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Westerwelle mit "Berliner Erklärung" unzufrieden

FDP-Chef Guido Westerwelle hält angesichts der Differenzen zwischen den 27 EU-Mitgliedsländern über den Refomprozess "ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" für denkbar. Wenn einzelne Länder den Weg zu einer Verfassung nicht mehr mitgehen wollten, müssten eben andere vorangehen, sagte er. Die am Wochenende auf dem Sondergipfel beschlossene "Berliner Erklärung" zur EU-Reform kritisierte Westerwelle als zu unverbindlich.

Moderation: Bettina Klein | 26.03.2007
    Bettina Klein: Am Wochenende war Gelegenheit, das zu feiern, was wir im Alltag mitunter gar nicht mehr zu würdigen wissen, was funktioniert in der und durch die Europäische Union, obwohl wir es nicht für möglich gehalten haben, bis hin zu einer gemeinsamen Währung, die trotz aller Unkenrufe zum Beispiel längst stärker als der Dollar ist. Erinnert sich noch jemand an die diesbezüglichen Sorgen seinerzeit? Dennoch wird Wasser in den Wein gegossen, und das ist insofern richtig, als es noch viel zu tun gibt, um die EU funktionsfähiger, bürgernäher und effizienter zu gestalten, Stichwort Reform der EU. Das war schließlich ein Hauptziel der gescheiterten Verfassung. Einen neuen Anlauf dafür zu nehmen ist Angela Merkel angetreten. Viele Staaten erwarten viel von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Wie sie die bisher erfüllt hat, unter anderem darum soll es jetzt gehen im Gespräch mit Guido Westerwelle, Partei- und Fraktionsvorsitzender der FDP. Schönen guten Morgen, Herr Westerwelle!

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen!

    Klein: Der Ehrenvorsitzende Ihrer Partei und langjährige Außenminister Hans-Dietrich Genscher sprach am Wochenende von einer sehr engagierten, proeuropäischen Ratspräsidentschaft der Regierung Merkel mit der Botschaft Weiter-Machen. Ein Lob aus sicher berufenem Munde. Schließen Sie sich an?

    Westerwelle: Ja, denn ich glaube, dass die Europäische Union für uns die eigentliche Chance ist, gerade auch als Deutsche. Zunächst einmal haben wir erlebt, dass 50 Jahre Frieden durch die Europäische Union möglich geworden ist. Und wenn wir an die Entwicklung der Globalisierung denken, also an die wirtschaftliche Entwicklung denken, dann ist natürlich dieser große europäische Binnenmarkt gleichzeitig gerade für eine Exportnation, wie wir Deutsche sie sind, die eigentliche Lebensversicherung.

    Klein: Dennoch haben Sie bereits ja Kritik geübt an der "Berliner Erklärung", die aus Ihrer Sicht zu vage geworden sei. Was kritisieren Sie denn am Verhandlungsmanagement der Kanzlerin?

    Westerwelle: Ich kritisiere nicht das Verhandlungsmanagement der Kanzlerin, sondern ich bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden, denn natürlich ist es gut, dass es eine "Berliner Erklärung" gibt, aber es ist überhaupt nicht gut, dass in dieser "Berliner Erklärung" so wenig drinsteht. Ein unverbindlicher Fahrplan für das Jahr 2009. Eigentlich ist ja nur das Datum genannt worden, dass man sich auf etwas verständigen möchte. Worauf steht dort nicht. Das ist alles nicht der Schwung, den die Römischen Verträge vor 50 Jahren eigentlich mitgebracht haben. Und wenn man einfach die Zeit heute vergleicht mit der Begeisterung, mit dem Schwung, mit der Energie, mit dem Ehrgeiz der Europäer von vor 50 Jahren, so ist das insgesamt enttäuschend. Und wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir nicht nur die Vergangenheit Europas würdigen, sondern wie wir auch auf eine gute Zukunft hinarbeiten.

    Klein: Zu wenig Schwung beklagen Sie. Das ist sicherlich die Realität, die man am Ende dann auch akzeptieren muss. Woran liegt denn das Ihrer Meinung nach, dass sich die Europäische Union, dass sich viele Staaten im Moment so schwer damit tun?

    Westerwelle: Es gibt eben einige Regierungen in Europa, die sind begeisterter für Europa, und andere sind es überhaupt nicht. Ich bin sehr skeptisch auch über die Haltung beispielsweise bei unseren Nachbarländern Polen und Tschechien. Insbesondere Tschechien hat ja durch den Staatspräsidenten Äußerungen abgegeben, die man nicht gerade als begeistert europafreundlich betrachten kann, und das war die diplomatische Formulierung.

    Klein: Da dürfen wir noch mal sagen, dass Tschechien sagt, es hat an der demokratischen Diskussion gefehlt und die einzelnen Regierungen seien im Vorfeld nicht ausreichend eingebunden gewesen. Das ist, was Sie meinen?

    Westerwelle: Das ist das, was ich meine, aber nicht nur jetzt die Äußerungen am Wochenende, sondern auch an anderer Stelle hat sich ja Tschechien, besser gesagt der Staatspräsident Tschechiens, Klaus, nicht so geäußert, wie man das eigentlich bei einem 50-jährigen Jahrestag erwarten möchte. Also mit anderen Worten: Wir brauchen nicht nur einen Fahrplan, sondern wir müssen wissen, was steht dann drin in diesem Verfassungsvertrag, denn wir haben alle ein Interesse daran, dass ein guter europäischer Verfassungsvertrag zu Stande kommt. Und ich hoffe doch sehr, dass wir an diesem Wochenende nicht erlebt haben, wie die europäische Verfassung als ehrgeiziges Projekt der Europäischen Union zu Grabe getragen worden ist, denn diese europäische Verfassung ist ja nicht nur eine Verbesserung der Institutionen in Europa, sondern sie ist zugleich vor allem natürlich auch eine Verbesserung der Bürgerrechte. Und das ist etwas, was im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger in Europa liegt.

    Klein: Was am Ende in diesem neuen Grundlagenvertrag stehen wird, das werden ja die Beratungen und Gespräche der nächsten Monate erst noch zeigen, Herr Westerwelle. Aber was sollte aus Ihrer Sicht denn auf jeden Fall noch drinstehen?

    Westerwelle: Wir haben ja bereits einen Verfassungsvertrag, und ich rate dazu, so viel wie möglich von diesem Verfassungsvertrag auch retten zu wollen, denn dieser Verfassungsvertrag ist ja bereits von 18 Ländern in Europa akzeptiert worden, ratifiziert worden, zum Teil durch Volksabstimmungen, zum Teil dadurch, dass die Parlamente entschieden haben. Ich denke, dass wir an diesem Verfassungsvertrag auch festhalten sollten. Wenn es einzelne Länder gibt, die augenscheinlich auch aus einer innenpolitischen Lagebeurteilung nicht mehr bereit sind, diesen Weg der europäischen Verfassung mitzugehen, dann müssen wir dieses zur Kenntnis nehmen. Dann müssen aber eben die anderen Länder, die wissen, wie wichtig Europa ist, möglicherweise auch vorangehen. Möglicherweise ist eben auch ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten nicht mehr vermeidbar.

    Klein: Würden Sie sich denn auch dem Vorschlag oder der Forderung des früheren Europaparlamentspräsidenten Hänsch anschließen, der heute fordert in der "Berliner Zeitung", wenn Staaten eben nicht bereit sind, sich auf eine EU-Verfassung, auf eine reformierte Verfassung zu verständigen, dann müssten diese Staaten sich fragen, ob sie noch länger Mitglied in der EU bleiben wollen. Ist das eine akzeptable Forderung aus Ihrer Sicht?

    Westerwelle: Nein, das ist ja die Infragestellung der Mitgliedschaft. Aber da gibt es ja noch andere Möglichkeiten. Wer die europäische Verfassung nicht will wird dann eben zur Kenntnis nehmen müssen, dass andere Staaten die europäische Verfassung wollen und dass sie sie beschließen werden. Denn wir möchten ja nicht nur eine Erweiterung der Europäischen Union, wir brauchen auch eine Vertiefung der Europäischen Union. Durch die Verfassung ist es beispielsweise auch möglich, dass die europäischen Institutionen wieder demokratischer werden, das heißt also auch bürgernäher werden. Denn natürlich wissen wir, dass die Regierungen in Europa sehr viel zu sagen haben, die Völker in Europa noch zu wenig.

    Klein: Guido Westerwelle, Parteivorsitzender der Freien Demokraten. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Westerwelle: Danke Ihnen!