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Westerwelle: Steuerzahler sind nicht für Arcandor-Eigentum verantwortlich

FDP-Parteichef Guido Westerwelle lehnt eine Unterstützung des angeschlagenen Arcandor-Konzerns rigoros ab: Es sei nicht Aufgabe des Steuerzahlers, das Vermögen einer Eigentümerfamilie zu erhalten. Bei der FDP-Steuerreform bleibt Westerwelle hart: keine Koalition im Bund ohne Entlastungen.

Guido Westerwelle im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Sandra Schulz: Die Opel-Rettung läuft nun also an. Aus dem staatlichen Überbrückungskredit flossen gestern die ersten 300 Millionen an den angeschlagenen Autobauer. Nach der langen Zitterpartie steht seit dem Wochenende der Deal für einen Einstieg des Zulieferers Magna bei Opel. Zweckoptimismus oder nüchterne Prognose? Magna-Chef Frank Stronach erwartet, dass die deutsche Traditionsmarke in vier Jahren wieder Gewinne macht. Weniger Spekulation liegt da der Vermutung zugrunde, dass mindestens 26.000 Menschen in Deutschland aufgeatmet haben dürften, nachdem die Verabredungen Ende letzter Woche in der zweiten Nachtsitzung im Kanzleramt unter Dach und Fach gebracht worden waren: die rund 26.000 Opel-Mitarbeiter. Frage an den FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Guido Westerwelle: Haben Sie auch aufgeatmet?

    Guido Westerwelle: Dieses Paket, was verabschiedet worden ist, ist eine Chance, aber es hat auch erhebliche Risiken. Es ist noch nicht ausgemacht, dass am Schluss auch die Arbeitsplätze wirklich erhalten bleiben, und das volle Risiko für den Steuerzahler ist auch noch schwer abschätzbar. Unterm Strich: es ist bedauerlich, dass die Union, auch dass die Bundeskanzlerin ihrem Wirtschaftsminister so wenig Rückendeckung gegeben hat, damit auch vor allen Dingen ein besseres Ergebnis für die Arbeitsplätze und für die Steuerzahler hätte herauskommen können.

    Schulz: Wenn die Risiken so hoch sind, warum haben die Liberalen in den Landtagen in Nordrhein-Westfalen und in Hessen dann zugestimmt?

    Westerwelle: Sie können als eine Regierungspartei in einem Bundesland nicht das Staatsschiff völlig wenden. Wir mussten innerhalb des Koordinatensystems, das die Bundesregierung aufgestellt hat, Interessen in Nordrhein-Westfalen und in Hessen wahrnehmen. So gesehen ist es vernünftig, was entschieden worden ist. Die Frage bleibt aber: ist es akzeptabel, dass wir diese Wirtschaftspolitik fortsetzen, die nur noch auf die großen Betriebe schaut und die kleineren und mittleren Pleite gehen lässt? Ich halte das für gänzlich inakzeptabel. Opel, Arcandor, lauter Betriebe sollen jetzt gerettet werden, eine Bank nach der anderen. Am Schluss alles gerettet, aber Deutschland Pleite. Das kann ja auch keine Antwort sein.

    Schulz: Sie haben es gerade schon angedeutet: die Entscheidung Arcandor liegt der Bundesregierung jetzt vor. Welche Prognose geben Sie ab?

    Westerwelle: Ich hielte es für erforderlich, dass erst einmal die Eigentümer selbst in die Verantwortung genommen werden. Ich höre, dass ein hoch profitables Reisegeschäft mit in diesem Konzern drin ist; warum wird das nicht auch veräußert, um selber dann auch wieder Liquidität zu gewinnen. Wenn man ein Unternehmen hat und man hat Eigentümer dahinter, dann ist doch zunächst einmal es klar, dass man die Eigentümer und auch die Unternehmenssubstanz verwerten muss, bevor man beim Steuerzahler die Hand aufhält. Es kann doch nicht Aufgabe des deutschen Steuerzahlers sein, eine reiche Eigentümerfamilie, ihr Vermögen zu retten, sondern Aufgabe des Steuerzahlers ist es, dafür zu sorgen, dass Strukturen in Deutschland vernünftig sind, dass auch es eine vernünftige soziale Begleitung gibt von Umstrukturierungsprozessen, aber dass es Aufgabe des Steuerzahlers wäre, einer Milliardärsfamilie das Vermögen zu retten, das, glaube ich, ist nicht Aufgabe des Steuerzahlers.

    Schulz: Es geht um rund 50.000 Jobs bei Arcandor. Verstehe ich Sie richtig, dass das Argument falsch ist, dass es egal ist, was mit diesen 50.000 Jobs passiert?

    Westerwelle: Nein, aber beispielsweise wenn der Reiseunternehmungsteil von Arcandor an einen anderen Eigentümer veräußert wird, geht das Geschäft doch weiter. Es geht doch kein Arbeitsplatz weiter; es geht doch lediglich um die Frage, wem gehört es. Wenn das Kaufhaus des Westens beispielsweise, ein tolles Kaufhaus, einen neuen Eigentümer bekommt, da geht doch kein Arbeitsplatz verloren, da schließt doch das Kaufhaus nicht, es gehört nur jemand anderem als bisher. Und die Leute, denen es jetzt gehört, die wollen es nicht verkaufen, weil sie wenig dafür kriegen, aber das ist nicht Aufgabe des Steuerzahlers, dass jemand sein Familienvermögen geschützt bekommt.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf den Kurs der Großen Koalition blicken, Commerzbank verstaatlicht, Opel gerettet, die Entscheidung Arcandor steht an, wie sollen dann überhaupt noch Gemeinsamkeiten mit der CDU, mit Ihrem eventuell mal Koalitionspartner, sich aus dieser Konstellation ergeben?

    Westerwelle: Das ist ja eine Frage auch der Alternativen. Ich muss ja schon zur Kenntnis nehmen, dass SPD, Grüne und Linkspartei in Wahrheit ja hinter verschlossener Tür längst ein gemeinsames Regierungsbündnis vorbereiten, und das gilt es zu verhindern. Wir als FDP, wir wollen raus aus dieser Großen Koalition. Wir wollen vor allen Dingen aber auch verhindern, dass es eine Linksregierung aus SPD, Grünen und Linkspartei geben kann, und dementsprechend setzen wir klar auf eine bürgerliche Mehrheit und auf ein Bündnis mit der Union. Dass wir auch viele Dinge dort durchsetzen müssen, anders als in den letzten Jahren eben Deutschland regiert worden ist, das ist wahr. Wir können diese Steuererhöhungspolitik nicht fortsetzen. Wir müssen vor allen Dingen für eine Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen sorgen, denn die Mittelschicht, sie trägt das Land und sie kann sich das ganz normale Leben in Deutschland fast nicht mehr leisten.

    Schulz: Damit antworten Sie jetzt aber nicht auf meine Frage. Ich hatte ja nach den Gemeinsamkeiten gefragt, und gerade in der Steuerpolitik gibt es die ja nicht.

    Westerwelle: Mit einigen ja, mit anderen nicht. Es ist wahr: auch in der Union hat der Virus der Sozialdemokratie viele angesteckt.

    Schulz: Wie viel Kritik an der Bundeskanzlerin steckt in diesen Worten?

    Westerwelle: Ich kritisiere ja die Bundesregierung dafür, dass sie einerseits die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik gemacht hat, und trotz eines enormen Wirtschaftswachstums in den letzten vier Jahren selbst in den berühmten fetten Jahren noch Schulden machen wollte und ja auch gemacht hat. Ich kritisiere die Regierung ja nicht dafür, dass wir heute eine Wirtschaftskrise haben, sondern nur, dass sie in den fetten Jahren auch für die mageren nicht vorgesorgt hat und dass sie jetzt immer noch die falschen Konsequenzen daraus zieht – beispielsweise die Abwrackprämie. Dass wir hier fünf Milliarden Euro in alte Autos stecken, aber sagen, für Bildung, für Ausbildung hätten wir kein Geld in Deutschland, ist gänzlich inakzeptabel. Und wenn ich das kritisiere, kritisiere ich nicht nur die Politik der Regierung, sondern selbstverständlich auch die der Regierungschefin.

    Schulz: Der Deutschlandfunk im Gespräch heute mit FDP-Parteichef Guido Westerwelle. – Lassen Sie uns noch auf die Steuerpläne der FDP gucken. Sie versprechen Entlastungen in Höhe von 35 Milliarden. Heißt das, dass der Schuldenberg, auf dem die Bundesrepublik jetzt im Moment sitzt, noch nicht hoch genug ist?

    Westerwelle: Wir haben ja auch vorgerechnet, wie das bezahlt werden kann. Wir sind ja die einzige Partei im Bundestag, die 400 Vorschläge gemacht hat, wie der Staat auch mal bei den Ausgaben sparen könnte. Immer höhere Steuern, immer mehr Abgaben, das kann ja nicht der Weg sein, um die Staatsfinanzen wieder gesund zu kriegen. Wir brauchen ein faires Steuersystem, dass sich die Leistung lohnt, dass derjenige, der arbeitet, auch mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet. Das sorgt für Kaufkraft, für Binnenkonjunktur, für Investitionen, das schafft Arbeitsplätze, und nur wer Arbeit hat, kann Steuern zahlen. Ein faires Steuersystem riskiert nicht die Staatsfinanzen; ein faires Steuersystem konsolidiert die Staatsfinanzen.

    Schulz: Herr Westerwelle, lassen Sie uns ein bisschen konkreter reden. Sie haben ja zu Beginn des Interviews davon gesprochen, dass das Durchsetzungsvermögen eines Juniorpartners beschränkt sein kann. Lassen Sie uns konkret darüber sprechen. Sie haben gesagt, eine Koalition mit der Union gibt es nur, wenn auch eine Steuerreform verabredet wird. Wie hoch müssen die Entlastungen konkret werden?

    Westerwelle: Ich habe eigentlich nicht darauf hingewiesen, dass die FDP der kleinere Koalitionspartner ist, sondern ich habe darauf hingewiesen, ...

    Schulz: Das legen die Umfragen im Moment aber nahe.

    Westerwelle: Natürlich, aber dass eine Landesregierung nicht wenden kann, wenn eine Bundesregierung mit dem Staatsschiff einen falschen Kurs fährt, ich glaube, das ist ganz offensichtlich. Und das ist auch mein eigentlicher Punkt. Wir müssen auf Bundesebene Regierungsverantwortung bekommen, dann können wir auch dem deutschen Staatsschiff wieder einen neuen Kurs geben, wo mehr auf den Mittelstand geachtet wird, weil dort die Arbeitsplätze entstehen, und wo diese DAX-Hörigkeit der deutschen Politik ein Ende hat.

    Schulz: Und auf welche Höhe müssen die Entlastungen verabredet werden?

    Westerwelle: Ich würde niemals hier jetzt einen heiligen Eid darüber schwören, dass auch wirklich jeder Prozentpunkt, den wir in unserem Konzept fordern, auch so kommt. Ich weiß auch, dass man Kompromisse machen muss, ich weiß auch, dass es harte Verhandlungen braucht. Aber auf eines können Sie sich verlassen: ich werde einen Koalitionsvertrag nur unterzeichnen, wenn darin ein niedrigeres, einfaches und gerechteres Steuersystem vereinbart worden ist. Ich halte ein faires Steuersystem für die Mutter aller Reformen. Ich bin es leid, dass derjenige, der in Deutschland arbeitet, der Depp der Nation ist, weil ihm immer weniger übrig bleibt.

    Schulz: Sagen Sie uns eine Größenordnung für die Entlastungen, die mindestens verabredet werden müssen, damit auch klar wird, wie ernst Sie es meinen mit diesem Versprechen?

    Westerwelle: Das wäre doch sehr unklug, wenn ich vor Koalitionsverhandlungen jetzt schon Positionen räumen wollte. Warum sollte ich das tun? Im Gegenteil: Sie haben ja gerade das Steuerkonzept der FDP mit einem Entlastungsvolumen von etwa 35 Milliarden Euro genannt. Das ist finanzierbar, so werden wir verhandeln, das wollen wir durchsetzen, und die Kompromisse macht man in Verhandlungen, aber doch nicht schon vorher. Das wäre ja ein schlechter Verhandler, der vorher schon seinem Gegenüber erklärt, wir meinen das alles gar nicht ernst.

    Schulz: Das heißt, so verbindlich wollen Sie es gegenüber Ihren potenziellen Wählern dann doch nicht machen. Bis wann sollen denn diese Entlastungen kommen?

    Westerwelle: Ich halte das für eine unfaire Interpretation. Ich glaube, jeder, der uns jetzt zuhört, weiß doch, dass die FDP ein Konzept hat für ein niedrigeres, einfaches und gerechteres Steuersystem, dass unser Volumen der Entlastung bei etwa 35 Milliarden Euro liegt, dass wir gesagt haben, wie das finanziert werden kann, aber jeder weiß auch, dass die FDP nicht alleine regieren wird und dass wir dementsprechend natürlich auch noch harte Verhandlungen mit dem Koalitionspartner Union vor uns haben. Das wäre doch wirklich nicht klug, heute schon Positionen in Frage zu stellen, die wir in Verhandlungen noch durchsetzen werden.

    Schulz: Welchen zeitlichen Horizont streben Sie an, um meine Frage zu wiederholen?

    Westerwelle: Der zeitliche Horizont ist die nächste Legislaturperiode, aber der Koalitionsvertrag und damit auch ein wirkliches Signal für ein faires Steuersystem und für eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger wird ja gleich am Anfang der Legislaturperiode geschlossen und daran werden Sie uns messen können. Und dass wir es ernst meinen mit dem, was wir unseren Wählern versprechen, das konnten Sie bereits am Wahlabend 2005 sehen – übrigens auch in Hessen. Trotz allerlei Verlockungen und Versuchungen haben wir Wort gehalten.

    Schulz: Um noch einen Blick auf die Finanzierbarkeit zu werfen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann würde sich diese Finanzlücke, dann würde sich dieser Schuldenberg quasi von alleine abbauen, wenn das Steuersystem stimmen würde, über neues Wachstum. Was wäre denn, wenn das Wachstum ausbliebe?

    Westerwelle: Entschuldigen Sie bitte, das habe ich auch nicht gesagt. Das ist auch nicht unsere Auffassung. Ich habe direkt am Anfang gesagt, wir haben 400 Vorschläge gemacht, wie der Staat bei den Ausgaben sparen kann, und darauf setze ich zunächst einmal. Zweitens ist es richtig, dass ein faires Steuersystem nicht das Ergebnis eines Aufschwungs sein kann, sondern eine wesentliche Voraussetzung für den Aufschwung ist, damit für neue Arbeitsplätze sorgt und damit auch die Staatsfinanzen nur wieder gesund werden können.

    Schulz: Aber dann verstehe ich nicht den Widerspruch: Sie zielen auf Wachstum ab, das erst mal entstehen soll; dann müssen Sie sich auch der Frage stellen, was passiert, wenn wir kein Wachstum bekommen nach der Krise.

    Westerwelle: Wir müssen die Frage beantworten, wie kriegen wir Wachstum, was können wir dem Abschwung entgegenstellen, und genau darauf setzen wir. Wir bauen oder wir setzen auf eine Wirtschaftspolitik, die Wachstum ermöglicht, die es stimuliert und die dementsprechend auch für neue Staats- und für gesundere Staatsfinanzen sorgt. Das ist der Weg der FDP und ich glaube, es ist jetzt auch in dem Gespräch von meiner Seite aus jedenfalls hinreichend klar gemacht worden.

    Schulz: Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Wir hatten vor der Sendung Gelegenheit, das Interview aufzuzeichnen.