen. Also da hat sich in den vergangenen 50 Jahren viel geändert und vor 50 Jahren war das in keiner Hochrechnung. Also Vorsicht mit solchen wunderbaren Rechenkunststücken."

    Der Freiburger Finanzwissenschaftler Raffelhüschen räumt ein, dass Vorhersagen umso unsicherer werden, je weiter in die Zukunft sie sich erstrecken. Für die nächsten 20 bis 25 Jahre aber seien sehr genaue Berechnungen möglich, meint er. Denn für das, was im Jahr 2035 Fakt sein wird, sind alle wesentlichen Faktoren bereits festgelegt: Alle Menschen, die dann im Rentenalter sein werden, sind schon geboren, also steht ihre Zahl weitgehend fest – sie wird von derzeit gut 17 Millionen auf über 24 Millionen steigen. Auch wie viele Menschen im Jahr 2035 im erwerbsfähigen Alter sein werden, steht fest – denn auch sie sind bereits auf der Welt – ihre Zahl wird unter 40 Millionen sinken, rund elf Millionen weniger als heute. Weshalb Raffelhüschen den Debattenbeitrag der VdK-Präsidentin unseriös nennt:

    "Frau Mascher ist eine typische Interessenvertreterin. Sie will, dass die zukünftigen Rentner-Generationen um 2035 eben halt zulasten der dann Zahlenden mehr bekommen. Das ist ein Interessenskonflikt."

    Wie Lasten verteilt werden, und wer Lasten als solche empfindet – darauf kann man aber auch einen ganz anderen Blick werfen, als der Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen es tut. Bernard Braun etwa beschäftigt sich an der Universität Bremen schon seit Jahrzehnten mit den Sozialsystemen. Besonders interessant findet er den Blick in andere Länder, beispielsweise beim Thema Pflege. In Schweden etwa werden derzeit rund dreieinhalb Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung für Pflege ausgegeben – in Deutschland ist es knapp ein Prozent. Aus diesem Vergleich gewinnt Braun eine interessante Erkenntnis:

    "Heute geben die schon ein Mehrfaches dafür aus für die Langzeit-Pflege von älteren Menschen, ohne dass in Schweden irgendjemand was Schlimmes dran findet. Im Gegenteil: Die Schweden freuen sich, dass sie relativ muntere Alte integriert und inkludiert haben teilweise in ihren Gemeinden und sagen, das kostet eben was."

    Auch Vorhersagen, wonach der Beitragssatz zur Krankenversicherung sich eigentlich verdoppeln müsste, und damit untragbar würde, zweifelt Bernard Braun an. Es gebe eine Menge wissenschaftliche Argumente dagegen, sagt er. Denn die Frage, ob ältere Menschen krank werden, ob also die sogenannte Morbidität steigt, lasse sich durchaus beeinflussen.

    "Wenn man Siebzigjährige dazu bringt, aufzuhören zu rauchen, hat das für die noch gesundheitliche Bedeutung. Die haben weniger Herzkreislauf-Erkrankungen, weniger Gefäßkrankheiten. Das heißt auch wieder: Diese befürchtete Morbiditätslast bei denen kann noch mit 70 beeinflusst werden. Und wenn man forschen würde, würde man sicher eine Vielzahl von Möglichkeiten, bei denen man diese befürchteten Effekte modifizieren kann, absenken kann. Wie weit, das weiß man nicht, aber sie sind beeinflussbar."

    Dass ältere Menschen nicht automatisch kränker sind, zeigen auch Berechnungen des Max Planck-Instituts für Bevölkerungsforschung. Danach sind 86-jährige Frauen heute im Schnitt so gesund, wie es 80-jährige Frauen vor etwa fünf Jahrzehnten waren. Das heißt, viele Menschen leben nicht nur länger, sie sind auch länger bei einigermaßen guter Gesundheit. Dafür spreche auch der ganz normale Menschenverstand, meint der Gesundheitswissenschaftler Bernard Braun – den er allerdings bei den Berechnungen einiger seiner Kollegen manchmal vermisst.

    "Das Irre ist ja, dass gleichzeitig andere Prognostiker, die teilweise auch in der Demografie eine Rolle spielen, ja immer prognostizieren, die Leute werden immer kränker. Und eine kränker werdende Bevölkerung, die länger lebt, die gab es noch nie."

    Der Forscher von der Uni Bremen hält es auch für falsch, den Blick immer nur darauf zu richten, welche Rolle neue Medikamente oder neue Operationsmethoden bei einer alternden Bevölkerung spielen - und damit auch beim Thema Gesundheitskosten. Viele Kosten aufgrund von Demenz oder Pflegebedürftigkeit könnten vermieden werden, wenn Menschen im Alter besser in die Gesellschaft integriert bleiben, glaubt er. Denn Einsamkeit mache nachgewiesenermaßen krank – körperlich wie geistig.

    "Würde es gelingen, diese Vereinsamungstendenzen zu verhindern oder zu beeinflussen, sprich mehr soziale Angebote, was auch immer, dann würden eine Reihe der Probleme, die man mit dem Älterwerden hat, und zwar psychischer und dann physischer Art, würden überhaupt nicht auftauchen, beziehungsweise kämen wesentlich später. Und wie spät, das weiß man eben nicht."

    Auch hinter Berechnungen, wonach die Rentenkassen unter immer größeren Druck geraten müssten, setzt Braun ein Fragezeichen. Die Rentenpolitik sei ziemlich fantasielos, kritisiert der Gesundheitswissenschaftler. Es gehe dabei immer nur darum, dass Menschen bis zu einem bestimmten Alter voll berufstätig sind – und dann gar nicht mehr arbeiten. Dabei gerate völlig aus dem Blick, dass etwa viele 70-Jährige durchaus noch arbeiten könnten und auch wollten – nur vielleicht nicht mehr 40 Stunden in der Woche. Gleichzeitig gebe es auch viele 30- oder 40-Jährige, die lieber weniger arbeiten würden, um sich etwa um die Gründung einer Familie zu kümmern. Er weist darauf hin, dass Bevölkerungswissenschaftler schon vor geraumer Zeit Modelle ausgearbeitet hätten, wie sich Arbeit und Rente, und damit auch die Beitragszahlungen in die Rentenkasse und der Rentenbezug flexibler gestalten lassen könnten als heute. Doch diese Modelle seien nie über Wissenschaftler-Kreise hinausgekommen, beklagt Bernard Braun:

    "Über dieses Modell wird in Deutschland überhaupt nicht diskutiert. Es wird nur immer wieder über dieses 67 Rente für alle, mit Abschlägen und, und, und. Sie merken, das ist schon wieder dieses "Es ist alles irgendwie eine Katastrophe-Modell". Und einige Arbeitgeber sagen ja bis 70 arbeiten, aber meistens auch nur mit 40 Stunden, also voll arbeiten oder überhaupt nicht. Aber diese Überlegungen, mal ein Leben als Ganzes zu nehmen, die werden in Deutschland auch nicht diskutiert."

    Der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen ist bei vielen Themen anderer Ansicht als sein Bremer Kollege Braun. In einem Punkt stimmen die beiden überein: Der demografische Wandel könne nur dann bewältigt werden, wenn Arbeit anders organisiert und verteilt wird. Raffelhüschen hält es beispielsweise für unausweichlich, dass künftig wesentlich mehr Menschen in der Pflege arbeiten als heute. So wie der Anteil der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zurückgegangen sei, so werde der Anteil der Arbeitskräfte in der Pflege bald drastisch steigen müssen, glaubt er.

    "Wir werden sehen, dass bei der Pflege ein massiver Aufbau notwendig ist und dass der auch kommen wird."

    Auch für das Kernproblem des demografischen Wandels gibt es laut Raffelhüschen Lösungsansätze: Das Problem liegt darin, dass diejenigen, die im sogenannten erwerbsfähigen Alter sind, also die 20- bis 65-Jährigen, finanziell für immer mehr Ältere aufkommen müssen. Heute stehen 100 Deutschen im erwerbsfähigen Alter etwa 30 ältere Menschen gegenüber. Schon im Jahr 2035 werden es bereits etwa 50 Ältere sein, die auf 100 Erwerbsfähige kommen, hat das Statistische Bundesamt berechnet. Also muss zusätzliche Arbeitskraft mobilisiert werden – etwa die Arbeitskraft von Frauen, die eigentlich arbeiten könnten, es aber – aus welchen Gründen auch immer - nicht tun, und die als sogenannte "stille Reserve" bezeichnet werden.

    "Dass die zukünftigen Arbeitskräfte vielleicht aus der stillen Reserve kommen - mit Erhöhung der Frauenerwerbsquote dann einhergehend, oder die Erwerbsquote von älteren Beschäftigten einhergehend, oder auch mit entsprechender Zuwanderungspolitik einhergehend. Das sind alles Stellschrauben, mit denen wir das Problem lösen können. Also keine Panik. Aber auch keine Straußenpolitik im Sinne von einfach den Kopf in den Sand."

    Den Kopf in den Sand gesteckt haben die Bewohner des nordbayerischen Dorfes Langenfeld nicht. Sie haben das Problem erkannt und angepackt, sie haben vor einigen Jahren ein sogenanntes Mehrgenerationenhaus ins Leben gerufen. Dass es in dem Ort mit gerade mal 1000 Einwohnern mittlerweile viele verschiedene Angebote für alte wie auch für junge Menschen gibt, sei alles andere als eine Selbstverständlichkeit, findet der Langenfelder Bürgermeister Reinhard Streng:

    "Also vom Senioren-Kreis über die Ferienbetreuung, vom Ferienprogramm über kulturelle Angebote, der Demenzhelfer-Kreis, Internet-Café, der Stammtisch, auch das, wir haben ja kein Dorf-Wirtshaus, dass sich hier ein Stammtisch trifft, dass es ein Begegnungsort ist. Dann sind wir beteiligt bei diesem freiwilligen sozialen Schuljahr, wo Schüler zwei Stunden wöchentlich eine Einrichtung besuchen, wir sind von Anfang an dabei, haben bis zu fünf Jugendliche, die hier auch ein Stück weit sozialisiert werden, Verantwortung übernehmen, Eigeninitiative zeigen, uns unterstützen und helfen."

    Bundeskanzlerin Angela Merkel fand es bemerkenswert, mit welchen Ideen in dem fränkischen Dorf für die Zukunft vorgebaut wird. Für die CDU-Politikerin Grund genug, dem kleinen Dorf im Rahmen ihrer Demografie-Reise einen Besuch abzustatten. Über eine Stunde lang ließ sie sich bei einem Rundgang das Konzept erklären – und sie hat den Dorf-Bürgermeister zum Demografie-Gipfel eingeladen, der morgen in Berlin stattfindet. Das, was sie gesehen und gehört hat, habe sie in einer Überzeugung bestärkt, sagte die Kanzlerin am Schluss ihres Besuchs in Langenfeld: Der demografische Wandel müsse keine Katastrophe sein. Sofern man sich auf diesen Wandel einlässt:

    "Und so müssen wir weiter lernen. Denn die Veränderung unserer Bevölkerung wird sich fortsetzen. Wir werden mehr Ältere haben, wir werden weniger Kinder haben und wir wollen trotzdem, dass unser Leben gemeinsam gut gestaltet werden kann. Und dieses Projekt hat mich bereichert in meinem Wissen und auch in meiner Erfahrung, was hier alles Gutes geschieht. Dankeschön."

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