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Westjordanland
Israelische Militäroperation geht weiter

Im Westjordanland sind drei israelische Jugendliche verschwunden. Wer sie entführt hat, ist unklar. Aber sowohl Israelis als auch Palästinenser nutzen den Vorfall, um offene Rechnungen zu begleichen. Ein Friedensabkommen rückt so in noch weitere Ferne.

VonTorsten Teichmann | 21.06.2014
    Pressekonferenz in der Nähe von Hebron im von Israel besetzten Westjordanland. Israels Ministerpräsident Netanjahu tritt hier und nicht in Jerusalem vor die Mikrofone - im Feld seiner Armee sozusagen. Hinter ihm steht ein olivegrünes, gepanzertes Fahrzeug, rechts von ihm Verteidigungsminister Ya'alon, links Generalstabschaf Gantz.
    Die Fernsehbilder sollen Einsatzbereitschaft demonstrieren und Geschlossenheit von Armee und Regierung. Netanjahu, die Polizei und das Militär stehen unter enormen Druck, seit vor über einer Woche drei israelische Jugendliche im Westjordanland verschwunden sind. Und sie haben sich entschieden, diesen Druck weiterzureichen.
    "Die Hamas hat sie entführt. Wir haben keinen Zweifel. Das ist sicher. Hamas hat wiederholt dazu aufgerufen, Israelis zu entführen und zu ermorden. Das ist eine Organisation, die das Ziel hat, Israel zu zerstören. Ich erwarte von Präsident Abbas, dass er die Verbindung mit dieser mörderischen Terroristenorganisation löst. Das ist wichtig für unsere gemeinsame Zukunft."
    Druck auf Palästinenser wächst
    Netanjahu vermischt hier mehrere Dinge miteinander. Und mittlerweile bringt ihm das auch Kritik in Israel ein. Der größte Einsatz von israelischen Soldaten im Westjordanland seit der zweiten Intifada hat zum einen das Ziel die verschwundenen Jugendlichen zu finden.
    Aber die Armee hat auch den Auftrag, gegen die Hamas, deren Mitglieder und Institutionen im Westjordanland vorzugehen. Sie soll Druck auf die Palästinenser ausüben. Von einer "Wurzelbehandlung" war zynisch im israelischen Armeeradio die Rede. Und der Ministerpräsident muss sich vorwerfen lassen, die Krise zu nutzen, um sein politisches Ziel durchzusetzen. Nämlich die neue palästinensische Regierung unter Beteiligung der Hamas doch noch zu isolieren.
    Mehr als 330 Palästinenser festgenommen
    Der Einsatz der israelischen Armee hat bereits Opfer gefordert. In Dura, in der Nähe von Hebron waren tausende Menschen dabei, als der 15-jährige Mohammed Dudin beigesetzt wurde. Der junge Palästinenser war in der Nacht zum Freitag von israelischen Soldaten erschossen worden, berichtet ein Nachbar der Familie, Hamam Hantash
    "Bei Tagesanbruch zog sich die Armee zurück. Sie gingen durch die Häuser der Leute. Mehr als 50 schwer bewaffnete Soldaten. Mohammed stand halt da, er stellte keine Gefahr für deren Leben dar. Sie erschossen ihn mit drei Kugeln. Eine traf ihn in der Brust, er war sofort tot."
    Seit Beginn der Operation sind mehr als 330 Palästinenser festgenommen worden. Einige von ihnen waren im Gegenzug für den entführten Soldaten Gilda Shalit vor drei Jahren freigekommen. Ein Militärgericht entscheidet jetzt, ob diese Männer den Rest ihrer Strafe von damals wieder absitzen sollen. Über 1150 Häuser und Büros seien durchsucht worden, sagt ein Armeesprecher. Aber eine Spur von den entführten Jugendlichen haben die Sicherheitskräfte nicht. Niemand kann sagen, ob die Jungs noch am Leben sind.
    Die Armee präsentiert auf ihrem Internetblog stattdessen Fotos von kleineren und halbautomatischen Waffen. Die seien bei Razzien in der palästinensischen Stadt Nablus am vergangenen Dienstag entdeckt worden. Auch Computer und Festplatten hat die Armee beschlagnahmt. Doch die Frage nach dem Sinn des massiven Militäreinsatzes, ist damit nicht für alle beantwortet.
    Kollektive Bestrafung
    Der neue Direktor der Menschenrechtsorganisation Betselem, Hagai El'ad, warnte diese Woche vor den Konsequenzen dieser Politik:
    "Natürlich sind die Anstrengungen, die verschwundenen Teenager zu finden verständlich. Und hoffentlich haben sie Erfolg. Gleichzeitig, sind pauschale, unbegrenzte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit für Palästinenser inakzeptabel. Weitere Schritte, wie die die Weigerung, Palästinenser mit Arbeitserlaubnis nach Israel reisen zu lassen, ergeben eine kollektive Bestrafung."
    Interessant ist das Verhalten der beiden großen politischen Fraktionen in Palästina. Präsident Abbas von der Fatah-Organisation kritisierte das Vorgehen des israelischen Militärs. Die Zusammenarbeit mit den israelischen Sicherheitskräfte will er aber fortzusetzen. Der Journalist Gal Berger zitiert eine Quelle aus palästinensischen Sicherheitskreisen. Darin wird das Vorgehen der israelischen Soldaten gegen die Hamas ausdrücklich gelobt. Denn von einer Schwächung der Islamisten, glaubt die säkulare Fatah zu profitieren
    Die Hamas-Organisation wiederum droht mit dem Ende der neugewonnenen palästinensischen Einheit, aber bisher hält sich die Gruppe weitgehend zurück: Ex-General Amos Gilad glaubt, das werde auch so bleiben
    "Man rechnet immer mit allen Gefahren, aber Fakt ist, dass es im Süden ruhig ist. Israels Abschreckung gegenüber der Hamas im Gazastreifen funktioniert. Die Hamas versteht, dass sie sich besser ruhig halten sollte."
    Politiker der gemäßigten israelischen Parteien verlangen vom Ministerpräsidenten, dass er diese Situation nicht ausnutzen darf. Nur gemeinsam mit den Palästinenser könne es gelingen, diese Krise zu überwinden. Der Abgeordnete Avrahm Mitzna vertritt diese Idee:
    "Wenn man sich das letzte Jahr seit Beginn der Gespräche mit den Palästinensern anschaut, ist es schwierig zu sehen, dass Israel mit Benjamin Netanyahu an der Spitze wirklich bemüht war, zu einem Dialog zu gelangen. Letztendlich werden wir, nachdem die Kinder hoffentlich zurückgekehrt sind, uns aber wieder in einer Realität befinden, die uns zwingen wird, mit den Palästinensern zu reden und zu Abkommen zu gelangen."
    Doch nichts deutet nach einer Woche der Krise darauf hin, dass diese Realität bald wieder anbricht. Zum Leidwesen der drei entführten israelischen Jugendlichen, ihren Familien und tausenden Palästinenser.