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"Wer sich engagiert, lebt gefährlich"

Der sozialdemokratische Außenpolitiker Markus Meckel hat sich bestürzt gezeigt über die Morde an dem russischen Menschenrechtsanwalt Stanislav Markelov und der Journalistin Anastasia Baburowa in Moskau. Eine Verbindung der Auftragskiller zur Regierung könne nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Wer in Russland staatliche Gewalt zu einem öffentlichen Thema mache, der lebe sehr gefährlich, kritisierte Meckel.

Markus Meckel im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Nach offizieller Darstellung fahnden die Ermittler in Moskau nach den Tätern, die den russischen Menschenrechtsanwalt Stanislav Markelov und die Journalistin Anastasia Baburowa in Moskau ermordet haben. Es sei zu früh, über einen Verdächtigen zu sprechen, teilte die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt mit. Markelov und Baburowa waren gestern im Zentrum von Moskau vor den Augen von Passanten erschossen worden. Die Polizei geht von einem Auftragsmord aus. Am Telefon ist der SPD-Politiker Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR. Guten Tag!

    Markus Meckel: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Meckel, was ging Ihnen zuerst durch den Kopf, als Sie von den Morden in Moskau hörten?

    Meckel: Anna Politkowskaja, die ebenfalls ermordet wurde als aufrechte Kämpferin für Rechtsstaatlichkeit und gegen den Terror in Tschetschenien - und ich habe sie selbst gekannt und habe sie als mutige Frau erlebt, auch eingeladen in internationale Zusammenhänge -, und ich muss gestehen: Ich bin entsetzt, dass nun auch Stanislav Markelov als ebenfalls aufrechter Rechtsanwalt, der all solche Menschenrechtsfälle und an Stellen - Sie haben es eben beschrieben -, wo staatliche Gewalt zu Unrecht geführt hat, auf den Punkt gebracht hat, vor Gerichten vertreten hat, ich bin einfach tief bestürzt und entsetzt und kann nur sagen, dass ich deshalb auch so entsetzt bin, weil es wieder aus diesem Umfeld kommt und man befürchten muss, dass wieder nichts herauskommt bei den Ermittlungen. Sie haben ja erlebt, wie das bei Anna Politkowskaja war, wo dann auch die Frage der Ermittlungen politisch instrumentalisiert wurde bis hin zu dem damaligen Präsidenten Putin, der eher sehr abwertend von ihr gesprochen hat. Man hat den großen Eindruck, Störenfriede in dem - leider nicht - Rechtsstaat Russland werden einfach bei Seite geräumt.

    Heinemann: Sie sagten gerade "wieder aus diesem Umfeld". Was meinen Sie damit genau?

    Meckel: Es ist das Umfeld, dass jemand, der staatliche Gewalt, insbesondere die Sicherheitsorgane kritisiert, aber eben auch sich meldet und deutlich kritisiert, wie es ja unmittelbar vor seinem Tode in dieser Pressekonferenz war, dass er die vorzeitige Freilassung dieses russischen Offiziers, der immerhin getötet und vergewaltigt hat, kritisiert hat, und sofort schlägt diese Macht zurück. So kann man jedenfalls und muss man den Eindruck haben. Das heißt, wer sich für Rechtsstaatlichkeit einsetzt, so wie er es in dieser Organisation "Vorherrschaft des Rechtes" tut, oder bis heute getan hat, wer diese Dinge öffentlich benennt, wie es Anna Politkowskaja gemacht hat, lebt lebensgefährlich in Russland. Dies ist ein furchtbares Bild von Russland selbst und man kann Russland nur dringend aufrufen, erstens natürlich mit dieser Straflosigkeit aufzuhören. Es sind ja nicht nur die großen bekannten Fälle; es passiert immer wieder, dass solche Menschen auch in der Region umkommen, erschossen werden, bei Seite geräumt werden, muss man sagen, weil sie kritisieren, dass eben keine Rechtsstaatlichkeit da ist, dass es staatliche Willkür gibt und dass, ja man muss sagen, auch bis in die Justiz hinein politische Positionen die Rolle spielen. Ich erinnere nur an den Fall Chodorkowski.

    Heinemann: Herr Meckel, gibt es denn eine offizielle russische Politik der Persilscheine für Verbrechen in Tschetschenien?

    Meckel: Natürlich wird niemand dies bestätigen können, weil dies natürlich zu offen wäre, aber leider ist die Praxis so, dass da, wo diese Fälle kritisiert werden, wo die Armee kritisiert wird, wo die Sicherheitsorgane kritisiert werden, wo das Vorgehen des Staates kritisiert wird, Journalisten unter Druck geraten. Es gibt ja kaum noch Medien, die fähig und bereit wären, solche Stimmen überhaupt zu Gehör kommen zu lassen. Wo dies geschieht, lebt man gefährlich, und dass es jetzt auch diese junge Journalistin getroffen hat, die es gewagt hat, mit diesem Mann Seite an Seite zu gehen und dies mit dem Leben bezahlt hat, das ist einfach furchtbar.

    Heinemann: Herr Meckel, Sie haben Wladimir Putin eben genannt. Schließen Sie Verbindungen zwischen diesen Verbrechen, früheren Verbrechen und der Regierung aus?

    Meckel: Ich denke, das kann man nicht ausschließen, denn diese Dimension, dass Kritiker, Störenfriede der Rechtlosigkeit, der Willkür, der Kriminalität, die immer wieder auch gerade staatliche justizielle Entscheidungen kritisieren, die deutlich machen, dass Ermittlungen politisch geführt werden, gerade diese Kritiker leben offensichtlich so gefährlich, dass dieser Zusammenhang mit Sicherheit nicht ausgeschlossen werden kann, aber er kann natürlich auch nicht behauptet werden, denn dafür fehlen bis heute die Nachweise.

    Heinemann: Zwischen 1 und 6, wie würden Sie die Lage der Menschenrechte und derjenigen, die sich in Russland für Menschenrechte einsetzen, heute benoten?

    Meckel: Das liegt schon zwischen 5 und 6 für diejenigen, die sich engagieren. Es liegt nicht so niedrig oder diese Gefahr ist nicht so hoch, wenn man sich arrangiert mit der Macht und sich um diese Fragen nicht kümmert. Aber wer engagiert die Dinge zum Thema macht, wird wie Herr Markelov dann auch dafür kämpft und sich öffentlich und in der Justiz selber dafür einsetzt, lebt sehr gefährlich.

    Heinemann: Herr Meckel, was haben Sie gedacht, als Ihr Parteifreund Gerhard Schröder Wladimir Putin als lupenreinen Demokraten bezeichnete?

    Meckel: Das war immer falsch.

    Heinemann: Haben Sie ihm das mal gesagt?

    Meckel: Aber natürlich, und dies hat auch zu viel Diskussionen und einem gewissen Zerwürfnis beigetragen.

    Heinemann: Bringt es eigentlich etwas, wenn die Bundesregierung in solchen Fällen interveniert?

    Meckel: Ich denke, dass man dies tun muss. Natürlich kann man nicht intervenieren, indem man Russland die Schuld gibt, sondern man muss dieses Klima der Straflosigkeit, dass nichts wirklich rauskommt aus Ermittlungen gerade in diesem Bereich der Fälle, dies muss man deutlich kritisieren und dazu aufrufen, dass Russland mehr tut hin zu einem Rechtsstaat. Das ist einerseits in Fragen der Menschenrechte dringend notwendig, aber es ist übrigens auch dringend notwendig, die Rechtsstaatlichkeit zu verbessern in der Frage der Bewältigung der Krise, der Finanz- und Wirtschaftskrise, die Russland schwer getroffen hat. Viele Investoren ziehen ihr Geld aus Russland ab, nicht zuletzt wegen fehlender Rechtsstaatlichkeit.

    Heinemann: Der SPD-Politiker Markus Meckel in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!