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Wer war Opfer, wer war Täter?

Die Luftangriffe der Alliierten auf Nazideutschland haben viele Städte zerstört. Vergessen darf man dabei nicht, dass der Krieg von Deutschland ausging. An der ehemaligen Hamburger Nikolaikirche entsteht nun erstmals ein Museum, das den Bombenkrieg in Europa dokumentiert.

Von Terry Albrecht | 08.08.2013
    Die St. Nikolaikirche in Hamburg ist eine Kriegsruine. Eine Kirche, die zum Mahnmal wurde. Am 1. September wird hier eine Dauerausstellung eröffnet, die den Bombenkrieg in Deutschland und Europa dokumentieren wird. Sie kontrastiert Film- und Fotoaufnahmen brennender Straßenzüge mit dem Flugblatt von Gauleiter Karl Kaufmann, in dem dieser Hamburger für ihre tapfere Gesinnung lobt. Letzte, mühsam gerettete Kleidungsstücke sind neben behördlichen Anweisungen zu sehen, die in aller Harmlosigkeit erläutern, wie man sich bei Luftalarm "richtig" verhalten soll. Zeitzeugeninterviews geben Einblicke in die Ängste und Nöte von Betroffenen. Warum entsteht erst jetzt, nahezu 70 Jahre nach dem Bombenkrieg, so ein Museum?

    "Wenn man sich den Umgang mit dem Bombenkrieg in Deutschland anguckt, stellt man fest, dass es immer wieder mal Ausstellungen, Wanderausstellungen oder einzelne Themenbereiche zum Bombenkrieg, aber keine feste Einrichtung sich diesem Bombenkrieg annimmt. Das liegt im Thema selbst begründet, weil es so schwierig ist und in jeder Hinsicht sperrig, dass es wahrscheinlich jetzt die 70 Jahre brauchte, dass es zu einem Museum kommt","
    sagt der Historiker Professor Malte Thießen von der Universität Oldenburg. Er forscht seit Jahren zum Thema Luftkrieg und hat an der konzeptionellen Gestaltung der Ausstellung mitgearbeitet. Aussagen vieler Zeitzeugen, die er in oral-history-Projekten selbst befragt hat, werden im Museum nachzulesen und zu hören sein.

    ""Ein Museum zum Bombenkrieg ist erst mal ein großes Problem, das in dem Thema selbst steckt. Der Bombenkrieg ist ja hochmoralisch aufgeladen. Hat eben das Problem, dass man mit einer Auseinandersetzung mit dem Bombenkrieg in Gefahr geraten könnte, nur die Deutschen als Opfer zu zeichnen, die deutsche Schuld zu relativieren, Zusammenhänge aus dem Nationalsozialismus auszublenden. Und dieses Museum ist ein guter Ansatz, weil es versucht den Bombenkrieg als vielschichtige Geschichte nachzuzeichnen, verschiedene Perspektiven, Schlaglichter dieses Ereignisses in einer Ausstellung zusammenzubringen."

    In der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Themas sieht Thießen jetzt auch eine große Chance den Bombenkrieg in seinem historischen Zusammenhang zu zeigen – nicht nur für Historiker.

    "Es soll tatsächlich für die ganz breite Öffentlichkeit sein. Der Bombenkrieg wird hier nicht isoliert als ein Ereignis dargestellt, das sozusagen über die Stadt hereinbricht, sondern dieser Bombenkrieg hat eine Vorgeschichte und die spielt im Museum eine große Rolle – die Ereignisse seit ‘33, aber auch die Vorgeschichte im Zweiten Weltkrieg, dass den Bombardierungen Hamburgs, Kölns, andere Bombardierungen vorausgingen, auf Warschau, auf Coventry auf andere Städte. Auch das wird in dieser Ausstellung gezeigt, um den Luftkrieg in seinen großen Zusammenhang zu stellen."

    Die Tatsache, dass der Luftkrieg von Deutschland ausging, wurde in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg von vielen Deutschen verdrängt. Thießen stellt fest, dass sich die Erinnerungskultur seit den späten 90er Jahren stark verändert hat.

    "Generell steht uns allen ja eine Entwicklung vor Augen, nämlich das Aussterben der Zeitzeugen. Das heißt, die Zeitzeugen, die wir heute befragen, das sind eigentlich schon die sogenannten Kriegskinder, die diese Ereignisse des Zweiten Weltkriegs nur noch als Fünf- bis Zwölfjährige erlebt haben. Ich glaub, das wirkt sich auf die Erinnerung aus. Das heißt, im Gegensatz zu früheren Befragungen, wo auch sehr problematische Erinnerungen kamen, sehr anklagende, sehr einseitige Erinnerungen, sind heutige Erinnerungen von Zeitzeugen erstaunlich differenziert. Das heißt, es sind Zeitzeugen, die schon Jahrzehnte mit diesen Ereignissen auseinandergesetzt haben und die eben selbst, obwohl sie sehr schreckliche Erlebnisse durchgemacht haben, es schaffen, das einzubetten in Gesamtzusammenhänge und sich mit dieser Geschichte durchaus auch kritisch auseinanderzusetzen."

    Zudem hat mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1989/90 die Erinnerungskultur in der neuen Bundesrepublik eine Veränderung erfahren, die sich auch auf die Debatte um den Luftkrieg ausgewirkt hat.

    "Nach 1989/90 fragt sich die deutsche Gesellschaft eben auch, welchen Stellenwert haben die Deutschen als Opfer in dieser Erinnerungskultur. Und diese Debatten sind beim Bombenkrieg immer besonders aufgeladen, wie man um 2002/2003 in der Debatte um Jörg Friedrichs "Der Brand" sehen kann, das ja selbst in Großbritannien für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Tatsächlich ist in den letzten zehn Jahren oft der Tonfall zu hören, dass man mit der Erinnerung an den Bombenkrieg ein Tabu brechen würde. Und diesen Gestus eines Tabubrechers hat Jörg Friedrich auch sehr geschickt bedient. Und dieser Tabubruch war verbunden mit einer impliziten Anklage gegenüber den Briten, dass diese Bombardierungen eben Kriegsverbrechen gewesen seien, dass es keine kritische Auseinandersetzung gegeben habe und dass man an die Deutschen als Opfer nie habe erinnern dürfen."

    Diese Position des Tabubruchs, so Thießen, ist in den letzten zehn bis 15 Jahren sehr intensiv diskutiert worden und hat zu einer starken moralischen Aufladung dieses Themas geführt. Zugleich warf die wissenschaftliche Debatte eine neue, grundlegende Frage auf: War der Bombenkrieg in der Erinnerung der Deutschen wirklich ein Tabu?

    "Tatsächlich kann man sogar das absolute Gegenteil behaupten. Der Bombenkrieg war nie ein Tabu, sondern umgekehrt, der Bombenkrieg war in deutschen Städten der Aktivposten überhaupt. Wenn man sich in deutschen Städten umguckt, können sie sehen, dass von Beginn an in den 50er, schon in den 40er Jahren sich die Bürger der Stadt immer wieder an den Bombenkrieg erinnerten, in Gedenkveranstaltungen, in Denkmalsetzungen, in Zeitungsserien und das ist ja auch nachvollziehbar. Die Zerstörungen des Bombenkriegs waren in den deutschen Städten präsent, waren ein Dauerthema, weil sie die Lebensverhältnisse so grundlegend veränderten, dass man sich damit auseinandersetzen musste."

    Es gibt aber noch eine zweite Erklärung dafür, dass die Bombenkriegserinnerungen nie ein Tabu waren, sondern sehr viel diskutiert wurden. Sie halfen, das ihnen zugrunde liegende Terrorregime der Nationalsozialisten zu verdrängen.

    "Die Erinnerung an den Bombenkrieg als eine Art Stunde Null, nach der man eben zusammengestanden ist und zusammen aufgebaut hat. Das heißt, mit den Erinnerungen an den Bombenkrieg verbinden sich durchaus auch positive Sinnstiftungen. Man kann eigene städtische Mythen und Legenden an diese Bombenkriegserinnerung knüpfen und damit eben auch andere Aspekte an diese Zeit, zum Beispiel den Nationalsozialismus eher ausblenden. Auch daher erklärt sich, dass die Bombenkriegserinnerung durchaus ein Aktivposten war und zwar nicht erst seit den letzten zehn, 15 Jahren, sondern eigentlich schon immer."

    Kritik übt Thießen in diesem Zusammenhang an der eigenen Zunft, den Geschichtswissenschaften. Das Feld Bombenkrieg wurde viel zu sehr dem verengenden Blick einiger weniger Spezialhistoriker überlassen.

    "Es ist vielleicht eine Erklärung dafür, dass das Thema in der Öffentlichkeit zum Teil als Tabu wahrgenommen worden ist, dass die Geschichtswissenschaft sich mit diesem Thema eher zögerlich auseinandergesetzt hat. Der Bombenkrieg war immer ein Thema, insbesondere unter Lokalhistorikern, auch zum Teil unter Militärhistorikern, aber eigentlich sind erst in den letzten fünf bis zehn Jahren umfangreichere Studien entstanden, kann man ein Interesse der Geschichtswissenschaft feststellen, dieses Thema nicht nur als einzelnes lokalgeschichtliches Thema zu sehen, sondern als eine Gesellschaftsgeschichte zu schreiben.

    Das heißt der Luftkrieg, diese umstürzende Erfahrung, die die Gesellschaften verändert - und zwar nachhaltig verändert - als einen grundsätzlichen gesellschaftlichen Prozess zu beschreiben. Dietmar Süß hat da vor zwei Jahren eine sehr gute Studie vorgelegt: ‚Tod aus der Luft‘, die den Luftkrieg heraushebt aus einem sehr verengten Blick einer Militärgeschichte oder rein lokalgeschichtlichen Perspektive und als Gesellschaftsgeschichte nachvollziehbar macht."

    Diese Entwicklung versucht das neue Hamburger Museum in seiner Ausstellung nachzuvollziehen.

    "Das Museum ist wirklich eine ganz große Chance, die Erfahrungen der Opfer für sich ernst zu nehmen, trotzdem eben nicht für sich vereinzelnd stehen zu lassen, sondern einzuordnen in andere Erfahrungen, in andere Erlebnisse anderer Opfergruppen und in einen Zusammenhang zu setzen mit historischen Wurzeln, die eben auch zu diesem Ereignis geführt haben. Deshalb ist es, glaub ich, wirklich eine Art Integration des Bombenkriegs in die Gesamtgeschichte, eine Integration, die jetzt nach 60, 70 Jahren auch dringend notwendig wird."