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"Wer pünktlich ist, braucht auch nicht zu bezahlen"

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass die Bahn Reisende auch für Verspätungen durch höhere Gewalt entschädigen muss. Diese Regelung sollte auch für Fluggesellschaften und Fernbusunternehmen gelten, fordert Michael Cramer, Europaparlamentarier der Grünen.

Michael Cramer im Gespräch mit Christine Heuer |
    Christine Heuer: Im August hatte die Deutsche Bahn arge Probleme: Sturmböen, Blitzeinschläge und entwurzelte Bäume legten den Streckenverkehr in weiten Teilen des Rhein-Main-Gebiets und Thüringens lahm. Das war ärgerlich. Ab jetzt wird so etwas aber auch richtig teuer, denn der Europäische Gerichtshof hat heute entschieden, dass Bahnunternehmen in ganz Europa auch dann ihre Kunden entschädigen müssen, wenn höhere Gewalt zu Verspätungen führt.

    Wir wollen das Thema vertiefen im Interview mit Michael Cramer von den Grünen, Verkehrspolitiker im Europäischen Parlament. Guten Tag, Herr Cramer.

    Michael Cramer: Schönen guten Tag!

    Heuer: Finden Sie das Urteil richtig?

    Cramer: Ja, das Urteil ist richtig. Es ist im Interesse der Fahrgäste, und das bringt Sicherheit. Denn oft wurde die höhere Gewalt ausgenutzt, um sich vor den Entschädigungen zu drücken. Wir wollen die Entschädigung ja nicht, damit die Bahn viel bezahlen muss, sondern wir wollen sie, dass sie pünktlich sind.

    Heuer: Aber ist das Urteil auch gerecht? Was kann denn die Bahn eigentlich dafür, wenn ein Baum auf eine Oberleitung fällt? Da ist sie doch machtlos.

    Cramer: Das stimmt. Aber ich als Fahrgast kann auch nichts dafür. Und deshalb können sich für solche Fälle, die sehr, sehr, sehr selten sind, die Bahnen schützen: entweder durch Versicherungen oder indem sie eine Rücklage bilden, dass in diesem Fall auch bezahlt werden kann. Was aber ärgerlich ist bei diesem Urteil, dass es für die anderen Verkehrsträger nicht gilt. Auch die Bahn, die umweltfreundliche Bahn, wird sowieso schon benachteiligt im Verhältnis zu den anderen. Im Flugverkehr gibt es erst nach drei Stunden eine Entschädigung. Da wollen wir gleiches Recht für alle und faire Bedingungen für alle Verkehrsträger.

    Heuer: Das heißt auch für die Fluggesellschaften?

    Cramer: Auch für die Fluggesellschaften. Und wenn man das sieht, etwa diesen Vulkanausbruch in Island - in 60 Jahren ist so etwas einmal passiert. Aber permanent wird es zum Anlass genommen, dass sich die Fluggesellschaft jetzt hier vor Entschädigungszahlungen drücken können. Und selbst die Kommission ist aufseiten der Profitgier der Fluggesellschaften und nicht aufseiten der Fluggäste. Da werden wir uns im Parlament stark dagegen wehren, weil die Kommission diese Flugzeiten für die Fluggäste noch ausweiten soll, dass ab fünf Stunden erst eine Entschädigung bezahlt wird. Das heißt, dann würden 72 Prozent der Betroffenen nicht mehr davon betroffen.

    Heuer: Und da kann dann auch der EuGH in Ihrem Sinne irgendwann vielleicht einmal ein Urteil sprechen.

    Cramer: Ich hoffe. Der EuGH muss auch alle Verkehrsträger sehen. Bisher hat er entschieden nach der Gesetzgebung, und die ist eben so. Aber wir sind dafür, sie muss sich ändern im Interesse der Fahrgäste. Denn gerade bei den Flugverkehren ist es so, die haben mittlerweile Fahrpläne, die können sie nur einhalten, wenn keiner ein- oder aussteigt. Da das nicht der Fall ist, haben wir mit permanenten Verspätungen zu rechnen. Das ist nicht im Interesse der Fahrgäste. Wir wollen Pünktlichkeit und wer pünktlich ist, braucht auch nicht zu bezahlen.

    Heuer: Ihre Position, Herr Cramer, ist deutlich geworden. Ich würde jetzt gerne mit Ihnen auch noch mal ein bisschen mehr zur Sache sprechen. Wenn selbst Streiks als höhere Gewalt gelten, dann wird sich die Lokführer-Gewerkschaft oder vielleicht auch die Gewerkschaft Cockpit künftig freuen, wenn Ihr Wille sich durchsetzt und auch die Fluggesellschaften betroffen sind. Das ist jedenfalls ein mächtiges Machtinstrument in den Händen von Gewerkschaften.

    Cramer: Richtig. Das Machtinstrument, das soll es auch bleiben. Streikrecht ist nach Demokratie verbrieft, das soll auch eingesetzt werden. Aber es ist dann im Interesse der Fahrgäste, denn ob ich durch einen Streik betroffen bin oder durch höhere Gewalt oder durch Verspätungen und durch die Profitgier der Unternehmen. Wenn ich einen Krankenbesuch machen will und bin darauf angewiesen, ich muss jemandem helfen und kann nicht hin, dann ist es mein Problem. Die sonstigen Konsequenzen muss ich ja so oder so in Kauf nehmen. Das hat der EuGH auch bestätigt, die anfallenden Sachkosten müssen eingeklagt werden, die sind davon nicht betroffen. Aber generell gilt: Ich habe einen Vertrag mit einem Ticket gemacht, dass ich dann auch rechtzeitig ankomme, und das muss eingehalten werden.

    Heuer: Finden Sie die Höhe der Entschädigung eigentlich angemessen? Wir sprechen ja von einem Viertel des Fahrpreises bei Verspätungen von ein bis zwei Stunden und von der Hälfte des Fahrpreises bei Verspätungen ab zwei Stunden. Ist das angemessen?

    Cramer: Das ist angemessen. Ich würde nur gerne wollen, dass das für die anderen Verkehrsträger auch gilt, im Fernbusverkehr oder im Flugverkehr. Da haben wir viel laschere Gesetze oder Vorschriften. Wir haben sie damals im Parlament hier in Europa auch beschlossen. Die gelten für alle Fahrgäste im Fernverkehr, und solche Regelungen wünsche ich mir für die anderen auch. Die sind angemessen, denn das kommt nicht oft vor. Und wie gesagt, die sollen dafür Anreiz geben, pünktlich zu sein. Auch die Bahn: Sie dürfen nicht auf dem Rücken der Fahrgäste praktisch ihre Profitinteressen ausleben.

    Heuer: Sie haben jetzt zweimal gesagt, dass das recht selten vorkommt bei der Bahn. Können Sie sagen, über welche Summen wir hier eigentlich sprechen?

    Cramer: Wenn ich das alles berechne: Ich glaube, zwei Drittel der Fahrten der Bahn haben eine Verspätung mittlerweile von mehr als fünf Minuten. Warum? Weil das so eng ist. Wir hatten Situationen, da war das noch schlimmer. Durch die Fahrgastrechte, wenn sie zahlen müssen, ist die Anstrengung der Bahn größer. Sie können nicht nur einen Ersatzzug in Kiel haben und einen in Rosenheim bei München, sondern wenn sie zwischendurch einen haben, den sie einsetzen können, falls das der Fall ist, bei Millionen Fahrgästen pro Tag, ist die Summe relativ klein.

    Heuer: Bleibt es denn jetzt sicher bei diesem Urteil, oder kann die Bahn noch versuchen, dagegen vorzugehen?

    Cramer: Nein. Das ist ein Spruch des EuGH. Das ist endgültig, da kann man sich nicht mehr gegen wehren, und das ist auch gut. Und die Bahnen sollten sich jetzt überlegen, wie sie pünktlich sein können, dann brauchen sie gar nicht zu bezahlen. Denn das ist ganz klar: Wer pünktlich fährt, wer Fahrpläne so realitätsgerecht konstruiert, der braucht überhaupt nicht zu zahlen, weil er immer pünktlich ist. Das wollen wir im Interesse der Fahrgäste und auch im Interesse der Eisenbahnunternehmen.

    Heuer: Michael Cramer, grüner Verkehrspolitiker im Europäischen Parlament. Ich danke Ihnen für das Interview, Herr Cramer.

    Cramer: Ich danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.