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Widerstand in Venezuela
Risse im Maduro-Lager

Seit mehr als zwei Monaten gehen die Menschen in Venezuela auf die Straße und protestieren gegen die sozialistische Regierung unter Präsident Maduro. Immer häufiger kommt es zu gewaltsamen Übergriffen. Scharfe Töne kommen von der Opposition und das Maduro-Lager zeigt große Risse.

Von Anne Demmer | 16.06.2017
    Demonstranten protestieren gegen Venezuelas Präsident Maduro - und werden von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet
    Demonstranten protestieren gegen Venezuelas Präsident Maduro - und werden von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet (imago/Juan Carlos Hernandez)
    Die oppositionelle Parlamentsmehrheit kämpft für eine Amtsenthebung des Staatschefs, den sie für die schwere Wirtschaftskrise mit dramatischen Versorgungsengpässen verantwortlich macht. Doch auch die Unterstützung in den eigenen Reihen bröckelt. Innerhalb des sozialistischen Machtapparats verschärft sich die Zerreißprobe zwischen Präsident Nicolás Maduro und der Generalstaatsanwältin Luisa Ortega – einer treuen Chavistin, die dem Obersten Gerichtshof mit klaren Worten die Stirn bietet: "Wir brauchen Frieden, Sicherheit. Es kann nicht sein, dass der Oberste Gerichtshof einfach entscheidet, heute gefällt mir die Nationalversammlung nicht, also löse ich sie auf. An einem anderen Tag missfällt eine andere Institution, also wird sie dicht gemacht. Der Staat darf nicht demontiert werden."
    Proteste gegen die venezolanische Generalstaatsanwältin Luisa Ortega in Caracas.
    Proteste gegen die venezolanische Generalstaatsanwältin Luisa Ortega in Caracas. (AFP)
    Diese Stimme gehört nicht etwa einer Vertreterin der Opposition. Diese Worte stammen aus dem Mund von Luisa Ortega, bekennende Chavistin – treue Anhängerin des verstorbenen ehemaligen Präsidenten Hugo Chávez. Sie ist Generalstaatsanwältin in Caracas. Sie hat 2014 den Oppositionsführer Leopoldo López für 14 Jahre ins Gefängnis gebracht.
    Scharfe Kritik an der sozialistischen Regierung
    In den letzten Wochen macht sie jedoch durch ihre scharfe Kritik an der sozialistischen Regierung von sich reden: Sie kritisiert die Versorgungslage im Land, die gewaltsame Repression der Sicherheitskräfte und sie fordert den Austausch der Obersten Richter, die laut Ortega verfassungswidrig bestimmt worden waren. Ihre Familie bekommt mittlerweile Drohungen, heißt es. Für den Soziologen von der Zentraluniversität in Caracas Trino Márquez ist der Riss im Regierungslager icht mehr zu übersehen: "Zweifelsohne stellt Luisa Ortega eine Gefahr für die Regierung von Präsident Maduro dar, die größte seit er 2013 zum Präsidenten ernannt wurde, wahrscheinlich ist es sogar die größte Konfrontation für den Chavismus seit 18 Jahren, seit Amtsbeginn von Hugo Chávez. Es ist der erste Riss im Regierungsblock. Bis vor kurzem bildete die Regierung noch eine Einheit."
    Venezuela's Generalstaatsanwältin Luisa Ortega übt scharfe Kritik bei einer Pressekonferenz in Caracas.
    Venezuelas Generalstaatsanwältin Luisa Ortega übt scharfe Kritik bei einer Pressekonferenz in Caracas. (AFP)
    Von einigen Maduro-Anhängern wird Luisa Ortega denunziert. Sie sei Geisteskrank. Richard Bracho ist im Zentrum von Caracas unterwegs, er hält die Generalstaatsanwältin für eine Verräterin: "Ich glaube, dass sie für ihre Äußerungen bezahlt wird, sie bekommt sicher richtig viel Geld. Sie sollte als Generalstaatsanwältin abgesetzt werden."
    Gewaltsame Proteste – mit 70 Toten
    Seit April geht die Opposition auf die Straße. Wie jeden Tag versammeln sich Demonstranten auf dem Altamira-Platz, in einem wohlhabenden Stadtteil von Caracas. Emanuel Mijares hat genug von den leeren Regalen im Supermarkt, der extremen Inflation: "Ich glaube, dass es sicher noch weitere Vertreter innerhalb des Regierungslagers gibt, die auch nicht mit der aktuellen Politik einverstanden sind, sich vielleicht aber nicht trauen etwas zu sagen. Ich finde es gut, dass die Generalstaatsanwältin uns mit ihren Äußerungen unterstützt. Auch wenn es ein bisschen spät kommt. Aber wenn Luisa Ortega uns jetzt dabei hilft, dieses Regime abzusetzen - perfekt." Er bricht ab, flüchtet in eine Seitenstraße. Die Nationalgarde nähert sich und schießt Tränengaspatronen ab. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften und den Demonstranten. Seit April sind fast 70 Menschen ums Leben gekommen.
    Große Risse im Regierungslager
    Die Opposition fordert Neuwahlen. Ihr Protest richtet sich aber auch gegen eine neue Verfassung, die Präsident Maduro herbeiführen will. Nur eine neue Verfassung könne die Revolution retten und für Frieden sorgen, betont der venezolanische Präsident vor seinen Anhängern. Die Opposition befürchtet, dass sich Nicolás Maduro damit noch mehr Machtkompetenzen sichern will, sich das Land in eine Diktatur verwandelt. Die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega legt bereits zum zweiten Mal gegen die geplante Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung Einspruch ein. Der erste Antrag wurde vom Obersten Gerichtshof bereits abgelehnt. Die Generalstaatsanwältin warnt: "Wir werden das Erbe von unserem ehemaligen Präsidenten Chávez zerstören. Der "Chavismus" ist eine Bewegung. Das ist keine politische Partei, sondern eine Philosophie. Eine Lebensphilosophie. Und die Verfassung ist das Haupterbe von Präsident Chávez."
    Das sozialistische Regierungslager hat Risse bekommen, wie tief diese Risse tatsächlich sind, bleibt abzuwarten. Am 30. Juli soll die verfassungsgebende Versammlung gewählt werden – an diesem Termin hält Präsident Maduro fest.