Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Wie das Auto unsere Städte verändert hat

Seit der Nachkriegszeit wurde unser Leben mehr durch die Motorisierung beeinflusst, als wir es uns vorstellen. "Die Stadt und das Auto" heißt eine Ausstellung in Hamburg, die diesen Veränderungen nachspürt und eine Diskussion über die Nutzung des Autos und seine Alternativen anstoßen möchte.

Von Ursula Storost | 07.06.2012
    "Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung."

    So urteilte Wilhelm II. zu Anfang des 20. Jahrhunderts.

    Heute weiß man, der letzte deutsche Kaiser irrte! Wir sind massenmotorisiert. Der Verkehr tost und braust. Und oft steht er still. Hupender, knatternder, stinkender Stillstand.

    Wie sahen unsere Städte eigentlich aus, als es noch keine oder nur wenige Autos gab? Es fehlte vieles, was uns heute ganz selbstverständlich umgibt. Zum Beispiel Ampeln. 1922 wurde am zentralen Hamburger Stephansplatz die erste Verkehrsampel aufgestellt, erzählt Dr. Jürgen Bönig:

    "Der Grund ist, dass die Straßenbahnen eine Verkehrsregelung brauchten. dass die nämlich aufeinander trafen und dann immer die Frage war, wer fährt als Nächstes rüber. Und dafür hat man eine Ampel aufgebaut."

    Jürgen Bönig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Museum der Arbeit und hat eine Ausstellung über die Stadt und das Auto konzipiert. Der Hamburger Stephansplatz war immer ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt, weiß er. Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren hier nicht nur Straßenbahnlinien sondern auch eine Menge Autos. Die Massen der Fußgänger hatten keine Chance mehr über die Straße zu kommen.

    Böning: "In den 50er-Jahren gab's die ersten Fußgängerampeln auch am Stephansplatz, wo dann der Verkehr der Fußgänger auf dieser Kreuzung geregelt wurde. Und als Reaktion auf viele Unfälle im Rahmen von Schulwegen gab's dann auch diese Rufampeln, dass man sagt, ne Fußgängerampel ist eine, wo jemand verlangen muss rüber zu gehen."

    Die Zunahme der städtischen Ampeln spiegelt deutlich das Wachstum des Autoverkehrs. 1955 gab es in Hamburg siebzehn, 1960 bereits dreihundertvierzehn und 1967 siebenhundertfünfunddreißig Ampeln. Heute sind es eintausendsiebenhundert. Lichtsignalanlagen, wie es offiziell heißt. An fast jeder Kreuzung eine. Ohne Ampeln würde der städtische Verkehr zusammenbrechen, sagt Jürgen Bönig:

    "Der Unfall ist eigentlich der Grund, warum man im Verkehrsraum Bauten macht. Man macht einen kleinen Zaun am Rande des Gehwegs. man macht eine Brücke, man macht einen Überweg, man macht eine Ampel, um die Ströme, die sonst den städtischen Raum gemeinsam genutzt haben jetzt baulich zu trennen."

    Schon 1948 starben im Hamburger Straßenverkehr siebenundsechzig Kinder.

    Bönig: "Das war der Grund für die Verkehrsplaner zu sagen, wir müssen bauliche Maßnahmen ergreifen. und wir müssen das Verhältnis von Fußgänger und von Radfahrer, öffentlichen Verkehrsmitteln und Auto regeln. Und diese Regelung ist immer auf Kosten der anderen Beteiligten ausgegangen. Das Auto hat für sich den meisten Raum in der Stadt beansprucht."

    Die Fußgängermassen, die es in den 50er-Jahren noch gab, wurden auf eigene Wege, Brücken oder Tunnel gelenkt, damit sie im PKW Verkehr nicht störten. Ebenso erhielten die Radfahrer eigene Wege, damit das Auto freie Fahrt hatte. Und die Kinder, die wurden erzogen. Vom Verkehrskasper.

    Genutzt hat das alles wenig. Das Konzept "Freie Fahrt für freie Bürger" mit dem der ADAC noch nach der Ölkrise 1974 warb, bescherte den Bundesbürgern jährlich mehr als 20.000 Verkehrstote. Über fünf Mal so viel wie heute.

    Bönig: "Das Auto ist ja nicht ein zweckmäßiges Transportmittel sondern eine Gefühlsbombe. Es ist ja etwas, was die Wirtschaft in Gang gehalten hat, was sozusagen das Wohlstandszeichen war, die eigenen vier Wände, auch wenn sie aus Blech waren. Das war ja Privatraum. Es war die Reise, die Möglichkeit der Freiheit. Und in der Stadt hat sich diese Möglichkeit der Freiheit selbst negiert. Wenn alle dahin fahren, trifft man am Ende nur Autos und nicht das, was man erstrebt."

    Es war das Auto, das die Trennung von Wohnen und Arbeiten in die Städte brachte, sagt der Architekturhistoriker Dr. Ralf Lange:

    "Immer mehr Menschen zogen eben in die äußeren Stadtgebiete. Oder es gab auch damals schon Suburbanisierung. Man ging über die Stadtgrenze hinaus. Und die Läden, die zogen praktisch mit. Diese ganze Entwicklung wäre natürlich nicht denkbar gewesen ohne die Massenmotorisierung."

    Es entstanden Neubaugebiete und riesige Einkaufszentren mit ebenso riesigen Parkdecks auf der grünen Wiese. Ohne Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Wohnungen und Einkaufszentren, die für Kunden mit privatem PKW konzipiert waren.

    Lange: "Wenn man nach dem Verhältnis zwischen Auto und Stadtplanung fragt, dann kommen wir eigentlich ganz schnell in die Nazi-Zeit, in die Entwicklung nach 1933, als mit dem Anspruch, deutsche Städte zu Repräsentationszentren der NSDAP auszubauen, Gleichzeitig eine überraschend moderne Stadtplanung betrieben wurde. Man wollte die Städte sanieren, man wollte mehr Grün reinbringen, die Bebauung auflockern, praktisch die ganze Fehlentwicklung der bisherigen Stadtplanung ausmerzen. Und hat dem Auto eine ganz, ganz wichtige Rolle zugebilligt. Und damit quasi eine Zukunftsvision gezeichnet."

    Obwohl es zu dieser Zeit ein absoluter Luxus war, ein Auto zu besitzen, plante man so, als ob jeder zweite Haushalt ein Auto hätte, sagt Ralf Lange.

    Lange: "Es wurden plötzlich geplant Autobahnringe um die Straßen. Es wurde geplant die bestehenden Straßen in den Städten groß zu verbreitern. Also eine Stadtplanung, die wir eigentlich im Grunde genommen eher mit den 50er-, frühen 60er-Jahren verbinden, vollzog sich da schon Ende der 30er-Jahre. Und interessanterweise während des ganzen Zweiten Weltkriegs hindurch."

    Konstaty Gutschow, der von Albert Speer protegierte "Architekt für die Neugestaltung der Hansestadt Hamburg" musste nach 1945 zwar seinen Hut nehmen. Aber, sagt Ralf Lange, in der Kommission, die den Wiederaufbauplan erarbeitete, saßen seine Mitarbeiter:

    "Da saßen lauter freie und feste ehemalige Mitarbeiter von Gutschow drin. Da haben die gleichen Leute den Hamburger Wiederaufbau geplant, die vor 45 sozusagen im Schatten des Höchsten standen. Mitarbeiter von Gutschow waren. Und die haben natürlich viele dieser Ideen über 45 hinweggerettet."

    Ideen, über die wir heute den Kopf schütteln, sagt Sven Badua, Buchautor und Experte für Technik- und Wirtschaftsgeschichte. Der Autoverkehr hatte ab 1945 uneingeschränkte Priorität. Straßen wurden von zwei auf sechs oder gar acht Spuren erweitert. Und um die neu hinzugekommenen Stadtteile autogerecht mit der City zu verbinden, schlug man breite Schneisen durch die Stadt.

    Badua: "So ist auch die Ost-West-Straße dann entstanden. oder die neue Amsinckstraße. Die Menschen in den 50er- und 60er-Jahren waren davon überzeugt, dass das das Richtige ist. Und diese Unwirtlichkeit, die wir heute empfinden in diesen Straßen, die wurde damals nicht als solche empfunden. Das war schick, das war modern. Die Enge der Altstadt, das war das, was man loswerden wollte. "

    Bis Anfang der 50er-Jahre war die autogerechte City das Leitbild der Stadtplaner. Bald merkten die allerdings, dass der ständig zunehmende Parkraum für den fließenden Verkehr zum Problem wurde. 1954 gab es deshalb die ersten Parkuhren in der Innenstadt.

    Badua: "Und deswegen sind in der Innenstadt eben sehr früh, also 1956 die ersten großen Parkhäuser gebaut worden. Das war damals ne wirkliche Innovation, weil man vorher dieses Problem überhaupt nicht erkannt hat."

    Bis heute ist das Parkproblem ungelöst, sagt Sven Badua. Der Städter bräuchte sein Auto durchschnittlich eine Stunde am Tag. 23 Stunden lang müsse es also irgendwo stehen.

    Badua: "Es nimmt normalerweise schon 13m² ein. Aber in einem Parkhaus braucht es doppelt so viel, weil man diese ganzen Abfahrrampen und Zufahrtsstraßen dazu rechnen muss. Das heißt also ein Parkhaus muss pro Auto 25 Quadratmeter vorhalten. Und damit wird dann so langsam deutlich welche Dimension dieses stehende Auto eigentlich braucht."

    Die Parkfläche, die die Hamburger Autos heute benötigen, ist so groß wie Alt- und Neustadt zusammen, sagt Sven Badua. Platz der woanders fehlt. Zum Beispiel beim Einkaufsbummel. 1966 entstand in der neuen großen Bergstraße in Hamburg Altona die erste Fußgängerzone Deutschlands.

    Badua: "Das war die Konsequenz aus der Feststellung in der normalen klassischen Einkaufsstraße, das geht nicht mehr das Einkaufen. Da nimmt der Autoverkehr eine so starke Präsenz ein, da ist für den Fußgänger für den Einkaufsbummel kein Platz mehr. Also braucht man für diesen Einkaufsbummel eine eigene neue Straßenform, die man dann eben mit der Fußgängerzone geschaffen hat."

    Auch vor den zahlreichen Hamburger Brücken, Wahrzeichen der Hansestadt, machte die Massenmotorisierung nicht halt.

    Badua: "Früher waren Brücken tatsächlich Treffpunkte. waren Orte wo man von runter sah und in verschiedenen Perspektiven sich die Stadt ankucken konnte. Sie waren extra markiert durch bestimmte Architekturformen, durch Beleuchtung usw. Und nach dem Krieg ist es so gewesen, dass Brücken gnadenlos Teil dieser neuen Straßen wurden."

    Neue Ikonen des Fortschritts kamen in die Städte: zum Beispiel die Tankstellen. Innovativ gestaltete Bauten der Nachkriegsmoderne in hellen Farben und mit aberwitzigen Flachdachkonstruktionen. Davor thronten groß die farbig-leuchtenden Schilder der Ölmultis.

    Badua: "Es gab also in den 50er, 60er-Jahren etwa drei- bis viermal soviel Tankstellen wie heute. Das heißt Tankstellen waren auch im Stadtbild viel präsenter als heute. Auch dieser Begriff der Großtankstelle wurde in den 50er-Jahren geprägt. So groß sind die aus heutiger Sicht gar nicht gewesen. Aber damals hieß das Großtankstelle. Und damit war ein Sprung nach vorn impliziert. Man war wieder wer."

    Heute sollen Autos samt Lärm und Gestank raus aus den Innenstädten. Europaweit, resümiert Stephan Feige, Koordinator des Hamburger Architektursommers. Früher konnte man Wahlen gewinnen, wenn man den Menschen einen Autobahnzubringer versprach, sagt er. Heute würden solche Versprechen sofort Bürgerinitiativen auf den Plan rufen. Aber damals gab es andere Prioritäten.

    Feige: "Es bedeutete am Wochenende ins Grüne fahren zu können. Es bedeutete unabhängig vom öffentlichen Nahverkehr oder von den eigenen Schuhsohlen einfach im trockenen zum Arbeitsplatz zu kommen. Und nach den Entbehrungen der Nachkriegszeit, des Zweiten Weltkriegs war es natürlich irgendwas, das bedeutete Zukunft. Man hatte eine Zukunft vor sich. In die Vergangenheit wollte man nicht schauen. Und dazu gehörte die Mobilität, die Freiheit, die man über das Auto gewonnen hatte. Und das war gesellschaftlicher Konsens."

    Das Auto ist aber heute nicht wegzudenken. Im Gegenteil: statt spritsparender VW Käfer sind inzwischen Drei-Tonnen-Monster in den Städten unterwegs. Wüstentaugliche Straßengiganten mit Vierradantrieb mit denen Mutti zum Kindergarten und zum Bäcker um die Ecke fährt. Aber es gebe doch Anzeichen dafür, dass die Menschen umdenken, sagt Jürgen Bönig:

    "Was unsere Ausstellung möchte, ist einfach die Diskussion über die Nutzung. Wie nutzen wir das Auto in der Stadt, zu führen. Und die Alternativen, die es gibt, also mehr öffentlichen Nahverkehr zu machen und alternative Angebote, dass man an den Stationen jeweils Fahrräder vorfindet oder Autos, die Leihautos sind. Das ist sicher etwas, was man machen sollte."