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Westerwelle verteidigt Ministerin von der Leyen

FDP-Chef Guido Westerwelle hat Teilen der Union vorgeworfen, in der Debatte um eine bessere Kinderbetreuung am Familienbild der 50er und 60er Jahre festzuhalten. Der Staat müsse Rahmenbedingungen schaffen, die den Eltern eine freie Entscheidung ermöglichten, ob sie zur Kindererziehung zu Hause bleiben oder die Angebote von Tagesstätten nutzen, sagte Westerwelle.

Moderation: Christoph Heinemann | 16.02.2007
    Christoph Heinemann: Eines muss man Ursula von der Leyen lassen: Die CDU-Politikerin hat die Familienpolitik aus der Gedöns-Schublade gezogen und in den Mittelpunkt der politischen Debatte befördert. Das mag mit der späten Einsicht vieler Politiker und Journalisten zu tun haben, dass zuwenig Nachwuchs und vor allem zuwenig Kinder oberhalb der von der SPD so bezeichneten Unterschicht der Gesellschaft erhebliche Schwierigkeiten bescheren werden. Es liegt aber auch an der Person von der Leyen, die als Mutter von sieben Kindern nicht nur weiß, wovon sie spricht, sondern dank ihrer gewinnenden Art in den Medien auch ihre Botschaft an Frau, Mann und Kinder bringt.

    Die Zukunft der Familie liegt offenbar in der Krippe. Die Ministerin möchte die Anzahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren bis 2013 auf rund 750.000 verdreifachen. Die Zusatzkosten beziffert die Ministerin jährlich auf drei Milliarden Euro. Vorbild: neue Bundesländer. Die hätten durchschnittlich für rund 40 Prozent aller Kinder unter drei Jahren Betreuungsangebote, das sei wirklich vorbildlich, sagte Frau von der Leyen der "Sächsischen Zeitung". Ein Sachse hört der Botschaft, allein es fehlt ihm der Glaube: Steffen Flath, Kultusminister im Freistaat, einst gezwungenermaßen DDR-Bürger, erlebt ein Deja-vu:

    "Da denke ich mal wieder an die DDR zurück. Das war nun freilich nicht gerade so ein schöner Anblick, wenn morgens 6.00 Uhr an der Bushaltestelle Mütter mit dem einjährigen Kind standen, also wenn ich dann daran denke, dass sie vielleicht schon früh um Vier oder halb Fünf aus dem Schlaf gerissen worden sind. Also man muss immer mehrere Dinge berücksichtigen, Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das eine, und das andere, dass wir möglichst in den Schulen mal später, Kinder haben wollen, wo es ein Fundament gibt, wo es eine Familie gibt, wo es einen Halt gibt, wo es Vertrauen gibt, wo es Ausgeglichenheit gibt. Das muss doch auch gestattet sein, das mal zu beleuchten, und da werde ich zum Ergebnis kommen, dass es nun nicht unbedingt das Beste für das Kind ist, nach zwölf Monaten in eine Fremdbetreuung zu kommen."

    Sachsens Kultusminister Steffen Flath gestern Morgen im Deutschlandfunk. Längst wird nicht nur in der CDU gestritten, auch die CSU meldet Bedenken an. Der bayerische Landtagspräsident Alois Glück in dieser Woche im Deutschlandfunk:

    "Die Familienpolitik darf nicht eine Unterabteilung etwa von Arbeitsmarktpolitik sein. Es wäre gut, wenn Frau von der Leyen ebenso deutlich akzentuiert die Unterstützung der Eltern, die sich der Erziehung der Kinder in dieser Lebensphase selbst widmen wollen, und ihnen dafür möglichst viele Möglichkeiten anbieten."

    Alois Glück von der CSU. Dieser Partei gehört auch Peter Ramsauer an, und der Chef der bayerischen Landesgruppe im Bundestag warnt inzwischen vor einer Sozialdemokratisierung der Union. Zur Erinnerung: Das Ende dieser Sozialdemokratisierung hatte weiland Friedrich Merz ausgerufen, das war in Leipzig, aber das ist lange her. Inzwischen hat Friedrich Merz das Handtuch, sein Vater sogar das Parteibuch geworfen.

    Die Opposition könnte sich genüsslich zurücklehnen, sofern auf den oft so beschriebenen harten Bänken gelingen mag. Die FDP dürfte aber auch besorgt auf die Union schauen, denn mit wem, wenn nicht mit der CDU und CSU, wollen die Liberalen eines Tages wieder an die Macht gelangen?

    Am Telefon ist Guido Westerwelle, FDP-Vorsitzender und Chef der Liberalen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Guido Westerwelle: Schönen guten Morgen Herr Heinemann!

    Heinemann: Herr Westerwelle, wenn Sie auf die CDU blicken, müssen Sie, politikbildlich gefragt, dann nach rechts oder nach links schauen?

    Westerwelle: Zunächst mal sind das zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Wenn Frau von der Leyen ankündigt, auch gerade die vorschulische Betreuung von Kindern auszubauen und dafür ein staatliches Angebot zu machen, dass sich Eltern wirklich frei entscheiden können, wie sie ihre Kinder erziehen möchten, dann ist das positiv, dann ist das ausdrücklich auch zu würdigen. Für mich als Liberalen ist klar: Der Staat hat nicht vorzuschreiben, wie eine Familie zu Hause leben möchte, aber der Staat muss für Rahmenbedingungen sorgen, dass sich Eltern wirklich frei entscheiden können. Und wenn das finanzierbar ist, und dazu muss die Bundesregierung ihre Vorstellungen vorlegen , dann ist es richtig, dass auch die vorschulische Kinderbetreuung ausgebaut wird.

    Heinemann: Was heißt Wahlfreiheit, mehr Geld für Kitas, dafür nicht mehr Kindergeld?

    Westerwelle: Und genau das wäre ja ein sehr gefährlicher Gegensatz, denn in der Tat heißt ja Wahlfreiheit, dass es einige Familien gibt, wo sich ein Partner entscheidet, zu Hause zu bleiben, und dann muss das natürlich vom Staat natürlich genauso respektvoll behandelt werden, wie wenn beispielsweise beide Elternteile sagen, wir möchten, dass es auch eine vorschulische Krippenbetreuung für die Kinder gibt, wir möchten, dass das auch gerade im Kreise von vielen anderen Gleichaltrigen geschieht, und dementsprechend sollte dieses Angebot ausgebaut werden. Also beides muss möglich sein, und das können keine Gegensätze sein.

    Heinemann: Macht Frau von der Leyen DDR-Familienpolitik?

    Westerwelle: Nein. Das hat mit DDR überhaupt nichts zu tun. Wenn man sich beispielsweise in Frankreich oder in Belgien umschaut, dann weiß man, dass gerade romanische Länder es ganz selbstverständlich finden, dass auch Mütter sehr früh wieder in den Beruf gehen, wenn sie vor allen Dingen auch nur eine kurze Zeit ganz persönlich aussetzen möchten, dass dementsprechend ein Krippenangebot gemacht werden muss. Also in Brüssel oder in Belgien, das waren doch keine Sozialisten oder keine Kommunisten, die so eine vorschulische Kinderbetreuung ausgebaut haben. Ich glaube, da hat Herr Ramsauer auf dem falschen Fuß Protest gerufen. Die Sozialdemokratisierung der Union, die findet nicht statt, wenn es ein Ganztagsangebot oder ein Betreuungsangebot für Kinder gibt, sondern die findet statt, wenn eine Gesundheitsreform beschlossen wir, die die pure Planwirtschaft ist, oder wenn es die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik gibt seit dem 1.1. diesen Jahres. Das ist die Sozialdemokratisierung der Union.

    Heinemann: Bleiben wir kurz noch mal bei den Kindern. Eine Vergleichsstudie des Kinderhilfswerks UNICEF über Gesundheit, Bildung, Lebensweisen, Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen stellt fest, dass Deutschland abermals ziemlich mittelmäßig da steht, allerdings die Länder Baden-Württemberg und Bayern besonders gut, und das sind Länder, die sich durch besonders wenig Betreuungsplätze auszeichnen.

    Westerwelle: Und trotzdem muss beides möglich sein. Es kann ja sein, dass vor allen Dingen auch in ländlich ausgeprägten Regionen das eine Familienbild noch stärker vertreten ist als das andere, und es ist nicht an mir, es ist auch nicht an Ihnen oder an Frau von der Leyen zu entscheiden, wie zwei Eltern ihre Kinder erziehen möchten, Hauptsache sie werden anständig gut betreut, gut erzogen, sie kriegen die Werte vermittelt, eine ordentliche Ausbildung. Das ist das, was die Gesellschaft angeht, und nicht eine Vorschrift in der einen oder anderen Richtung. Also ich wehre mich dagegen, dass hier so ein Familienbild der 50er und 60er Jahre in unseren Zeiten erneut zwangsverordnet werden soll. Es ist hochehrenwert, es ist eine großartige Leistung, wenn beispielsweise Mütter sich entscheiden, zu Hause zu bleiben und die Kinder zu erziehen. Es ist aber genauso zu respektieren und eine genauso zu unterstützende Entscheidung, wenn zwei Eltern sagen, wir möchten beide weiter arbeiten und deswegen brauchen wir ein entsprechendes Ganztagsangebot in der Schule oder auch eine bessere vorschulische Betreuung unserer Kinder. Beides verdient den Schutz und die Unterstützung, den Respekt des Staates und der Gesellschaft.

    Heinemann: Herr Westerwelle, die Familienpolitik - Sie deuteten es an - ist eine Baustelle in der CDU, die Wirtschafts- und Sozialpolitik eine andere. Ein Vorarbeiter hat jetzt den Helm an den Nagel gehängt, Friedrich Merz. Sie haben ihm angeboten, er möge Sie mal anrufen. Rechnen Sie damit, dass er sich meldet?

    Westerwelle: Ich habe ihm ja nicht angeboten mich anzurufen. Ich kenne einfach Friedrich Merz seit meiner Studentenzeit und habe auf eine entsprechende Frage eines Journalisten geantwortet, er hat seitdem meine Telefonnummer, und wenn er sich politisch neu orientieren möchte, dann weiß er, wie er mich doch auch telefonisch erreichen kann. Friedrich Merz hat ja das Handtuch in der Union geschmissen, weil ihm die Politik der CDU/CSU nicht mehr gefällt. Er hält das für einen falschen Weg, und diese Kritik unterstütze ich doppelt und dreifach. Diese Gesundheitsreform erhöht die Lohnzusatzkosten, bringt in Wahrheit noch mehr Planwirtschaft in dieses System, und dass das auch ein Anlass ist für einen marktwirtschaftlich denkenden Mann wie Friedrich Merz, der Union Auf Wiedersehen zu sagen, jedenfalls was seine aktive Zeit angeht, kann ich mehr als nachvollziehen, und zwar politisch und menschlich gleichermaßen.

    Heinemann: Die Wirtschaft wächst und die Steuereinnahmen steigen.

    Westerwelle: Die Wirtschaft wächst, und wir feiern in Deutschland schon wieder eine Party, als hätte die Regierung etwas damit zu tun. Das ist natürlich grober Unfug. Das hat was mit der Weltwirtschaft zu tun und vor allen Dingen mit dem milden Winter, denn wir wissen alle, es kann wegen des milden Winters weiter gebaut werden. Und das ist gerade für die Bauindustrie von herausragender Bedeutung für Arbeitsplätze, die sonst im Winter immer weggefallen sind. Also es ist schon eher peinlich, wenn Frau Merkel oder Herr Müntefering durch ihre Generalsekretäre sich für einen Aufschwung feiern lassen, denn sie eher behindert als befördert haben.

    Heinemann: Die Unionsmittelständler und andere Wirtschaftspolitiker bezeichnen den Kurs ihrer eigenen Partei, also der CDU, als verwaschen und beliebig. Eins muss man den Leuten ja lassen, sie nehmen untereinander kein Blatt vor den Mund.

    Westerwelle: Ja, weil ich auch anhand von Dutzenden von Einladungen in diese Veranstaltungen oder in diese Organisationen erlebe, wie groß die Unzufriedenheit ist. Ich kann das nur genauso berichten, wie Sie das hier ansprechen. Es gibt eine riesige Unzufriedenheit bei bürgerlich denkenden Persönlichkeiten der Mitte. Die Mittelschicht ist einfach hoch enttäuscht über die Union, und ich kann all denjenigen, die da sich ärgern und abwenden und dann auch laut mittlerweile Kritik an der Unionsspitze äußern, nur raten, dass man sich nicht abwendet von der Politik, dass man eben nicht das Handtuch wirft, sondern dass man weiter in der Politik bleibt. Das ist auch das, was ich denen, die jetzt den Rücktritt von Herrn Merz oder den Ausstieg von Herrn Merz zum Anlass nehmen, sich von Politik zu verabschieden, zurufen kann. Wer sich jetzt von der Politik abwendet, weil die Union einen wirklichen sozialdemokratischen Kurs fährt, der sorgt doch nur dafür, dass in der Politik genau die Falschen übrig bleiben. Ich biete jedenfalls diesen marktwirtschaftlich denkenden Menschen in der Republik an, denen, die auf Freiheit und Verantwortung setzen, in der FDP ihre politische Heimat zu suchen.

    Heinemann: Wäre die Merkel-CDU gegenwärtig eine geeignete Koalitionspartnerin für die Westerwelle-FDP?

    Westerwelle: Na ja, sehen Sie, das kann man sich leider nicht malen. Natürlich war die Union, wie sie bis zur Bundestagswahl 2005 gekämpft hat für niedrigere Steuern, für ein einfacheres Steuerrecht, für weniger Bürokratie, für weniger Lohnzusatzkosten, für eine echte Erneuerung unserer sozialen Sicherungssysteme, meiner Partei, der FDP, sehr, sehr viel näher, aber es gilt auch hier der berühmte Satz oder das berühmte Bonmot: Es treffen sich zwei Neunzigjährige. Sagt der eine, wie geht es dir, sagt der andere, wenn ich an die Alternative denke, geht es mir richtig gut. Soll heißen, die Gesundheitsreform von Frau Schmidt, der Kurs der Sozialdemokraten oder der Grünen, der ist ja kein bisschen verlockender. Im Gegenteil.

    Heinemann: Der FDP-Vorsitzende und Chef der Liberalen-Bundestagsfraktion, Guido Westerwelle, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Dankeschön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Westerwelle: Auf Wiederhören.