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Embedded Journalists
Berichten unter Aufsicht der russischen Armee

"Embedded journalism" wird, seit er im Irakkrieg erstmals möglich war, immer wieder kritisch diskutiert. ZDF-Reporter Winand Wernicke war vier Tage lang als embedded journalist mit der russsischen Armee im Donbass unterwegs. Im Interview beschreibt er, wie es dazu kam.

Winand Wernicke im Gespräch mit Bettina Schmieding |
ZDF Russland-Reporter Winand Wernicke
ZDF-Reporter Winand Wernicke, Screenshot aus "heute live" (ZDF)
"Eingebettete Journalisten" - Embedded Journalists: Erstmals tauchte dieser Begriff im Zusammenhang mit dem Irakkrieg 2003 auf. Einheiten des US-Militärs nahmen damals rund 600 Medienschaffende in ihre Reihen auf, damit die aus unmittelbarer Nähe über die Kriegshandlungen berichten sollten. Ihnen wurde zugesagt, unabhängig berichten zu können, sie mussten sich allerdings an militärische Regeln halten und zuvor eine Art Bootcamp durchlaufen, das sie körperlich und psychisch vorbereiten sollte.
Während der Kriege am Golf und in Afghanistan war die US-Regierung zuvor für schlechte Informationspolitik gegenüber den Medien kritisiert worden. Das sollte sich mit der Möglichkeit des "embedded Journalism" nun ändern. Später begleiteten deutschsprachige Medienschaffende beispielsweise auch Einheiten der Bundeswehr bei ihren Einsätzen in Afghanistan.

Fußballfans und Vatikan-Follower

Auch in anderen Bereichen wird seitdem "embedded journalism" praktiziert - selten ohne Kritik. So galt die Berichterstattung über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft während der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien als zu wenig neutral, und auch die den Papst auf seinen Reisen begleitenden Reporter wurden zeitweise als "Vat-Pack" bezeichnet.
Die Berichtenden seien "embedded" zu nah am Objekt, lautet stets die Kritik. Zu sehr beeinflusst von denen, über die sie eigentlich neutral berichten sollen - und auch deren Emotionen. Häufig kritisiert wird die Gefahr des „capture-bondings“: Wenn eingebettete Journalisten auch aufgrund der ungewohnten Gefahrensituation übersteigertes Mitgefühl mit den Truppen entwickeln – ähnlich dem bekannten „Stockholm-Syndrom“ bei Geiselnahmen.
Für das ZDF war Reporter Winand Wernicke vier Tage lang eingebettet in die russische Armee. Begleitet von russischen Soldaten wurde er durch die Region Donbass in der Ostukraine geführt, bekam zerstörte Häuser zu sehen und konnte mit Bewohnern sprechen. Das Militär sei dabei immer anwesend gewesen, sagt Wernicke - dennoch habe er versucht, zu erfahren, wie es den Menschen im Donbass geht. Wernicke war ab 2014 einige Jahre ZDF-Studioleiter in Moskau, heute ist er in der Redaktionsleitung der ZDF-Tagesmagazine.
Das Interview mit Winand Wernicke in voller Länge:
Bettina Schmieding: Herr Wernicke, wie ist es überhaupt zu dieser Reise als "embedded journalist" mit der russischen Armee gekommen?
Winand Wernicke: So weit ich weiß, gab es mittlerweile, vom russischen Verteidigungsministerium organisiert, sieben Reisen in die Regionen, wo Journalisten mitgenommen wurden. Wir wurden gefragt, ob wir Interesse haben. Also, wir waren nicht diejenigen, die das betrieben haben. Das war dann ein wirklich längerer Abwägungsprozess mit allem Für und Wider. Und dann haben wir nach Abwägung zugesagt.
Schmieding: Waren noch andere Medien dabei außer dem ZDF?
Wernicke: Von den westlichen Medien war auch noch jemand dabei. Aber ansonsten hat das russische Verteidigungsministerium immer nur Kontakte zu prorussischen Bloggern aus dem westlichen Ausland, zu russischen Medien und ähnlichen. Es ist ihnen klar, dass sie damit im Westen überhaupt nicht gehört und gesehen werden. Es gehört zur Wahrheit dazu, dass die da natürlich eine Öffentlichkeit herstellen wollen. Das war so eine Gruppe von 30 bis 35 Leuten, und davon waren wir das einzige westliche Kamerateam.
Schmieding: Das würde ja bedeuten, dass die Russen denken, wenn sie jemanden vom ZDF mitnehmen, dann wird er schon so berichten, dass es zumindest nicht schädlich ist für die russische Öffentlichkeitsarbeit.
Wernicke: Ich glaube, den Vertretern der Pressestelle und des Verteidigungsministeriums ist klar, dass wir nicht so berichten, wie prorussische oder kremlnahe Medien. Ihre Argumentation ist, dass sie verhindern wollten, dass "Fake-News" aus der Region berichtet würden, weil keiner es gesehen hat. Es ist ja nicht ungewöhnlich, dass embedded berichtet wird weltweit, seit vielen Jahren. Und dass es immer das Interesse der jeweils organisierenden Militärs ist, dass da ein möglichst positives Bild aus deren Sicht transportiert wird, ist auch klar. Aber die wissen schon, dass wir nicht kremlnah berichten. Und das ist auch in Ordnung.
Prorussische Streitkräfte Anfang Juli auf einer Straße in Lyssytschansk
Prorussische Streitkräfte Anfang Juli auf einer Straße in Lyssytschansk in der Ostukraine (imago / SNA / Viktor Antonyuk)
Schmieding: Mussten sie einen Vertrag mit der russischen Armee unterschreiben?
Wernicke: Nein, dann wären wir auch nicht gefahren.
Schmieding: Gab es irgendwelche Auflagen seitens der Armee?
Wernicke: Nur, was was die Sicherheit angeht. Es ist ein Krisengebieten, in dem bis vor wirklich allerkürzester Zeit heftige Gefechte und Kämpfe waren. Das bedeutet, auch aus eigenem Interesse sollte man sich an die Auflagen halten: nicht in Bereiche zu gehen, die noch nicht geräumt waren, die nicht abgesperrt waren. Das ist das Einzige, was gesagt wurde: Haltet euch an die Sicherheitsauflagen, die wir euch machen. Und das haben wir auch getan.
Schmieding: Das heißt, Sie konnten mit Ihrer Kamera überall hin im Rahmen dieser Sicherheitsvorgaben?
Wernicke: Ja, und wir konnten auch jeden interviewen, der da gerade entlang kam.
Schmieding: Wie haben die Menschen auf Sie reagiert? Denen muss ja bewusst gewesen sein, dass Sie quasi ein Begleitkonvoi für die russische Armee sind.
Wernicke: Ja, das ist nicht zu übersehen. Da sind ja auch bewaffnete russische Soldaten dabei, die in dieser Region tatsächlich die Aufgabe haben, darauf aufzupassen, dass diesen Journalisten nichts passiert. Jeder, der diese Gruppe sieht, sieht, dass da etwas von russischer Seite kommt. Es ist völlig klar, dass die Leute ein wenig ihre Worte wägen, wenn sie diesen Trupp sehen.
Auf der anderen Seite gab es auch Leute, die relativ offen geantwortet haben. Sie sind ja im Moment mit existenziellen Dingen beschäftigt. Wenn man durch Lyssytschansk geht, wo kein Wasser, kein Strom, kein Abwasser, kein Essen ist, dann ist es genau das, was sie einem auch spiegeln. Insofern haben wir da schon einen Einblick in die Not und das Elend der Menschen bekommen.
Schmieding: Ich kann mir vorstellen, dass es für Sie als Journalist nicht einfach war, so eine Reise zu machen. War das eine Gratwanderung?
Wernicke: Embedded sein ist, glaube ich, immer eine Gratwanderung - wo man sich sehr bewusst sein muss, dass man das tut. Als Studioleiter des ZDF war ich auch schon zweimal mit der russischen Armee in Syrien gewesen und habe mir das angeguckt. Insofern war das auch nicht das erste Mal, dass ich das erlebt habe. Die Bedingungen, unter denen wir gearbeitet haben, waren ganz ähnlich wie in Syrien.
Winand Wernicke sitzt am Schneidetisch im ZDF-Studio
Winand Wernicke 2014, als damaliger ZDF-Studioleiter in Moskau (picture alliance / dpa)
Die Gratwanderung besteht natürlich darin, dass man sich bewusst ist - und das auch so transparent wie nur irgend möglich machen muss - dass es nicht das normale journalistische Arbeiten ist, wie wir es sonst machen: dass wir irgendwohin fahren, ob wir berichten wollen, dass wir aussuchen, wann wir wo sind. Das ist, wenn man embedded unterwegs ist, nicht so - und das liegt nicht nur an der russischen Seite. Das ist aber auch auf der ukrainischen Seite, wenn ich zur Front will, nicht so. Ich kann da auch nicht mit dem Taxi hinfahren. Insofern will ich da überhaupt keine Gleichsetzung machen - aber die Bedingungen sind einem bekannt, und man muss sie eben transparent machen.
Schmieding: Sie haben ja Ihre Zuschauer beim "heute journal" nicht darüber im Dunkeln gelassen, unter welchen Bedingungen diese Reise stattgefunden hat. Riskieren Sie da nicht, dass Ihr Beitrag in gewisser Weise abgewertet wird?
Wernicke: Das würde ich so nicht sehen. Das für mich Entscheidende ist tatsächlich, dass ich Zuschauerinnen und Zuschauer darüber informiere, wie etwas entstanden ist. Sonst fände ich es abwertend. Ich finde, wenn ich ganz klar kommuniziere, unter welchen Bedingungen wir gearbeitet haben, was geht und was nicht geht, wertet es das eher auf. Dass man bestimmte Dinge, weil sie der russischen Gesetzgebung unterliegen, nicht so formulieren kann, das ist so. Aber das wissen, glaube ich, die Zuschauerinnen und Zuschauer des "heute journals" mittlerweile auch.
Wir haben noch in "heute live", in unseren Social-Media-Kanälen und YouTube, am Tag darauf ein Gespräch dazu gemacht, wo ich das auch noch mal offengelegt habe. Ich finde, dadurch kann man es machen. Wenn man das weglassen würde, wenn man so täte, als wenn es unter ganz normalen, journalistischen Bedingungen entstanden sei, dann würde man etwas tun, was nicht seriös ist.
Schmieding: Armeen, die diese embedded journalists mitgenommen haben, hat es ja auch schon im Vietnamkrieg und anderen gegeben. Aber besonders auffällig wurde es 2003 im Irak-Krieg. Damals ist viel darüber diskutiert worden, ob das richtig ist. Diesen Armeen wird vorgeworfen, mit Hilfe der embedded journalists so eine Art Öffentlichkeitsarbeit für sich selber zu machen. Und den Journalisten wird vorgeworfen, sich ein bisschen zum Handlanger der Armeen zu machen. Kann man als embedded journalist eigentlich etwas richtig machen?
Wernicke: Nein. Der Punkt ist: Man muss sich vorher entscheiden. Sind die Kritikpunkte, die es daran gibt - auch die ethischen - überwiegend, oder interessiert es mich so stark, zu sehen, wie die Menschen das überstanden und überlebt haben, was da gerade passiert ist? Wie wichtig ist es mir, Lebenswirklichkeit von vor Ort darzustellen, welchen Mehrwert kann das erreichen? Und die Entscheidung haben wir bei uns im Haus so getroffen - das ist ja auch nicht nur meine Entscheidung, sondern die einer Gruppe, die darüber geredet hat. Das macht man sich ja auch nicht leicht als Fernsehsender.
Diese Entscheidung haben wir so getroffen, und ich glaube tatsächlich, dass wir einen Mehrwert erreicht haben: nämlich tatsächlich Lyssytschansk mal gesehen zu haben, wirklich durch Mariupol gelaufen zu sein, das gesehen zu haben, wie Menschen da leben. Das zu zeigen und nicht nur Bilder des russischen Fernsehens dafür zu benutzen, wo wir davon ausgehen, dass der Ausschnitt sehr eng gefasst ist.
TV RATHER
Ein Kriegsreporter des Senders CBS interviewt einen Soldaten im Vietnam-Krieg im Jahr 1966 (picture alliance / AP Photo)
Schmieding: Wir haben letzte Woche einen Kollegen vorgestellt, der als Lokaljournalist eigentlich in Süddeutschland arbeitet, und der auch in den Donbass fährt. Sie haben jetzt gerade gesagt, da kann man nicht mit dem Taxi hin. Aber es gibt offensichtlich für manche Journalisten die Möglichkeit, dort vor Ort zu recherchieren. Für Sie jetzt nicht?
Wernicke: Nicht bis an die Frontline, nein. Bis dahin kommt man so nicht. Das geht nur, indem man akkreditiert ist, sich beim Militär gemeldet hat. Man kommt in bestimmte Bereiche, aber nicht in den Frontbereich, ohne tatsächlich zumindest mit den Militärs zu kommunizieren.
Schmieding: Wie haben Sie den Kontakt zu den russischen Soldaten empfunden?
Wernicke: Zu den einfachen Soldaten gab es keinen Kontakt, mit denen konnten wir keine Gespräche machen. Sondern eher mit Offizieren reden. Die sind natürlich gebrieft, und insofern finden Sie auch in den Stücken keine O-Töne dazu.
Schmieding: Haben die Russen eigentlich nachträglich Ihr Material sichten wollen?
Wernicke: Nein, auch dann hätten wir die Reise abgelehnt. Das ist eine Bedingung, unter der wir das nie machen würden. Dass sie sich jetzt vielleicht die Stücke angucken, halte ich für möglich. Aber wir mussten nichts vorlegen, nichts zeigen, wir mussten nichts abnicken lassen.
Schmieding: Würden Sie trotz aller Restriktionen oder trotz dieser Umstände sagen, dass sich die Reise gelohnt hat?
Wernicke: Ich glaube, es lohnt sich deswegen, weil man der Not und dem Elend der Menschen, die in diesen Regionen leben, und die sich das ja nicht ausgesucht haben, was da über sie gekommen ist, weil man denen ein Gesicht gibt. Weil man denen trotz allem eine Stimme geben kann, weil man zeigen kann, was das für die Menschen bedeutet. Was solche Konflikte, solche militärischen Auseinandersetzungen für sie bedeuten. Und ein Stück Alltag versuchen zu fassen, ein wenig da reinzufühlen, wie es den Menschen geht und was da in den nächsten Wochen und Monaten ja auch noch auf die zukommt. Deswegen würde ich sagen, hat es sich gelohnt. Weil: Sonst ist es ein schwarzes Loch, auf das wir irgendwie aus der Ferne gucken. So konnten wir ein bisschen Licht hineinbringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.