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Werke von Siri Hustvedt
Das gefaltete Selbst

Die amerikanische Kult-Autorin und Feministin Siri Hustvedt schreibt Bücher, in denen sich Themen der Geistes- und Naturwissenschaften mit Fragen nach der eigenen Persönlichkeit verknüpfen. Eine anspruchsvolle Identitätsforschung ist auch ihr neuer Roman "Damals".

Von Angela Gutzeit | 02.06.2019
Will wissen, was der Mensch ist: Die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt
Will wissen, was der Mensch ist: Die US-amerikanische Schriftstellerin Siri Hustvedt (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
Die Protagonistin in Siri Hustvedts neuem Roman "Damals" ist die Ich-Erzählerin S.H.. Sie kommt aus Minnesota, ist norwegischer Abstammung, hat über Charles Dickens promoviert und lebt in New Yorks Stadtteil Brooklyn. Im Alter schaut sie zurück auf die Jahre 1978/79, auf sich selbst als angehende Schriftstellerin und auf ein New York, das sie einst elektrisierte und das es so nicht mehr gibt.
"Und so komme ich in der Stadt an, von der ich geträumt habe, seit ich acht war, die für mich aber ein böhmisches Dorf ist. Und so komme ich in der Stadt an, die ich in Filmen gesehen und von der ich in Büchern gelesen habe, der Stadt, die New York ist, aber auch andere Städte: Paris, London oder St. Petersburg, die Stadt des Glücks und Unglücks des Helden, ein reale Stadt, die auch eine imaginäre ist."
Es ist nicht das erste Mal, dass die amerikanische Star-Autorin in ihren Romanen bewusst autobiografische Spuren legt, um dann das Reale mit dem Imaginären zu vermischen. Rückbindungen an die autobiografische Wirklichkeit gab es sowohl in "Was ich liebte" von 2002 wie in "Der Sommer ohne Männer", 2011. Noch nie war allerdings eine Romanhandlung so eng mit dem eigenen Leben Hustvedts verknüpft wie in "Damals". "Life-Writing"- diesen Begriff schlägt die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen für Hustvedts Verfahren vor, sich selbst auf dem Papier "als einen Anderen zu sehen". Nachzulesen in dem gerade erschienenen Interviewband "Siri Hustvedt. Wenn Worte auf Gefühle treffen". Hustvedts Antwort:
"Ich habe den Begriff »vertrauter Fremder« für das »Ich« auf der Seite geprägt, weil der Schreibende weiß, dass es von ihm kommt, und doch so, wie es da auf dem Blatt Papier steht, fremd ist, nicht mehr nur seines. ‚Life-Writing‘ ist ein demokratischer Begriff, da er alle Textsorten umfasst (…)"
"Life-Writing"
In ihrem Fall Romane, Essays, wissenschaftliche Abhandlungen und Vorträge, die sich thematisch überlagern. Neurologie, Psychoanalyse, Kreativität, Bildende Kunst, Philosophie, Literatur und Schreibverfahren sind die dominierenden Felder, auf denen sich die feministisch geprägte Autorin bewegt. Eingeschrieben sind ihnen Fragen, die um die Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit der Frau, des Weiblichen in Kunst und Wissenschaft kreisen – verbunden mit dem, wie sie es nennt, "Geist-Körper-Problem". Dabei ist in ihren Arbeiten häufig das "Ich" der Ausgangspunkt subjektiver Erfahrung, ein "Ich", das sich in Hustvedts fiktionalem Text "Damals" zu sogenannten "multiplen Selbsten" auffaltet. Literarische Figuren sind demnach Verkörperungen des eigenen bewussten wie unbewussten Selbst, verwandelt in ein Narrativ. Im neuen Roman "Damals" tritt ein 61-ähriges Schriftstellerin-Ich dem eigenen früheren, 23-jährigen Ich entgegen.
"(Ich) bin daran interessiert, zu verstehen, wie sie und ich miteinander verwandt sind, was eine Kehrtwende bedeutet, um dem Zeitpfeil in die entgegengesetzte Richtung zu folgen, da ich mir Zeit nicht ohne räumliche Metaphern vorstellen kann – nicht ohne Rückwärts und Vorwärts, ohne Wege hinter mir und vor mir, während ich sie durchschreite…"
Dieses Rückwärts und Vorwärts in der Zeit ist ein konstitutives Verfahren in diesem Buch, allerdings in seiner Anwendung – wie zu zeigen ist - alles andere als überzeugend.
Stimmen von nebenan
Dabei ist der Plot zunächst vielversprechend. S.H. kommt, mit einem Romanprojekt im Kopf, aus der provinziellen Enge Minnesotas in das wilde, aufregende New York und bezieht ganz allein im heruntergekommenen Morningside Heights ein dürftiges Appartement. Sie will einen Roman schreiben, wird aber ständig abgelenkt durch eine seltsame Frauenstimme, die durch die dünnen Wände dringt. Ihre Nachbarin ergeht sich in Tiraden, Klagegesängen, wechselt die Stimmlagen, schreit, schluchzt und weint. Die junge Frau auf der anderen Seite der Wand kann sich dieser Stimme immer weniger entziehen, schließlich lässt sie sich von ihrem Arzt-Vater ein Stethoskop schicken, um mit zunehmender Beunruhigung an der Wand zu lauschen.
"Geh nicht da rein. Geh nicht. (Harte leise Stimme). Warum kannst du nicht aus der Küche bleiben? (Pause).Sie schrie, darum. Stürzen. (Pause). Sein Gesicht. Nein. Entsetzt. (Pause). Er hätte sie packen können. Sag es. Ich kann’s nicht sagen. Rennen. Der Aufzug. Ich muss es sagen. Ich muss es sagen. Sieh hin. Sieh nicht hin. Es war ein Unfall. Nein, Lucy, du denkst, du weißt es. Aber was weißt du denn? (Tiefe, schleppende Stimme) Dr. Stone, ich weiß es nicht. (Hohe, falsche Kleinmädchenstimme) Wenn du darüber redest, Lucy … (Wieder tief) Ich rede ja jetzt darüber, alter Esel! (Zwölf Sekunden Schweigen) (…) Wein nicht. Ich weine nicht. (…) (Hustenanfall, Gemurmel, Schritte, das Klicken des Fernsehers. Sirenengeheul im Fernsehen)."
Der Moloch New York
Ist die ihr unbekannte Nachbarin namens Lucy Brite vielleicht verrückt? Wird sie bedroht oder probt sie ein Theaterstück? Spricht sie von einem Unfall oder einem Verbrechen? Festgehalten sind diese skurilen Hörerlebnisse in einem Tagebuch, das die junge S.H. einst führte und im Haus ihrer zunehmend dementen Mutter wiederfindet. Hier notierte sie, sie habe in ihrer grenzenlosen Beunruhigung Freunden von dieser Lucy Brite erzählt, die mit wachsender Anteilnahme und Belustigung ihre unterschiedlichen Erklärungen zu den zumeist nächtlichen Darbietungen beisteuerten. Das hat Witz und atmosphärische Dichte. Zumal das unerklärliche Treiben hinter der Wand sich im Bewusstsein der jungen Frau mit der Fremdheit des Großstadtdschungel mischt. Der Moloch New York überfordert sie. Ihr geht das Geld aus, sie hungert, holt sich Nahrung aus Abfallkörben, wird beinahe vergewaltigt, beschafft sich dubiose Jobs, findet aber nach und nach auch Zugang zu illustren intellektuellen Kreisen. Dass die Lucy-Brite-Geschichte aber schließlich ihre Erklärung findet in einem esoterischen Hokuspokus, mit dem die Nachbarin ihr Leiden zu kompensieren versucht, das sie durch Mann und Sohn erfuhr, nimmt ihr entschieden den ursprünglichen Reiz.
Das "Origami"-Prinzip
Diese Tagebucheintragungen bilden einen eigenen Erzählstrang, eine Strategie, die man bereits aus Hustvedts Roman "Die Leiden eines Amerikaners" kennt. Hinzutreten als weitere Ebene kursiv abgesetzte Textfragmente aus einem ersten Romanversuch der jungen Ich-Erzählerin. Eine Art Detektivgeschichte, in der zwei junge Menschen in der Manier von Sherlock Holmes und Dr. Watson ein Verbrechen aufklären wollen. Nicht nur wiederholen sich im Namen von Arthur Canon Doyles Meisterdetektiv die Anfangsbuchstaben S.H. der Protagonistin. Das ständige Wechseln der Ebenen – zwischen den mysteriösen Ereignissen im Romanversuch, den Tagebucheintragungen mit der Lucy-Brite-Geschichte und den Erinnerungen der alternden S.H. an ihr früheres Selbst - zielt auf Spiegeleffekte. Ein Hin- und Her-Switchen, das Siri Hustvedt im Gespräch mit Elisabeth Bronfen als "Origami", als "dimensionale Faltungen" bezeichnete.
Das hört sich - wie immer bei Hustvedt – sehr ambitioniert an. Dieses sogenannte Origami-Prinzip jedoch nutzt sich hier im Zuge der Anwendung sehr schnell ab. Und dann wird es mühsam, sich weiterhin durch das Hustvedt’sche Romandickicht zu schlagen. Das jüngste Werk der ansonsten geschätzten Autorin ist leider völlig überkonstruiert und zudem thematisch überladen: New York, Minnesota, Überlegungen zur Zeit, zur Ästhetik, zu Körper-Seele-Traum-Theorien, Frauenschicksale, Künstlerinnendasein. Alles drin. Vor allen Dingen aber nervt in diesem Buch der geradezu obsessive Gestus des Nachfragens und Reflektierens, der die Handlung ständig unterbricht. Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten – im Freud’schen Dreierschritt geht es durch den Text wie in einem therapeutischen Analyseverfahren, das auch vor dem Leser bzw. der Leserin nicht haltmacht.
"Kann die Vergangenheit als Versteck vor der Gegenwart dienen? Ist dieses Buch, das Sie gerade lesen, meine Suche nach einem Ziel, das Damals heißt? Sagen Sie mir, wo die Erinnerung endet und die Erfindung beginnt? Sagen Sie mir, warum ich Sie als Reisegefährtin brauche, als meine jeweils liebe und launische Andere, meine Partnerin für die Dauer des Buchs?"
Und noch eine Kostprobe:
"Vergessen wir nicht, dass die Erinnerung immer in der Gegenwart stattfindet. Vergessen wir nicht, dass die Erinnerung jedes Mal, wenn wir sie aufrufen, eine Veränderung erfährt, aber vergessen wir auch nicht, dass diese Veränderungen auch Wahrheiten mit sich bringen können."
Die Abwertung des Weiblichen
An dieser Stelle ein kleiner Exkurs: Aus ihren zahlreichen Essays wissen wir, dass sich Siri Hustvedt über Jahrzehnte hinweg mit Psychoanalyse, Psychosomatik, mit Hysterie und Migräne, mit dem Gehirn-Geist-Welt-Verhältnis beschäftigt hat, verbunden mit philosophischen Fragen wie "Was ist der Mensch?", Was ist Denken?" und immer begleitet vom Nachdenken über das Geschlechterverhältnis und die Gründe für die Abwertung der Frau als Künstlerin, Schriftstellerin und denkender Mensch.
Daraus hat sie lesenswerte Schlüsse gezogen, nachzulesen in zahlreichen Veröffentlichungen wie den Essaybänden "Eine zitternde Frau", "Die Illusion der Gewissheit" oder dem ebenfalls gerade erschienenen Buch "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen". Immer wieder geht es ihr dabei um die Problematisierung willkürlicher Trennungen, die zu unheilvollem Denken geführt hätten, wie sie in dem eben erwähnten neuen Essayband an einem Beispiel ausführt:
"Bei meinen Ausflügen in die Welten der Naturwissenschaft traf ich immer wieder auf die Adjektive "hart" und "weich" oder "präzise" und "schwammig" . "Weich" und "schwammig" sind Begriffe, die nicht nur für schlechte Wissenschaftler verwendet werden, deren Methoden, Recherchen und Argumente nicht standhalten, weil sie nicht scharf denken können, sondern auch für Menschen, die in den Geisteswissenschaften tätig sind, und für Künstler aller Art. Was macht präzises Denken aus? Ist Zweideutigkeit gefährlich oder befreiend? Warum werden die Naturwissenschaften als hart und maskulin betrachtet, die Künste und Geisteswissenschaften dagegen als weich und feminin?"
Und in einem Aufsatz über Susan Sontag und deren Vorlesung "On Classical Pornógraphy" schreibt Hustvedt über Kunst, Körper und Geschlecht:
"Desinteressierte, formale Kunstbetrachtungen –Analysen ästhetischer Objekte als Dinge, die keine Beziehung zum Körper des Betrachters oder des Lesers haben – sind absurd. Sie sind aus der Furcht geborene theoretische Ausflüchte, Furcht vor dem sexuellen Begehren und dem manchmal verzweifelten menschlichen Bedürfnis nach einem Anderen. Wir alle, Männer und Frauen, mit unseren vielfältigen sexuellen Gelüsten, Sehnsüchten und Wünschen sind keine Wesen, die in Geist und Körper entzweigeschnitten werden können, wie das fortbestehende kartesianische Erbe es will…"
Unergründliche Grauzonen
Nicht das Gegensätzliche stehe im Zentrum ihres Denkens, sondern das Verbindende. Im Gespräch mit Elisabeth Bronfen spricht Hustvedt von ihrem Interesse an Zwischen-Zuständen mit ihren unergründlichen Grauzonen wie sie sich in Halluzinationen, in Träumen und in Erinnerungen äußern. Sie sei eine "Sammlerin von Theorien der Zwischenheit" – in Einklang mit Martin Bubers Idee von einer "dritten Präsenz, einer zwischen Menschen entstehenden ontologischen Wirklichkeit und in Einklang mit Freuds Übertragung und Winnicotts Möglichkeitsraum."
Der englische Psychoanalytiker und Kinderarzt Donald Winnicott wie auch zum Beispiel dessen Landsfrau, die Naturphilosophin und Dichterin Margaret Cavendish, die bereits im 17. Jahrhundert die Meinung vertrat, belebte und unbelebte Materie, Denken und Fühlen gehörten zusammen, sind in Hustvedts Büchern immer wiederkehrende Gewährsleute für ihr ganzheitliches und feministisches Denken. In ihrem Roman "Die gleißende Welt" diente Margeret Cavendish als Vorbild für ihre Heldin Harriett Burden. Hier ging es um das Künstlerinnendasein in einer von Männern geprägten Welt und um das Vorurteil, Frauen wären für die Schöpfung kultureller Objekte nicht geeignet.
Dieses Thema wird auch im neuen Roman "Damals" wieder aufgenommen. Auch findet die englische Naturphilosophin Erwähnung – neben vielen anderen wie Simone de Beauvoir, Mary Shelley oder Louise Bourgeois. Das junge weibliche Ich versucht sich nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den Werken dieser Frauen die in New York erlebte Wirklichkeit zu erklären, vor allen Dingen ihre Beziehung zu Männern - und deren Verhältnis zur ihr als Intellektuelle. Was wiederum von der älteren S.H. aus dem Abstand von 40 Jahren kommentiert und reflektiert wird. Eine besondere Rolle in all dem Gewimmel von Namen, Anspielungen und Verweisen nimmt dabei die historische Figur der Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven ein. Eine schräge Gestalt des Dadaismus, in ihrem Auftreten vielleicht mit Else Lasker Schüler vergleichbar. Sie soll die Schöpferin des Urinals gewesen sein, das Marcel Duchamp später als eines seiner Readymades für sich reklamierte.
"Die Baroness ist eine Wiedergängerin, (…). Ihre geheimnisvolle Geschichte ist mit meiner und mit Lucys und mit denen vieler anderer verbunden, den Geschichten all der Mädchen und Frauen, die ihres Verstandes und ihrer Werke beraubt wurden. Das weiß ich jetzt. Ich brauchte sie damals. Ich brauche sie noch immer. (…) Sie wusste, sie war eine Faust im Gesicht, ein Knie zwischen den Beinen, eine Lachbombe. Sie war Kunst aggressiv. Sie wusste, dass die Welt starke Männer liebt und starke Frauen hasst. Stimmt das? Ja, es stimmt. Die Baroness wurde aus der Geschichte herausgeschrieben, und das, mein Freund, ist Mord."
Machos und arrogante Schnösel
Was in diesem jüngsten Roman der Schriftstellerin, Essayistin und Wissenschaftlerin überhandnimmt, ist eine gewisse Bildungshuberei, die sich unter anderem in einer Überladung mit Exkursen in Wissensgebiete zeigt, auf denen Hustvedt als Essayistin durchaus zu brillieren versteht. In diesem Text aber hängen theoretische Abschweifungen, Einlassungen, Reflexionen und dieses ständige Hinterfragen wie Bleigewichte an einer eigentlich erzählenswerten Geschichte. Die Geschichte einer Erinnerung an eine junge Schriftstellerin im New York der 70er Jahre. An eine junge Frau, die sich durchbeißen muss und dabei skurile Dinge erlebt. An eine Intellektuelle, die sich vor allen Dingen behaupten will in einem Kunst-, Literatur- und Wissenschaftsbetrieb, der fest in männlicher Hand ist. Aber auch gerade in diesem Hustvedt doch so überaus wichtigen Punkt liefert der Roman leider keine überzeugenden Ansatzpunkte. Ganz im Gegenteil. Auf welchem Stand befindet sich das feministische Denken einer Autorin, die in ihrem Roman fast alle Frauen als Opfer darstellt? Als Opfer von Männern, die sie misshandeln, ausbeuten oder belächeln. Für S.H. reiht sich eine frustrierende Erfahrung an die andere. Ihre Männer-Bekanntschaften entpuppen sich als gewaltbereite Machos oder arrogante Schnösel. Ein Jeff versucht sie in ihrem Appartement zu vergewaltigen, bis die geheimnisvolle Lucy von nebenan einschreitet. Ein Malcom redet von Foucault, schläft mit ihr, aber ignoriert vollständig ihre Interessen und ihre Ambitionen.
"Ich, S.H., die unersättliche Studentin aller Bibliotheken, las jeden Band, den er mir empfahl, seine geschätzte Schizo-Culture und all die Bücher seines Svengali, Michel Foucault, sämtlich in englischer Übersetzung, aber auch Batailles "Die Geschichte des Auges", Sacher-Masochs Venus im Pelz (…). Er las keines von den Büchern, die ich liebte - eine Wahrheit, die erst heute die Alarmglocken schrillen lässt."
Täter-Opfer-Schema
Ohne Frage hat das Problem der Abwertung des Weiblichen Relevanz. Und in ihren Essays verfolgt Hustvedt die Ausprägungen und Folgen dieser Abwertung in Wissenschaft, Kunst und Kultur in ihrer historischen Dimension überaus facettenreich und überzeugend. Aber in ihrem aktuellen Roman verzwergt das Problem durch die ständige Wiederholung des immer gleichen Opfer-Täter-Schemas zum Klischee. Die Selbstbehauptung der Frau reicht zumindest in diesem Buch nicht über Abwehren, Schämen und sich Empören hinaus. Auch die Aggressivität der Baroness, die sich in Hustvedts eigenhändiger Titelzeichnung versinnbildlicht – eine himmelwärts auffliegende nackte Frau mit einem Dolch in der Hand – ist letztendlich doch nur eine Geste der Hilflosigkeit.
So ist dieser neue Roman der feministischen Kult-Autorin Siri Hustvedt eher eine Enttäuschung. Lesenswert allerdings die beiden gleichzeitig erschienenen Bände, der Interviewband mit Elisabeth Bronfen und der neue Essay- und Vortragsband über "Kunst, Geschlecht und Geist", wie der Untertitel lautet. Beide Bücher führen tief hinein in den Denk- und Wissenskosmos einer gelehrten Autorin, die weit über die Vereinigten Staaten hinaus eine große Leserschaft hat.
Siri Hustvedt: "Damals"
Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg. 448 Seiten, 24.- Euro.
Siri Hustvedt: "Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen" Essays über Kunst, Geschlecht und Geist.
Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg. 525 Seiten, 26 Euro.
Siri Hustvedt: "Wenn Gefühle auf Worte treffen" Ein Gespräch mit Elisabeth Bronfen.
Aus dem Englischen von Grete Osterwald.
Kampa Verlag, Zürich. 304 Seiten, 22 Euro